Fernsehshow erhitzt Gemüter
“And the winner is … Diana Karazoun!” Keine Freudentränen, kein “Das darf nicht wahr sein,” sondern eher ein cooles Lächeln – das war die Reaktion der Gewinnerin des arabischen Superstar-Gesangwettbewerbs. Sie hat es vielleicht schon vorher gewusst, ja beinahe erwartet, dass sie am Schluss als Erste von 11.000 Bewerberinnen und Bewerbern das Rennen machen würde. Nicht etwa, weil sie die beste Stimme gehabt hätte. Schon gar nicht wegen ihres Aussehens. Die dickliche Jordanierin entsprach weniger dem Schönheitsideal eines Stars als ihre syrische Konkurrentin, Ruwaida Attieh, die auf Platz zwei landete. Vielleicht siegte sie ja wegen ihrer Natürlichkeit und sympathischen Ausstrahlung. Doch es war ziemlich offensichtlich, dass sie unerwartet Hilfe bekommen hatte, und zwar vom jordanischen König persönlich, der die Fernsehshow als nationale Angelegenheit deklariert hatte.
Die Show, benannt nach dem deutschen Talentwettbewerb 'Superstar', lief für fünf Monate im libanesischen Fernsehsender Future TV. Es handelte sich eigentlich nur um einen arabischen Gesangswettbewerb, bei dem eine Jury eine Vorauswahl getroffen hatte – alles live übertragen. Bei den 52 Endkandidaten war dann die Zuschauermeinung gefragt: per Internet, Telefon und SMS konnten sie für ihren Favoriten stimmen. Dieses Sendekonzept war von der englischen Produktionsfirma Freemantle Films geschaffen worden, lief in England unter dem Namen 'Pop Idol', in Deutschland dann als 'Superstar'. Nachahmer fanden sich ebenfalls in Südafrika. Und eben im Libanon, wo der libanesische Fernsehsender Future TV das Sendekonzept eins zu eins von England übernommen hatte.
Leere Straßen, Tränen, Freudenschreie
In den Endrunden konnte Future TV sehr hohe Einschaltquoten verzeichnen – nicht nur im Libanon, sondern auch in den Golfstaaten, in Palästina, Jordanien und Syrien. Jeden Sonntagabend von 21.30 bis 23.00 Uhr waren die Straßen so leer wie sonst nur während der Fußballweltmeisterschaft. Montag früh diskutierten Kollegen dann miteinander über das Programm, und Hausfrauen stritten mit ihren Nachbarinnen, wer denn nun wirklich der beste Sänger oder die beste Sängerin sei. Denn es hieß, die anderen vom eigenen Favoriten zu überzeugen, Freunde und Bekannte für die „Wahlen“ zu mobilisieren. Montagabend wurde jeweils das Ergebnis live im Fernsehen bekannt gegeben, wieder waren die Straßen leer, diesmal nur für eine halbe Stunde. Im Studio gab es Tränen oder Freudenschreie, je nachdem, wie das Ergebnis für die Bewerber ausgefallen war, und die Zuschauer fieberten mit – Faszination Reality TV interaktiv.
In der vorletzten Sendung, in der die Zuschauer zwischen den drei Finalisten Melham Zein (Libanon), Ruwaida Attieh (Syrien) und Diana Karazoun (Jordanien) entschieden, hatten die Computer von Future TV 500.000 Wählerstimmen gezählt, und beim großen Finale waren es sogar 4.800.000.
Bis zu den letzten beiden Runden hatte man eigentlich den Eindruck gewonnen, dass sich die Zuschauer in allen Ländern nur auf das gesangliche Können, das Aussehen und die Ausstrahlung der Kandidatinnen und Kandidaten konzentrierten, nicht aber auf deren Nationalität - mit Ausnahme des palästinensischen Kandidaten vielleicht, der zudem blind war und der viele Sympathien einheimste, obwohl er nicht die hübscheste Stimme hatte. Die verantwortlichen Programmmacher von Future TV hatten sogar behauptet, die Show würde die arabische Welt vereinen. Doch das blieb Wunschdenken.
Zwischenfälle im Studio
Als nämlich der libanesische Kandidat Zein nur auf Platz drei landete, gab es Zwischenfälle im Studio – die Gäste protestierten schreiend, Zeins Mutter fiel in Ohnmacht, ebenso die Kandidatin Attieh. Zeins Fans griffen die jordanische Kandidatin an, Sicherheitsleute mussten sowohl sie als auch Zein schützend aus dem Studio ins Hotel begleiten, und die Liveübertragung wurde vorzeitig abgebrochen. Auf den Beiruter Straßen, vor dem Studio von Future TV und vor dem Bristol Hotel, wo die Kandidaten wohnten, gab es Demonstrationen.
Am nächsten Tag veranstaltete der Fernsehsender Sondersendungen mit den drei Jurymitgliedern und den Programmmachern. Die Jury, welche bisher nur Vorschläge für die besten Kandidaten geben konnte, aber sonst keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt hatte, deklarierte offen, dass Zein ihr Favorit gewesen war, da er einfach die beste Stimme, ein perfektes sangliches Können und eine sehr reife Ausstrahlung besitze. Die beiden libanesischen Jurymitglieder wohnten der letzten Show nicht bei, nur das ägyptische Mitglied sah sich mit verschlossenem Gesicht das Geschehen an.
Unterstützung durch Regierungen
Es stellte sich heraus, dass sowohl die syrische als auch die jordanische Regierung jeweils eine Werbekampagne für die jeweiligen Kandidatinnen veranstaltet hatten. Riesenposter der Syrerin Attieh zierten die Straßenzüge in Damaskus, und in Jordanien hatte der König das Militär dazu angehalten, Karazoun zu wählen. Die jordanische Telefongesellschaft stellte zudem eine Summe von 35.000 US Dollar zur Verfügung, damit die Jordanier umsonst per Telefon Karazoun wählen konnten – was das Endergebnis nachhaltig beeinflusste. Unfair play also, denn die libanesische Regierung hatte sich überhaupt nicht um den libanesischen Kandidaten gekümmert.
Das Problem mit der arabischen Superstar-Show war, dass Future TV das Sendekonzept der englischen Sendung Pop Idol hundertprozentig übernommen hatte, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es sich beim arabischen Programm nicht um eine nationale, sondern um eine pan-arabische Show handelte. Die nationalistischen Gefühle der Zuschauer hatten letztendlich über das musikalische Können der Kandidaten gesiegt.
Christina Förch
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