Vor dem sozialen Kollaps?
Ägypten wird wirtschaftlich stabiler werden - wenn auch auf Kosten der politischen Freiheiten, die die Bürger im Verlauf der Revolution von 2011 erkämpft hatten. Das hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi seinen Landsleuten erst jüngst wieder versprochen. Al-Sisi, der den Militärputsch gegen den damaligen islamistischen Staatschef Mohammed Mursi 2013 mitanführte, glaubt, seine Beliebtheit damit steigern zu können. Doch den Ägyptern fällt es zunehmend schwerer, den Kurs ihres Staatsoberhauptes nachzuvollziehen.
"Wenn wir wirklich stabiler sind als der Irak und Syrien - was dann?", fragt etwa die 68-jährige Umm Heba. Sie ist mit ein paar verrosteten Ofenplatten auf dem Weg zu einem belebten Trödelmarkt im Zentrum Kairos. "Will Al-Sisi, dass das die Umstände sind, unter denen wir verhungern?"
Umm Heba erhält zwar einen monatlichen Zuschuss von 400 ägyptischen Pfund (etwa 20 Euro) durch das staatliche Förderprogramm "Takaful wa Karama" (Solidarität und Würde). Doch das Geld reicht nicht. "Al-Sisi sollte sich um uns Arme kümmern und nicht um die Leute in Marina", sagt sie. Marina, ein Touristenressort an der Mittelmeerküste, gilt als ein beliebtes Urlaubsziel für wohlhabende Ägypter.
Nützen Großprojekte den Armen?
Vergangene Woche behauptete Al-Sisi, dass Ägypten politisch und in Sicherheitsfragen weitaus besser dran sei als noch vor fünf Jahren, als ihn die aufgebrachten Massen an die Macht gebracht hatten. Es war allerdings die jüngste Preiserhöhung, über die sich die Menschen unmittelbar danach in den sozialen Medien empörten und teilweise den Rücktritt des Präsidenten forderten.
Al-Sisis Botschaft lässt sich kaum in Einklang bringen mit kritischen Fragen, ob die großen nationalen Wirtschaftsprojekte der Regierung auch positive Auswirkungen für die Ärmeren mit sich gebracht haben. Zu den jüngsten Infrastrukturplänen zählen der Ausbau des Suezkanals, der Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt östlich von Kairo und der Bau des größten Kohlekraftwerks der Welt.
Kostensteigerungen als Folge der Inflation
Der 21-jährige Omar Hany ist der einzige Versorger seiner Familie. An sechs Tagen der Woche verkauft der junge Mann auf dem Ataba-Markt Produkte wie Verlängerungskabel und Rasierer. Er muss täglich Waren im Wert von etwa 1.000 ägyptischen Pfund verkaufen, um überhaupt einen Gewinn zu erzielen. An den meisten Tagen kann er seine Kosten jedoch kaum decken. "Ich bin dieses Land müde, um ehrlich zu sein", erzählt er. "Es war besser unter Präsident Mubarak vor 2011 als jetzt unter Al-Sisi. Jeden Tag steigen die Kosten für Waren und es wird schwieriger, über die Runden zu kommen."
Die regierungsnahen Medien haben die Ägypter immer wieder dazu aufgerufen, geduldig zu warten, bis sie von den wirtschaftlichen Sparmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) profitieren, die Bedingung eines Kreditpakets von umgerechnet zehn Milliarden Euro sind.
Der IWF beurteilt die wirtschaftliche Lage Ägyptens positiv und stellt fest, dass die extreme Armut praktisch ausradiert sei. Dennoch lebe fast ein Drittel der schnell wachsenden Bevölkerung immer noch unterhalb der Armutsgrenze. Der Währungsfonds rät, einkommensschwache Familien zu schützen - das sei von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität Ägyptens.
Kampf ums nackte Überleben
Analysten bezweifeln dagegen, dass schnelle, auf Sparmaßnahmen basierende Wirtschaftsreformen die beste Lösung für die ägyptische Wirtschaft sind. "Als im November 2016 unsere Währung auf rund 18 ägyptische Pfund pro US-Dollar abgewertet wurde, war der Effekt viel gravierender als erwartet", erklärt Salma Hussein, Ökonomin der ägyptischen Initiative für Persönlichkeitsrechte.
Als aufstrebender Markt war Ägypten ein begehrtes Ziel für ausländische Investoren mit Reserven von über 44 Milliarden US-Dollar. Das entsprach einem Zuwachs von etwa zehn Milliarden US-Dollar im Vergleich zu der Zeit vor der Revolution von 2011. Die strukturellen wirtschaftlichen Probleme allerdings blieben bestehen.
"Die Staatsverschuldung steigt, so dass wir nun eine größere Lücke haben, die wir überbrücken müssen. Gepaart mit den sozialen Unruhen wegen des Ärgers über die hohen Preise, erscheint Ägypten plötzlich nicht mehr so attraktiv für Investoren", so Hussein.
Hussein empfiehlt der ägyptischen Regierung, die Sozialausgaben, beispielsweise für Gesundheit und Bildung, zur obersten Priorität zu erklären. "Viele der Indikatoren, die auf sozioökonomischen Ungleichheiten beruhen und die Revolution des Jahres 2011 mit ausgelöst haben, haben sich sogar noch verschlimmert. Schwer zu sagen, wie das enden wird", warnt sie.
Enttäuschung über das Scheitern der Revolution
Taha Abdel Rahman, der in einem gehobenen Kairoer Vorort Gerichte aus Favabohnen und Falafel verkauft, ist ebenfalls pessimistisch. "Wie kann man die Preise für Treibstoff, Strom und Wasser alle zur gleichen Zeit erhöhen? Ich habe das Gefühl, dass allmählich etwas passieren sollte. Zumindest die Löhne sollten angemessen sein, sonst werden die Leute noch wütender."
Der 64-jährige musste das Gehalt für die Mitarbeiter seines kleinen Ladens erhöhen, nachdem sich die Preise für die U-Bahn in den vergangenen drei Jahren verdreifacht hatten.
"Ich bin mehr traurig als wütend, wenn ich dieser Tage die Rechnungen bezahle, weil es kein Gleichgewicht mehr bei der Preisgestaltung gibt. Die Behörden sollten wirklich mehr tun, um zu kontrollieren, wie die Preise auf dem Markt verteilt werden", und fügt resigniert hinzu: "Ich war voller Hoffnung, als die Revolution ausbrach, doch ich habe mittlerweile das Gefühl, dass sie endgültig gescheitert ist. Seitdem verläuft hier alles enttäuschend für uns."
Farid Farid
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