“Salam, Salam, Salam“
Die Straßen zur syrisch-katholischen Kirche „Unserer lieben Frau“ im Bagdader Stadtviertel Karrada sind menschenleer. Schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten kontrollieren jeden, der sich der Kirche nähern will. Nur mit Sondergenehmigung darf man die Sicherheitskräfte passieren.
Im Kirchhof haben sich die Gemeindemitglieder versammelt. „So viele habe ich schon lange nicht mehr gesehen“, sagt Muna stolz. Sie sitzen auf Stühlen, und haben fast alle weiße Baseballmützen mit dem Konterfei von Papst Franziskus auf dem Kopf. Außerdem tragen sie T-Shirts mit dem Slogan des für sie wohl bedeutendsten Besuchers aller Zeiten: „Wir sind alle Brüder!“
Noch nie hat ein Oberhaupt der katholischen Kirche den Irak besucht, das antike Mesopotamien im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Und noch nie war dieser Besuch für die Menschen hier, die zu den Urgemeinden des Christentums zählen, so wichtig. „Ich habe ihn zwar schon in Rom gesehen, als ich auf Pilgerfahrt war“, erzählt Muna, „aber dass er zu uns kommt, hat eine andere Bedeutung“. In die Kirche hinein dürfe sie zwar nicht. Wegen Corona seien nur 100 Leute zugelassen. Aber dabei sein, die Nähe des Papstes zu wissen, das gäbe ihr Kraft und Zuversicht.
Der Irak ist nicht irgendein Land, das der Pontifex drei Tage lang besucht hat. Es war wohl seine schwierigste Auslandsreise in acht Jahren Amtszeit. Noch zwei Tage vor seiner Ankunft am Flughafen in Bagdad wurden zehn Raketen auf eine Militärbasis in der Nachbarprovinz Anbar abgefeuert. Und in Erbil, im nordischen Kurdistan, wo der Papst am letzten Tag seiner Reise im Fußballstadion eine Messe las, wurde zwei Wochen vorher der Flughafen ebenfalls mit Katjuscha-Raketen beschossen.
Obwohl die Angriffe ausnahmslos den Amerikanern galten, kann man den Irak nicht als sicher bezeichnen, zumal auch die sunnitische Terrormiliz IS im Norden wieder vermehrt von sich reden macht. Für den Doppelanschlag auf einem Markt in Bagdad Ende Januar, unweit der Kirche in Karrada, zeichnete der IS verantwortlich. Und dann waren da noch Corona und die britische Mutante, die auch im Irak die Infektionszahlen nach oben schnellen lässt. Doch der Papst hatte sich entschieden zu kommen, trotz und vielleicht auch gerade wegen der vielen Probleme, die es gibt. Er ist keiner, der sich wegducken will.
„Baba Francesco“, der Popstar
Entsprechend wurde sein Mut gefeiert. Wie ein Popstar wurde „Baba Francesco“ bejubelt. Ein Song wurde extra für ihn komponiert. Nahezu alle Fernsehstationen übertrugen seine Pilgerreise im Land Abrahams live. Die Zeitungen druckten Sonderausgaben. Der ganze Irak schmückte sich mit Postern und Plakaten, auf denen Franziskus lächelnd den Menschen zuwinkte.
Während in Bagdad und im Süden, den Stationen der ersten beiden Tage seiner Reise, Ausgangssperre herrschte und die Straßen weitgehend leer waren, säumten am letzten Tag im Nordirak Tausende seine Wege und winkten ihm zu. Endlich gab es etwas Positives in diesem von Krieg und Terror gebeutelten Land, in dem einst das biblische Paradies lag.
Dass der Papst die syrisch-katholische Kirche in Karrada am linken Tigrisufer zuerst besuchte, lag nicht daran, dass die Vatikan-Botschaft schräg gegenüber liegt, wo er die ganze Zeit nächtigte, sondern hatte einen ganz besonderen Grund. Die Kirche mit dem markanten Turm, der aussieht wie eine Pforte mit einem Kreuz, ist für die irakischen Christen zu einem Ort des Schreckens geworden. Vor zehn Jahren überfielen islamistische Terroristen von Al Qaida das Gotteshaus, in dem gerade eine Messe gefeiert wurde. Fünf schwer bewaffnete Männer nahmen alle Anwesenden als Geiseln und forderten die Freilassung von verhafteten Dschihadisten.
Die irakischen Sicherheitskräfte versuchten, zusammen mit US-Soldaten die Geiseln zu befreien, doch die Terroristen zündeten Sprengsätze, nachdem die Menschen zuvor gezwungen worden waren, sich auf den Boden zu legen. Ein unbeschreibliches Blutbad nahm seinen Lauf. 68 Gläubige fanden den Tod. Die Folgen dieses Massakers waren gravierend. Tausende von Christen verließen das Land, flohen in die Nachbarländer, um schließlich einen Antrag auf Einreise in die USA, Kanada oder Europa zu stellen. Ein Exodus ohne Beispiel.
Doch nur vier Jahre später, 2014, wurden die Christen erneut zur Zielscheibe islamischer Extremisten. Dieses Mal nannten sie sich „Islamischer Staat“ oder arabisch Daesh. Ihre Vertreibung aus Mosul, damals noch Iraks zweitgrößter Stadt, und dem ausnahmslos von Christen bewohnten Karakosh 40 Kilometer entfernt, ließ wiederum Tausende fliehen. Viele fanden Zuflucht in den Kurdengebieten, in Erbil und Umgebung.
Der Exodus der Christen
Doch viele Christen verließen den Irak auch für immer. Seit dem Einmarsch der Amerikaner und Briten 2003 und dem Sturz Saddam Husseins, haben Dreiviertel aller Christen das Land verlassen. Schätzungen zufolge gibt es derzeit nur noch etwa 300.000 Angehörige christlicher Religionen im Zweistromland. Papst Franziskus besuchte all diese Orte des Schreckens und zeigte sein Mitgefühl. Seine Botschaft war klar: „Ich bin mit euch, bleibt hier.“ Ob er damit den Exodus stoppen kann, bleibt eine andere Frage.
Doch der Papst hatte noch eine zweite Botschaft für seine Pilgerreise: Er wollte ein Zeichen setzen für den interreligiösen Dialog, für Versöhnung und gegenseitigen Respekt. Dafür reiste er nach Najaf, zweieinhalb Autostunden südlich von Bagdad, um den schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani zu treffen. Sein Haus liegt in einer schmalen Gasse abseits der Hauptstraße. Franziskus ging die letzten Meter zu Fuß, obwohl er Gehschwierigkeiten hatte.
Auch folgte er der allgemeinen Sitte und zog seine Schuhe aus, als er das Haus des Ajatollahs betrat. Und da saßen sie sich nun gegenüber in einem schmucklosen Raum, in gebührendem Corona-Abstand: der höchste Würdenträger der katholischen Kirche aus Rom und der oberste Führer der Schiiten im Irak. Für die Christen war das Treffen der beiden alten Männer, Franziskus 84, Sistani 90, wichtig. Sie brauchen den Schutz der schiitischen Mehrheit im Land. Außerdem haben Sistani und Franziskus einiges gemeinsam. Sie verurteilen den Terror, der nichts mit Religion zu tun habe und dem man energischer entgegentreten müsse. Beide wollen nichts mit Politik zu tun haben, mischen sich aber gelegentlich ein.
Mit seinem Plädoyer für eine strikte Trennung von Religion und Politik steht der Großajatollah in vollem Gegensatz zu seinen Kollegen im Iran, die politische Ämter bekleiden und uneingeschränkte Macht ausüben. Zuweilen schickt er aber auch donnernde Worte aus Nadjaf in Richtung Bagdad, wenn er die irakischen Politiker dazu auffordert, die Forderungen der Menschen ernst zu nehmen und die Korruption zu bekämpfen. Damit liegt er ganz auf der Linie von Franziskus, der beim Empfang des irakischen Präsidenten gleich nach seiner Ankunft in Bagdad die Regierung aufforderte, auf dem Weg der Demokratie voranzugehen, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämpfen.
Den herrschenden Ajatollahs im Iran dürfte der Besuch des Papstes bei ihrem Widersacher Sistani nicht so gefallen haben, denn die Spannungen im Irak zwischen denjenigen Schiiten, die dem Iran zugeneigt sind und jenen, die nach einem von Iran unabhängigen Irak streben, nehmen derzeit enorm zu.
Das Szenario der Zukunft im Zweistromland ist längst nicht mehr Schiiten gegen Sunniten, sondern „iranische Schiiten“ gegen „irakische Schiiten“. So hat der Besuch von Franziskus im Haus von al-Sistani dann doch auch eine politische Note bekommen.
Franziskus Anliegen war aber nicht in erster Linie das Treffen mit dem Schiitenführer, das nur knapp eine Stunde dauerte, sondern der interreligiöse Dialog an der Stelle, wo der Stammvater aller drei monotheistischen Religionen gewohnt haben soll: Abraham, im Koran heißt er Ibrahim. „Es ist der Glaube, der uns verbindet“ sagte Franziskus zum Auftakt seines Besuchs in Ur, nachdem aus dem biblischen Buch Genesis über den Anfang allen Lebens vorgelesen worden war und Vertreter alle Religionen im Irak sich versammelt hatten. „Nur gemeinsam können wir zum Frieden finden“. Der Meinungsaustausch sei sehr intensiv gewesen, sagte nachher der Erzbischof von Basra, Habib Jajou, der bei dem Treffen dabei war. Das Fazit war: „Salam, Salam, Salam!“ Frieden für ein Land, das so viel Krieg, Terror und Leid ertragen musste.
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