Banales Allerlei und amüsante Details

Den Spuren vorislamischer Geschichte folgte der Gelehrte Julius Euting während seiner Reise durch Inner-Arabien in den Jahren 1883 und 1884. Um seine Eindrücke auch einem größeren Publikum zugänglich zu machen, führte er akribisch Tagebuch. Andreas Pflitsch hat sich durch die Neuauflage gearbeitet.

Von Andreas Pflitsch

​​Aus dem Zusammenhang gerissen, wirken viele Sätze sonderbar und manche gleich unmöglich: "Mit einer Negerin, Namens Bálwah, die auch gewöhnlich im Hof saß, während ihr Mann den Tag über in den Salzgruben arbeitete, hatte ich oft viel Spaß." Diese krude Mischung aus Ansichtskartenprosa und altbackener Ethnographie – beide Textgattungen verbindet ihre meist unreflektierte Distanz zum und Teilnahmslosigkeit am Beschriebenen – ist nachzulesen in Julius Eutings "Tagebuch einer Reise in Inner-Arabien", das nun als Nachdruck erschienen ist.

Nach langem Warten endlich der Aufbruch zu der Insel

Euting, ein Gelehrter, wie ihn nur das 19. Jahrhundert hervorbringen konnte, hatte schon als Student den Plan zu einer Arabienreise gefasst, muss dann aber noch Jahrzehnte warten, bis er, nicht zuletzt dank der Großzügigkeit und "der Gnade Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg", der ihn "mit Waffen zu der Expedition reichlich ausrüstete", in den Jahren 1883 und 1884 die Arabische Halbinsel bereisen konnte. Der Zweck dieser Reise "war ein vorwiegend archäologischer und epigraphischer".

Besonders die "Spuren vorislamischer Geschichte in Gestalt von Inschriften und Denkmälern" hat Euting auf seiner Reise untersucht und zum Gegenstand einiger wissenschaftlicher Abhandlungen gemacht. Mit seinem Reisetagebuch wolle er hingegen "dem größeren Publikum eine lesbare Beschreibung meiner persönlichen Erlebnisse, Eindrücke und Beobachtungen vorlegen".

Reisebericht ohne Höhepunkte

Julius Euting, Foto: http://www.ub.uni-tuebingen.de/
Julius Euting bereist im 19. Jahrhundert die arabische Halbinsel. Auf seiner Reise führt er akribisch Tagebuch

Das mit der Lesbarkeit ist ihm dann allerdings nur in bescheidenen Ansätzen gelungen. Zu spannungslos und unmotiviert, an manchen Stellen geradezu desinteressiert, wird hier stur chronologisch dem Genre des Tagebuchs gefolgt. Kein noch so langweiliger Tag wird ausgelassen. Dies und jenes wird notiert, ohne dass sich dem Leser ein Sinnzusammenhang aufdrängen würde. Durch den häufigen Themenwechsel wird Eutings Bericht keineswegs kurzweilig, sondern bloß geschwätzig und zieht sich zäh von Banalität zu Banalität. Euting ist kein Erzähler, er ist ein Aufzähler.

Sein Text wirkt durchgehend zerfranzt und es gelingt ihm an keiner Stelle den Leser wirklich zu fesseln. Sein mangelndes Erzähltalent versucht der Autor erfolglos durch die schiere Masse an Informationen auszugleichen. Heraus kommt ein Potpourri aus persönlicher Reflexion, belehrendem Dozieren und einer frappierenden, allein dem horror vacui des Reisenden geschuldeten Detailverliebtheit. Eutings unbeholfene kleinkarierte Reiseprosa ist von ähnlich rührender Belanglosigkeit wie die meisten seiner in den Text eingestreuten Zeichnungen und Skizzen.

Detailgetreue Schilderungen werden zur Geduldsprobe

Selbstverständlich trifft, wer so wild um sich schießt wie Euting, unweigerlich auch mal ins Schwarze. Für vergnügliche Details mit einigem Neuigkeits- und Originalitätswert bieten die beiden Bände durchaus eine Fundgrube für an Alltags- und Sozialgeschichte interessierte Historiker der arabischen Halbinsel. Die buchhalterische Detailverliebtheit Eutings stellt des Lesers Geduld zwar gehörig auf die Probe, kann aber auch zu hübschen Ergebnissen führen, wie die Beschreibung der Laufleistung seines Kamels zeigt.

Das Reittier habe "eine Schrittweite von 1,95 Meter und legte als Passgänger bei 5500 Halbschritten in der Stunde etwas über 5 Kilometer, bei 15-18 Stunden Reitzeit etwa 80 Kilometer am Tag zurück", berichtet er im Stile eines heutigen Autotesters. Viel Kurioses trägt der Reisende zusammen, etwa die verschiedenen Laute, mit denen die Einheimischen ihre Tiere rufen ("weit verlaufene Kameele ruft man mehrmals Hirrrtsbô!") oder die Beobachtung, dass sich die Frauen von Maan ihre Lippen und Zähne mit Nicotinsaft aus den Pfeifen einreiben.

So desperat der Inhalt, so verwirrend vielgestaltig sind auch Sprache und Stil Eutings. Von der Vorwegnahme der Comicsprache ("Brrrh!") über lyrische Elemente und Abenteuerromanprosa ("Ein jäher Seitensprung meines erschreckten Hengstes hätte mich um ein Haar in die steinige Tiefe geschleudert") bis hin zu altklugem Belehren reicht sein Spektrum.

"Aufzeichnungen wie die Euting’s", schreibt Enno Littmann in seinem Vorwort zum zweiten, von ihm 1914 herausgegebenen Band des Reisetagebuchs, "werden immer ihren Wert behalten, auch wenn sie erst 30 Jahre nach der ersten Niederschrift der Öffentlichkeit übergeben werden." Grundsätzlich gilt das nach einem Jahrhundert nicht weniger. Richtig ist aber auch, dass es bessere Beispiele für diese Gattung gibt, als Eutings letztlich banales Allerlei.

Andreas Pflitsch

© Qantara.de 2005

Julius Euting, "Tagebuch einer Reise in Inner-Arabien", Erster Theil Leiden 1896, Zweiter Theil, herausgegeben von Enno Littmann, Leiden 1914 (Nachdruck in einem Band: Hildesheim 2004)