Erschreckende Gleichgültigkeit
In Frankreich ist man schockiert. Am 23. November verbreitete die französische Nachrichtenagentur AFP einen Bericht, wonach "islamophobe Taten erneut angestiegen" seien. Der Bericht stützt sich auf Angaben der "Nationalen Beobachtungsstelle für Islamophobie", die davon ausgeht, dass die Übergriffe auf Muslime und islamische Einrichtungen in den ersten neun Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 11,3 Prozent zugenommen hätten.
Dabei geht es unter anderem um Attacken wie diese: Am 19. November wurde die Große Moschee in Paris, die seit 1927 älteste bestehende Moschee der französischen Hauptstadt, mit Schmähparolen besprüht. Der Rektor der Moschee, Dalili Boubakeur, bedauerte zutiefst die so zum Ausdruck gekommene "rassistische Gewalt und Feindseligkeit".
Kein Einzelfall: Die Polizei nahm vor kurzem im südfranzösischen Lesparre-Médoc bei Bordeaux zwei Männer im Alter von 24 und 39 Jahren fest, die Urheber von Hakenkreuzschmierereien an der örtlichen Moschee im vergangenen Hochsommer gewesen sein sollen. Am nachfolgenden Tag legten die beiden ein Geständnis ab.
Neue Qualität des Rassismus
Doch damit nicht genug: Anfang November war bekannt geworden, dass zwei Moscheen in Besançon beschmiert worden waren. Die Täter hatten Sprüche wie "Araber raus!", "Frankreich den Franzosen!" sowie Hakenkreuze auf die Mauern geschmiert. Zwei Wochen zuvor fanden sich ähnliche Schmierereien an einer Moschee im südfranzösischen Carpentras – auf einer Länge von insgesamt 30 Metern.
Solche rassistisch islamfeindlich motivierten Sachbeschädigungen sind nicht der einzige Grund zur Beunruhigung für die Beobachtungsstelle, die vor einiger Zeit vom französischen "Repräsentativen Rat der Muslime" (CFCM) eingerichtet worden ist. Auch die Zunahme physischer Angriffe auf verschleierte oder Kopftuch tragende Muslime sei "ein neues Phänomen", wie die Beobachtungsstelle in ihrem jüngsten Bericht feststellt.
Angriffe auf muslimische Frauen
Erstmals waren solche Vorfälle im Frühjahr 2013 in der Trabantenstadt Argenteuil, nordwestlich von Paris, bekannt geworden. Unbekannte verprügelten dort mehrere muslimische Frauen, eine 19-Jährige erlitt als Folge im Juni eine Fehlgeburt. Daraufhin fanden in Argenteuil zwei Protestdemonstrationen statt.
Doch weil unter anderem auch salafistische Strömungen die Empörung für sich zu nutzen wussten und auf den Straßen protestierten, blieben die Demonstrationen landesweit weitgehend unbeachtet. Ein Solidarisierungseffekt in Teilen der Bevölkerung blieb daher aus, wie viele Betroffene, aber auch antirassistische Gruppen beklagten – auch wenn das Opfer, das eine Fehlgeburt erlitten hatte, Ende Juni 2013 mit ihren Beschwerden sogar im Innenministerium empfangen wurde, als Geste der Anteilnahme.
Insgesamt 14 Vorfälle physischer Gewalt gegen Frauen mit muslimischer Kopfbedeckung zählt die Beobachtungsstelle aus den Pariser Vorstädten Argenteuil, aus Trappes sowie aus Reims. Die Welle von Angriffen in den Pariser Banlieues geht wahrscheinlich auf rechtsradikale Skinheads zurück, auch wenn bislang noch keine Täter ergriffen werden konnten.
Mitunter aber lassen sich auch Gewaltakte gegen muslimische Frauen von Personen beobachten, die keinen rechtsextremen Hintergrund haben. Im vergangenen Juli wurde in Orléans ein Prozess gegen einen Autofahrer eröffnet, der infolge einer Verkehrsstreitigkeit drei Frauen mit Kopftuchbedeckung angegriffen, rassistisch bepöbelt und aus ihrem Wagen gezerrt hatte. Es handelte sich um eine aus dem Maghreb stammende Frau, ihre 15-jährige Tochter und ihre Schwester. Der beschuldigte Autofahrer wurde schließlich zu zwei Monaten Haft verurteilt.
Bei der jährlich stattfindenden landesweiten Demonstration gegen Gewalt gegen Frauen vom 24. November, bildeten erstmals muslimische Frauen mit Kopfbedeckung einen eigenen Block. Sie erklärten, sie wehrten sich gegen häusliche Gewalt von Männern ebenso wie gegen die zunehmende Angst vor Übergriffen in der Öffentlichkeit.
Enttäuschte Hoffnung
Viele hatten geglaubt, es seien vor allem die Wahlkämpfe im Vorfeld der französischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2012 gewesen, die die Wellen der Empörung im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung von Muslimen ausgelöst hätten. Damals hatten der rechtsextreme „Front National“, aber auch Teile der Konservativen vor allem gegen die "verstärkte Präsenz von Halal-Fleisch in Schulkantinen" Front gemacht, und sie zum Teil offen als Bestandteil einer "Überfremdung" dargestellt. Viele hatten geglaubt, dass sich die öffentlichen Islamdebatten nach den Wahlen beruhigen würden. Doch weit gefehlt.
Allerdings hat sich auch nicht bewahrheitet, dass der in der französischen Gesellschaft verbreitete Rassismus vor allem "kulturalisierende" Formen annehme und sich hauptsächlich gegen Ausdrucksformen und Symbole des Islam richte.
Denn auch der Rassismus gegen die Roma in Frankreich ist stärker geworden oder etwa der Rassismus gegen dunkelhäutige Politiker wie gegen Justizministerin Christiane Taubira, die von ihren politischen Widersachern wiederholt öffentlich als "Affe" und "Wilde" bezeichnet wurde.
Doch die Zunahme rassistischer Gewalt hat inzwischen eine Gegenbewegung auf den Plan gerufen: Ende dieses Jahres erwartet man in Frankreich große Protestveranstaltungen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Anlass ist der 30. Jahrestag des spektakulären "Marschs für Gleichheit und gegen Rassismus", als im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1983 Söhne und Töchter maghrebinischer Einwanderer von Marseille über Lyon bis nach Paris zu Fuß gingen, um für ihre Rechte und eine ausländerfreundlichere Politik zu demonstrieren.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de