Lückenlose Aufklärung und Gerechtigkeit
Am Montag (6.5.) hat vor dem Oberlandesgericht in München der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte begonnen. Zschäpe wird die Mittäterschaft in der rechtsextremen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) vorgeworfen, die in einer beispiellosen Mordserie zwischen 2000 und 2006 in mehreren deutschen Großstädten zehn Menschen umgebracht hat. Jetzt hoffen die Angehörigen der Opfer auf umfassende Aufklärung, wie es dazu kommen konnte.
Die letzten Wochen vor einem der wichtigsten Strafverfahren in der Bundesrepublik waren vom Streit über die Zulassung von Journalisten überschattet. Weil der Gerichtssaal zu klein ist, hatte das Münchner Oberlandesgericht zunächst keine Plätze an türkische Medien vergeben.
Nach einer Beschwerde der Zeitung "Sabah" beim Bundesverfassungsgericht musste das Oberlandesgericht türkischen Journalisten Plätze für die Berichterstattung zur Verfügung stellen. Weil das Akkreditierungsverfahren neu durchgeführt wurde, verzögerte sich der Prozessbeginn.
Hohe Erwartungen
Die Angehörigen der Opfer und ihre Anwälte hoffen, dass es nach den Auseinandersetzungen um Verfahrensfragen endlich um die Sache selber geht. Die Verschiebung des Prozessbeginns bedeutet für sie eine enorme Belastung. Jetzt sind ihre Erwartungen sehr hoch, dass sich die vielen offenen Fragen bei der rechtsextremen Mordserie vor Gericht klären lassen.
Am Tag vor Beginn des Prozesses haben sich sieben Anwälte der insgesamt 70 Nebenkläger mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, in der sie "maximale Aufklärung" forderten. Beate Zschäpe wird Beteiligung an den Morden an neun Migranten und einer Polizistin sowie an zwei Sprengstoffanschlägen in Köln und schwerer Brandstiftung zur Last gelegt.
Viele Details an diesen rassistisch motivierten Taten sind allerdings noch völlig unklar. Zehn Jahre lang verkannten die Ermittlungsbehörden auf Bundes- und Landesebene aufgrund zahlreicher Fehler, dass die Morde auf das Konto rechtsextremer Terroristen gingen. Bisher ist nicht bekannt, ob die NSU-Terroristen bei ihren Taten auf lokale Helfershelfer und Unterstützungsnetzwerke zurückgreifen konnten.
Ebenfalls ist offen, wie es zur Auswahl der Opfer und der Tatorte gekommen ist. Die sieben Anwälte der Nebenkläger wollen im Gericht nach der Rolle der Ermittlungsbehörden und Nachrichtendienste bei der Entstehung der rechtsextremen terroristischen Vereinigung und nach der zweifelhaften Rolle von V-Männern fragen. In ihrer Erklärung betonen sie, es sei schwer nachvollziehbar, dass der NSU aus "nur drei besonders gefährlichen Rechtsextremisten bestanden" hätte.
Unerträgliches Schweigen
Die große Frage im Gerichtsprozess wird sein, ob diese umfassende Aufarbeitung der Umstände und Hintergründe für die NSU-Mordserie tatsächlich gelingt. Denn die Hauptangeklagte, Beate Zschäpe, schweigt bisher beharrlich und ihre drei Pflichtverteidiger haben bereits angekündigt, sie werde während des Verfahrens weiterhin nichts sagen. Das ist ihr in der Strafprozessordnung verbrieftes Recht, für die Angehörigen der Opfer ist es nur schwer erträglich.
Für Angelika Lex, Anwältin der Witwe des in München ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides, geht es der Nebenklägerin nicht vorrangig um eine maximale Strafe für Beate Zschäpe. Ihr Anliegen sei es, endlich zu wissen, warum ihr Mann Opfer des NSU wurde.
Über Jahre hinweg seien die Ermittler den durchaus vorhandenen Spuren nicht nachgegangen, sonst hätten sie das Morden schon viel früher beenden können. "Sein Tod hätte verhindert werden können", so die Anwältin. Die Art und Weise, wie die Ermittlungen geführt und wie die Hinterbliebenen der neun Mordopfer türkischer und griechischer Herkunft behandelt wurden, bedeute einen "erheblichen Vertrauensverlust in den Rechtsstaat."
Versagen des Staates
Die Angehörigen seien nie als Opfer, sondern stets als Verdächtige wahrgenommen worden. Sie wurden observiert und durchleuchtet, auf ein vermeintliches Rotlicht- oder Drogenmilieu hin befragt. Diese Art des Umgangs habe massive Folgen für die Angehörigen und stelle für sie ein großes Hindernis dar, "mit ihrer Trauer umzugehen und die Ereignisse zu verarbeiten". Sie litten bis heute, weil niemand für das Versagen des Staates persönlich Verantwortung übernommen habe.
Kerim und Semiya Simsek, die Kinder des ermordeten Enver Simsek aus Nürnberg, sind froh, dass der Prozess nun endlich beginnen kann. Die Verschiebung des Prozessauftaktes bedeutet für sie eine große Belastung, weil sie sich ganz darauf konzentriert hatten. "Diese Kraft und Stärke müssen sie nun neuerlich aufbringen", erklärten ihre Anwälte Stephan Lucas und Jens Rabe.
Für die Simsek-Geschwister sei es wichtig, dass Beate Zschäpe im Prozess redet, sagte Stephan Lucas gestern in München. Das sei "das einzige, was diese Frau noch für uns tun kann." Sie hoffen darauf, dass die Angeklagte ihr Schweigen bricht und zu den Vorwürfen Stellung nimmt. Semiya und Kerim Simsek wollen als Nebenkläger im Prozess auch Fragen zum Versagen der Sicherheitsbehörden stellen.
"Wir erwarten, dass das Gericht auch solche Fragen zulässt", erklärten die Anwälte der Geschwister und appellierten an das Oberlandesgericht, mit den Opfern menschlich und sensibel umzugehen. Die Vorgehensweise des Gerichts bei der Frage der Akkreditierung türkischer Medien haben die Geschwister als "arrogant" empfunden. Ziel muss für sie ein Urteil sein, das nicht nur bindend ist, sondern breite Akzeptanz findet. Nur dann wird Gerechtigkeit auch für die Opfer fühlbar.
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de