Zeichen der Versöhnung
Mit der großen Geste dieses Tages überrascht Papst Franziskus gleich zu Beginn seiner Reise ins palästinensische Bethlehem: Auf seinem Weg zur Messe im Zentrum der Stadt steigt er aus dem offenen Papamobil und nähert sich der israelischen Trennmauer. Vor dem acht Meter hohen Wall gleich neben dem Aida-Flüchtlingslager verharrt er Minuten im Gebet, seine Hand liegt auf dem Beton. Nur wenige Schritte neben dem Graffiti "Free Palestine!".
Sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte sich bei seinem Besuch 2009 kritisch zu der Sperranlage geäußert - und dieses Symbolbild gemieden. Franziskus geht weiter als sein Vorgänger, auch hier. Im Bethlehemer Amtssitz von Präsident Mahmoud Abbas spricht er - erstmals überhaupt für einen Papst - vom "Staat Palästina". Er betont die Notwendigkeit eines friedlichen Miteinanders im Heiligen Land, einer Zwei-Staaten-Regelung.
Ein weiterer Schritt der vatikanischen Gratwanderung zwischen Israel und Palästina. Aber für die Christen vor Ort steht Franziskus mit seinem Besuch am Ursprungsort ihres Glaubens bereits in einer Tradition. Hinter dem Papst zeigt ein gewaltiges Wandgemälde seine Vorgänger Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. - rechts neben ihm ist der Heilige Franziskus zu sehen, sein Vorbild.
Volksfeststimmung in Bethlehem
Das trifft die Erwartungen der Menschen in der Geburtsstadt Jesu, die sich Wochen auf diesen Tag (25.05.2014) vorbereitet hatten. Die Stimmung auf dem Krippenplatz gleich vor der Geburtskirche, dem Wahrzeichen Bethlehems, ähnelt am frühen Morgen einem Volksfest. Seit fünf Uhr früh hatten palästinensische Sicherheitsbeamte die Straßen rund um den Platz abgesperrt. "Ich hoffe sehr, dass Papst Franziskus etwas von unserer Situation hier mitbekommt", sagt Salib, ein junger Palästinenser aus Bethlehem. "Es ist sehr wichtig für uns Christen, dass er hier ist und sieht, wie schwierig das Leben hier ist."
Als um viertel vor neun Uhr die Helikopter aus dem benachbarten Jordanien mit Papst Franziskus an Bord eine Ehrenrunde über Bethlehem fliegen, gibt es lauten Jubel in der Menge auf dem Krippenplatz. Erst nach seinem Aufenthalt im israelisch-besetzten Westjordanland reist er nach Israel weiter - auch das ein diplomatisches Novum auf der Reise, was in Israel im Vorfeld für Irritationen gesorgt hat.
"Ich wollte ihn einfach erleben"
Rund 9.600 Karten hatten die Verantwortlichen für den Gottesdienst vergeben. Christen aus dem israelisch-besetzten Westjordanland, aus Israel aber auch aus aller Welt hatten sich schon in der Nacht auf den Weg machen müssen, um an der einzigen großen Messe westlich des Jordan teilzunehmen. Es war die einzige Gelegenheit für die einheimischen Christen, den Papst zu erleben. Nur knapp sieben Stunden verweilte er in Bethlehem. "Ich bin ganz glücklich, dass er hier war. Es war zwar kurz, aber er hat den Menschen hier etwas Zuversicht gebracht, und man hat ein Lächeln auf dem Gesicht", sagt die junge Christin Oriana aus Bethlehem.
Eine philippinische Christin, die in Jerusalem als Haushaltshilfe arbeitet, ist mit ihren Freundinnen unterwegs: "Für uns ist der Papst sehr wichtig. Ich wollte ihn einfach beten hören und ihn erleben", sagt die junge Frau. "Es ist etwas, das ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde", sagt Brian aus Virginia (USA), der im Heiligen Land als Freiwilliger arbeitet. "Es war sehr bewegend, hier dabei zu sein."
Doch vor allem für die Palästinenser ist dies ein wichtiger Tag. "Für mich war das heute sehr bewegend, dass er uns seinen emotionalen Beistand gegeben hat", sagt Nicola Hamdan, ein junger palästinensischer Pfadfinder, der bei der Organisation der Messe mitgeholfen hat.
Christen auf dem Rückzug
Der Papst begegnet dabei einem Heiligen Land, das immer mehr Christen verlassen. Das erfuhr der Papst auch bei seinem Mittagessen mit palästinensischen Familien, darunter eine Christin aus Gaza. Die christliche Gemeinde in Gaza-Stadt zählt nur noch geschätzte 1.300 Mitglieder, die katholische Gemeinde ist auf knapp 130 Mitglieder geschrumpft. Nur mit einer speziellen Genehmigung der israelischen Behörden dürfen die Menschen aus dem von Israel abriegelten Gebiet ausreisen, und nicht immer bekommt die gesamte Familie eine Ausreisegenehmigung. Auch für viele Bethlehemer sind die heiligen Stätten in Jerusalem, ob für Muslime oder Christen, nur mit einer speziellen Genehmigung erreichbar. Die israelische Sperranlage trennt die beiden Städte voneinander ab. Die Papstreise und die Gesten des Papstes haben für die arabischen Christen im Heiligen Land Symbolwert.
Nur noch geschätzt rund 50.000 Christen leben im Westjordanland, im Gazastreifen und Ostjerusalem, in Israel sind es rund 120.000 arabischsprachige Christen. Nicht wenige junge Christen denken daran, das Land zu verlassen. Schuld daran sei die schwierige politische und wirtschaftliche Situation im Land, so eine Umfrage.
"Unerträglicher Konflikt"
Papst Franziskus würdigt die schwierige Situation der Palästinenser bei einem Treffen mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas. Beide Seiten müssten ihre Anstrengungen verdoppeln, um diesen "unerträglichen Konflikt zu beenden und einen stabilen Frieden zu erreichen. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern habe dramatische Folgen, mahnt Franziskus. Er führe zu "Unsicherheit, zur Verweigerung der Rechte, zu Isolierung und Auswanderung ganzer Gemeinden und zu Not und Leiden aller Art."
Gleichzeitig spricht er eine Einladung an den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und den israelischen Präsidenten Schimon Peres aus - für ein gemeinsames Gebetstreffen im Vatikan. Beide, so heißt es rasch, haben die Einladung angenommen. Es ist ein eher symbolischer Akt - denn im Juni stehen in Israel Präsidentschaftswahlen an und der 90-jährige Peres tritt nicht mehr an. Aber es ist ein Schritt im Zeichen des Dialogs, den der Papst auf seiner kurzen Reise nachdrücklich angemahnt hat.
Historisches Treffen in Jerusalem
Nach Bethlehem, der zweiten Etappe seiner am Samstag (24.05.2014) in Jordanien begonnenen Reise durchs Heilige Land, hält sich Franziskus in Jerusalem auf. In der Altstadt ist es am Abend fast gespenstisch leer, nur israelische Sicherheitskräfte sind auf den Dächern platziert. Auch hier wieder eine symbolische, historische Geste und der eigentliche Höhepunkt seiner Reise: Vor der Grabeskirche treffen Papst Franziskus, der Katholik, und das Oberhaupt der Orthodoxen, Patriarch Bartholomaios, aufeinander. Sie umarmen sich und gehen gemeinsam durch die Kirchenpforte der Grabeskirche. Ganz wie vor 50 Jahren, als Papst Paul VI. und der orthodoxe Patriarch Athenagoras sich an gleichem Ort trafen und Geschichte schrieben in der Annäherung der Ost- und Westkirche.
Heute betont Papst Franziskus die Gemeinsamkeit im Glauben, und spricht sich für den Dialog aus: "Unsere Unstimmigkeiten sollten nicht den Fortschritt verhindern", sagt der Pontifex. Im Heiligen Land, in dem so viele christliche Konfessionen auf kleinem Raum bestehen, ist dies eine besonders wichtige Geste. Der zweite Tag der Nahostreise des Papstes ist ein Tag mit Symbolkraft.
Tania Krämer/Christoph Strack, z.Zt. Bethlehem
© Deutsche Welle 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de