"Dialog der Herzen und des Geistes"
In einem im Internet veröffentlichten offenen Brief an Papst Benedikt fordern die Unterzeichner – unter ihnen die Großmuftis aus neun islamischen Staaten und wichtige Religionsgelehrte aus weiteren zehn Staaten, darunter auch Saudi-Arabien und Iran, dass man sich entfernen müsse vom "Zorn der Straße" und mit Respekt und Verständnis in einen offenen Dialog miteinander eintreten solle.
Nur verbohrte Islamgegner behaupten, dass es solche Bereitschaft zum friedlichen Dialog unter Muslimen nicht gebe. Und so dürfte denn auch keiner der Unterzeichner hier eine für ihn selbst wirklich neue Haltung ausgedrückt haben.
Dass sich aber so viele Gemäßigte und Besonnene aus so unterschiedlichen Ländern wie Iran und Marokko, dem Kosovo und aus Malaysia oder der Türkei und Russland zusammengefunden haben, um eine gemeinsame Position zu entwickeln und zu veröffentlichen, ist ein Novum.
Ein beachtliches Novum, denn bisher waren solche Stimmen der Vernunft nur einzeln zu hören und sie gingen prompt unter im Lärm und Tumult, den die Fanatiker und deren blinde Gefolgschaft auf der Straße erzeugen und inszenieren. Auch jetzt bleibt natürlich ungewiss, ob und in welchem Maß der Appell der 38 Moslemführer Einfluss haben und den Fanatikern ein Gegengewicht setzen kann.
So wäre es denn unter anderem schon einmal sehr nützlich, wenn der offene Brief nicht nur – wie geschehen – auf einer amerikanischen Internetseite erscheint, sondern auch in den Ländern der Unterzeichner möglichst große Verbreitung findet.
Denn zwar ist dies ein Brief an den Papst, aber gleichzeitig ist die Botschaft des Briefes doch auch an die Muslime weltweit gerichtet. Ohne Unterschied staatlicher Zugehörigkeit und ohne Rücksicht auf die ewige Konkurrenz zwischen Sunniten und Schiiten.
Der eingeforderte oder angebotene Dialog darf sich natürlich auch nicht auf die theologische Ebene beschränken:
Es geht nicht in erster Linie um die gegenseitige Verständigung unter "Männern des Buches" über religiöse und theologische Fragen, sondern diese sollen Vorbild sein für die breiten Massen, die – im Islam wie im Christentum – voneinander nichts wissen, voreinander Angst haben und gegeneinander polemisieren oder gar tätlich werden.
Der Brief der 38 muss deswegen als ein gesellschaftspolitischer Appell zum Dialog verstanden werden, den beide Seiten bitter nötig haben.
Ein solcher Dialog wird – spätestens seit dem 11. September – im christlich geprägten Westen verstärkt gefordert. Bisher waren solche Forderungen aber bei genauerem Hinsehen nicht viel mehr als die Aufforderung an die Muslime: Nun seid doch endlich mal so wie wir.
Und trotz einer wahren Flut von Dialog-Veranstaltungen redete man nur allzu oft aneinander vorbei. Die muslimische Seite muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie es ihren Kritikern auf christlicher Seite ja auch leicht machte, weil man es an Geschlossenheit mangeln ließ und – so wie die Christen es ja auch taten – von der Gegenseite etwas einforderte, ohne selbst wirklich etwas anzubieten.
Der Brief der 38 ist ein Angebot. Wir sollten es ernst nehmen und darauf eingehen. Nicht nur der Papst, sondern auch der einfache Mann in Frankfurt, London oder Islamabad.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE 2006