Durch die schwarze Pforten
Die Protagonisten des Romans sind Saeed und Nadia, ein junges, berufstätiges Paar, das in einer namenlosen Stadt "am Rande des Abgrunds" lebt. Als sie sich kennenlernen, stehen dieser Stadt "schwere Kämpfe erst noch bevor, es gab bisher nur Schießereien und die eine oder andere Autobombe".
Saeed arbeitet in der Werbebranche, Nadia bei einer Versicherung. Während die Gewalt zwischen der Regierung und den militanten Kämpfern eskaliert, vertieft sich ihre Liebe. "Alle meine Romane waren im Grunde Liebesgeschichten, und das neue Buch handelt von einer ersten Liebe, was bedeuten kann, dass diese Liebe vielleicht keinen Bestand haben wird", erklärt Mohsin Hamid. Detailliert und überzeugend beschreibt er, wie sich die Beziehung zwischen Nadia und Saeed im Lauf der Zeit entwickelt.
Momente des Glücks inmitten des Chaos
Hamid zeigt in seinem Roman (publiziert von Hamish Hamilton, einem Penguin Books Imprint), wie Menschen auch angesichts einer immer brutaleren Umwelt Momente des Glücks finden und nach Normalität streben. Die Darstellung der Gräuel ist umso wirkungsvoller, als sie fast beiläufig geschieht.
Doch schließlich kollabiert die Gesellschaft, und in den Menschen regt sich der verzweifelte Wunsch, das Land zu verlassen. "Gerüchte machten die Runde, dass es Pforten gab, durch die man anderswo hin gelangte, häufig an weit entfernte Orte, fernab dieser Mausefalle von einem Land".
Saeed und Nadia bezahlen einen Schleuser, der sie durch eine dieser Pforten aus der Stadt lotst. "In jener Zeit hieß es, dass der Durchgang einem Sterben und Neugeborenwerden gliche, und tatsächlich erlebte Nadia eine Art von Auslöschung, als sie in die Schwärze eintauchte, und ein Ringen um Atem, als sie sich mühsam aus ihr hervorkämpfte...". Durch die Pforte gelangt das Paar auf die griechische Insel Mykonos.
Die universale Stadt
Hamid weiß, was Migration bedeutet. Er kam 1971 in Lahore auf die Welt und siedelte mit drei Jahren nach Kalifornien über. Mit neun Jahren kehrte er nach Pakistan zurück, mit 18 ging er wieder nach Amerika, und mit 30 dann nach London. Vor ein paar Jahren kehrte er mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern nach Lahore zurück.
Während einer kurzen PR-Reise für "Exit West" führte im Tabernacle in West London Claire Armitstead, die Literaturredakteurin des Guardian und des Observer, ein Gespräch mit dem Autor. Sie fragte ihn, warum Saeeds und Nadias Heimatstadt keinen Namen hat.
Das Vorbild für die Stadt, so Hamid, sei Lahore. "Doch ich brachte es nicht über mich, einen Roman zu schreiben, in dem Lahore eine so schreckliche Entwicklung durchmacht, das geht mir zu nahe. Und ich wollte auch nicht einen Roman darüber schreiben, wie Pakistan den Taliban in die Hände fällt, weil das etwas ist, was wir ständig zu hören bekommen. Ich will es nicht auch noch wiederholen oder gar bestätigen. Außerdem halte ich das nicht für wahrscheinlich."
Die Schattenseiten der Migration
Zudem wollte er "die Stadt universalisieren, so dass sie die Stadt vieler Menschen werden kann." Beim Lahore Literary Festival habe er eine Künstlerin getroffen, die sich häufig in Syrien aufhielte, "und sie war davon überzeugt, dass ich über Aleppo schreibe."
Obwohl Hamid freiwillig und nicht als Flüchtling seine Wohnorte wechselte, lernte auch er die Schattenseiten der Migration kennen. In "Exit West“ formuliert der Erzähler es einmal so: "... denn wenn wir auswandern, töten wir all jene in unserem Leben, die wir zurücklassen".
Im Gespräch erläuterte Hamid: "Wir töten sie nicht wirklich, aber wir töten die Zeit, die wir mit ihnen verbracht haben, was für das Gefühl sehr ähnlich ist. Die Migration hat emotional etwas Gewalttätiges … sie ist keineswegs einfach. Wenn man die Eltern, die Geschwister, die Cousins, die Freunde, die Stadt, das Essen, die Musik, die Architektur zurücklässt, dann ist das unglaublich schmerzhaft."
Pforten in andere Welten
Hamid nannte den Roman "fast ein Kinderbuch für Erwachsene. Der Erzähler nimmt praktisch eine allwissende Perspektive ein, aber er ist parteiisch – er macht sich für die Figuren stark und er steht auch auf der Seite der Leser". Die schwarzen Pforten gehorchen zwar nicht den Gesetzen der Physik, doch sie entsprechen "der emotionalen Realität, die wir heute in uns spüren" und "sie sind definitiv ein Teil unserer gegenwärtigen technologischen Kultur".
Beispielsweise sei er am Vortag in Dublin gewesen, am Tag davor in Manchester, davor wiederum in Lahore, und am darauffolgenden Tag werde er in New York sein. "Ich bin ganz konkret durch eine Flugzeugtür getreten und war da." Auch Smartphone-Displays – oder Skype-Gespräche am Computer – seien wie viereckige Pforten in andere Welten.
In London spitzen sich die Ereignisse des Romans zu. Nachdem sie durch eine schwarze Pforte Mykonos verlassen haben, finden sich Saeed und Nadia in einer Luxusvilla irgendwo in Kensington oder Chelsea wieder. Über eine Million Migranten sind in die Stadt geströmt und treffen dort auf Behörden und auf „Nativisten“. In Kensington und Chelsea wird der Strom abgeschaltet und die Gegend wird zu einem "dunklen London". Nachts, "in der Dunkelheit, während Drohnen, Hubschrauber und Überwachungsballons ununterbrochen über den Köpfen kreisten, brachen manchmal Kämpfe aus und es kam zu Morden, Vergewaltigungen und Überfällen."
Militärische und paramilitärische Kräfte werden zusammengezogen: "Ein großes Massaker schien sich anzukündigen". Doch die Krise flaut schließlich ab. London reagiert auf den Zustrom der Migranten und baut speziell für sie einen Ring neuer Trabantenstädte, "die Londoner Aureole". Nadia und Saeed ziehen auf Nadias Vorschlag hin in die neue Stadt Marin am Pazifik, in der Nähe von San Francisco, um ihre Beziehung neu zu beleben.
Der Wechsel von der eher dystopischen Sicht des ersten Romanteils zu den hoffnungsvolleren Tönen der späteren Kapitel entspricht der Überzeugung des Autors, dass Optimismus notwendig ist. "Gerade am gegenwärtigen Punkt der historischen Entwicklung ist es sehr wichtig, optimistisch zu bleiben", gab Hamid dem Publikum im Tabernacle zu bedenken. "Ich glaube, wir alle müssen radikal optimistisch sein, weil überall um uns herum diese ganzen pessimistischen Weltbilder existieren."
Pessimismus, erklärte er, führe zu Nostalgie, die sich in dem Wunsch nach einer Rückkehr ins Kalifat des 7. oder 8. Jahrhundert, in das Großbritannien vor der EU, in das Amerika der 1950er Jahre äußere. Aber wir können nicht zurück. "Die einzige Richtung, die wir einschlagen können, ist die nach vorne: Unsere Versuche, in die Vergangenheit zurückzukehren, führen nur zu allen möglichen Arten von Gräueltaten und Abscheulichkeiten."
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2017
Übersetzt aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff