Die Angst vorm inneren und äußeren Feind
Während in wissenschaftlichen Arbeiten die These von der angeblichen Unvereinbarkeit des Islams mit dem Westen hinreichend widerlegt wurde, hat sich diese Auffassung im politischen Diskurs und in der Politikgestaltung nicht durchgesetzt.
Im Gegenteil: Die Überzeugung, dass der Islam mit dem Westen unvereinbar sei, hat sich in den letzten 15 Jahren sogar weiter intensiviert, da man den Islam nicht mehr nur als Feind wahrnimmt, der die liberalen westlichen Demokratien von außen bedroht, sondern auch von innen. Folglich betrachten viele Menschen in Europa und in den Vereinigten Staaten Muslime sowohl als innere als auch als externe Feinde.
Die anhaltende Dichotomie zwischen Islam und Westen ist nicht auf die Qualität der akademischen Arbeit zurückzuführen, sondern vielmehr darauf, dass die Erkenntnisse nur selten von politischen und kulturellen Akteuren aufgenommen werden – ganz zu schweigen von den Medien.
Die soziale und kulturelle Realität von Muslimen verstehen
Dennoch besteht Hoffnung, wenn man die soziale und kulturelle Realität von Muslimen besser kennt, die der extrem wahrgenommenen Trennung widerspricht – nämlich dass Muslime im Westen die westlichen Werte und die zivile Integration befürworten. In diesem Zusammenhang könnten Bildungs- und Kulturmaßnahmen dazu beitragen, Bürger mit dieser Realität vertraut zu machen.
Mein Buch "Weshalb der Westen den Islam fürchtet: eine Untersuchung des Islam in liberalen westlichen Demokratien" analysiert Tendenzen und Stereotype in westlichen Staaten, den Islam als unzivilisiert und konservative Muslime als innere Bedrohung nationaler Werte und Identitäten sowie als äußere Bedrohung für die westlichen Zivilisationen zu betrachten.
Verblüffenderweise sind solche Verhaltensweisen seitens der Muslime in europäischen Ländern oder in den Vereinigten Staaten, die diese Angst rechtfertigen, in keiner empirischen Untersuchung belegbar.
Tatsächlich unterscheiden sich politische Handlungen von Muslimen nicht von denen anderer Bürger. Meine Untersuchung zeigt auf, dass Muslime in Europa und in den Vereinigten Staaten sogar stärker an die nationalen Institutionen und die Demokratie glauben als ihre Mitbürger, und dass der Moscheebesuch in Wirklichkeit die soziale und politische Integration erleichtert.
Dennoch entsteht das Bild von Muslimen als innere Feinde der liberalen Demokratien in einer vorgefertigten, durch den Einfluss der Geschichte geprägten Umgebung, wobei das Bild des Feindes im Inneren zu dem bereits bestehenden Bild des Feindes von außen hinzukommt. In den Vereinigten Staaten nahm die Wahrnehmung des Islam als Bedrohung von außen ihren Anfang mit dem Teheraner Geiseldrama von 1979 bis 1981.
Seit dem Mittelalter wurden Muslime vom Westen als "die Anderen" betrachtet. Mit der selbst gewählten Definition des Westens, die auf den Konzepten des Fortschritts, der Nation, des rationalen Individuums und Säkularisierung aufbauten, grenzte sich der Westen von den muslimischen Imperien ab. Erst die Beziehung Europas zum Osmanischen Reich stellte schrittweise die Verbindung zwischen Ost und West her, was einen entscheidenden Einfluss auf die Weltpolitik des 19.Jahrhunderts hatte.
Verschiedene Bildungsniveaus
Viele Muslime der Nachkriegsgeneration haben einen Migrationshintergrund und machen derzeit etwa fünf Prozent der 425 Millionen der in der Europäischen Union lebenden Menschen aus. Mehrere Generationen von Immigranten kamen mit sehr wenigen Arbeitsfertigkeiten, im Unterschied zu den meisten Muslimen in den Vereinigten Staaten, die generell über ein hohes Bildungsniveau und marktfähige Kompetenzen verfügen.
Das niedrige Bildungsniveau und die geringen Jobmöglichkeiten erklären die niedrige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Muslimen in Europa. Zudem lebt die muslimische Bevölkerungsschicht in Europa häufig in abgetrennten städtischen Gebieten, die durch eine hohe Kriminalitätsrate und schlechte Lebensbedingungen geprägt sind.
Auf der anderen Seite des Atlantiks besteht die Notwendigkeit, eine neue nationale Geschichte zu schreiben, um die Muslime und den Islam als Teil des Gedächtnisses und der Kultur der nationalen Gemeinschaften, der sie angehören, einzubeziehen.
Dies wird voraussichtlich erst dann geschehen können, wenn der Islam von Parteiinteressen losgelöst ist und zu einer nationalen Angelegenheit für politische, soziale und religiöse Akteure aus dem gesamten ideologischen Spektrum wird.
Die Bemühungen in den Bereichen der Bildung und der Politik innerhalb der letzten 50 Jahre, die Integration der US-Amerikaner afrikanischen Ursprungs in die nationale Geschichte der Vereinigten Staaten, sind ein gutes Beispiel für eine solche kollektive Bemühung.
Hinsichtlich der Zukunft des Islams wird die Zusammenarbeit religiöser Akteure aller Glaubensrichtungen erforderlich sein, da diese eine besondere Rolle für den Dialog zwischen dem Islam und anderen monotheistischen Religionen übernehmen können.
Jocelyne Cesari
© Common Ground News Service 2013
Übersetzt aus dem Englischen von Julie Schwannecke
Redaktion: Lewis Gropp & Arian Fariborz/ Qantara.de
Dr Jocelyne Cesari ist Direktorin des Programms “Islam in the West” der Harvard Universität und Senior Research Fellow am Berkley Centre for Religion, Peace and World Affairs der Georgetown University.