Unabhängige Medien als Feinde des Systems
Mittagsnachrichten im syrischen Staatsfernsehen: Vor laufenden Kameras gesteht ein junger Mann, dass er einer radikalen islamischen Gruppe angehöre. Er hätte Demonstrationen gegen das Regime organisiert, um Unruhe zu stiften. Die staatlichen und privaten Medien im Land wiederholen die offizielle Version der Ereignisse.
Doch was wirklich in den Städten Latakia, Daraa oder Banyas passiert, ist schwer zu sagen. Eine unabhängige Berichterstattung ist nicht möglich. Ausländische Medien greifen auf Videos zurück, die Teilnehmer an Demonstrationen oder Einwohner der Städte gedreht haben oder sie befragen via Telefon Menschen vor Ort.
Im Visier der syrischen Sicherheitsdienste
Immer mehr Syrer gehen mittlerweile gegen das herrschende Baath-Regime auf die Straße. Die Machthaber reagieren mit Gewalt, mit Verhaftungen und allgegenwärtiger Zensur. "Skeyes", das Zentrum für Medien und kulturelle Freiheit in Beirut, sammelt Monat für Monat die Verstöße gegen die Meinungsfreiheit in Syrien.
Saad Kiwan, ein Mitarbeiter von "Skeyes", berichtet, dass die Lage für Medienschaffende in Syrien derzeit besonders schwierig ist, auch wenn dies bereits zuvor der Fall gewesen war: "Alles wird in diesem Land unter dem Aspekt der staatlichen Sicherheit gesehen", so Kiwan. "Unabhängigen Medienmachern ist es unmöglich ihre Arbeit zu tun. Das merken wir auch bei unseren Recherchen vor Ort. Unsere Mitarbeiter, die Informationen über Verhaftungen oder Gerichtsverfahren gegen Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten sammeln, müssen daher verdeckt arbeiten."
Skeyes meldet in seinem letzten Bericht die Verhaftung der jungen Blogger Wassim Hassan und Khalid al-Mubarak. Sie sitzen seit Mitte April in einem syrischen Gefängnis. Der Menschenrechtsaktivist Mahmoud Issa wurde, nachdem er dem Satellitensender Al-Jazeera ein Interview gegeben hatte, von syrischen Sicherheitskräften verhaftet.
Auch bekamen die Nachrichtensender Al-Arabiya und Al-Jazeera von den syrischen Behörden Warnungen über Demonstrationen zu berichten. Meldungen wie diese sind alltäglich in Syrien. Saad Kiwan schätzt, dass ungefähr 300 Journalisten, Blogger und Schriftsteller in Haft sind.
Auch Mazen Darwish muss jederzeit damit rechnen festgesetzt zu werden. Er darf das Land nicht verlassen und wird regelmäßig vom Geheimdienst verhört. Darwish ist Leiter des "Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit" in Damaskus, das trotz staatlicher Verfolgung versucht, die Medienlandschaft in Syrien zu beobachten und Berichte herauszugeben.
Tabus als journalistische Minenfelder
"Das erste Problem, mit dem jeder Journalist in Syrien konfrontiert wird, ist das Sammeln von Informationen", berichtet Darwish. "Es gibt kein Gesetz in Syrien, das dieses Recht den Medien garantiert. Im Gegenteil: Alle Behörden hegen eine besondere Feindschaft gegenüber Journalisten. Das zweite Problem sind die Tabus. Man hat das Gefühl, als würde man in einem Feld voller Minen umhergehen. Die Themen, die nicht angetastet werden dürfen, hängen mit der Politik des Regimes zusammen, mit den Bereichen Demokratie und Menschenrechte."
Mazen Darwish fordert daher die Aufhebung der restriktiven Gesetze, die die Arbeit der Medien in Syrien behindern und seiner Ansicht nach einen Ausnahmezustand für die Medien darstellen: "Über die Lizenzvergabe für neue Zeitungen, TV- oder Radiostationen entscheidet einzig und allein die Regierung", erzählt Darwish. "Es gibt auch keine Frist, an die sie sich halten muss. Ich kenne Leute, die schon vier, fünf Jahren auf eine Antwort auf ihren Antrag warten. Und wenn dieser dann abgelehnt wird, ist die Regierung nicht verpflichtet, ihre Entscheidung zu begründen."
Diese Praxis verhindere die Entstehung unabhängiger Medien in Syrien, so Darwish. Zwar gäbe es inzwischen private Zeitungen, TV- und Radiostationen, doch inhaltliche Unterschiede zu den offiziellen Organen seien kaum erkennbar. Denn welche Themen in den Medien behandelt werden dürften, hänge von der politischen Lage im Land und in der Region ab – und vor allem davon, wie selbstsicher sich das Regime fühle.
In dieser turbulenten Zeit würden Befehle an staatliche und private Medien ergehen, jede kritische Berichterstattung zu unterlassen. Dazu gehörten auch Themen wie die herrschende Korruption im Land.
Welche Tragweite die Pressezensur auf die Arbeit von Journalisten hat, beschreibt Khalil Suwailih, verantwortlicher Redakteur für die Kulturbeilage der staatlichen Tageszeitung Tishrin. In der jüngsten Ausgabe schrieb er in seiner Kolumne über den arabischen Frühling und die sozialen Medien. Die Lage in Syrien spricht er darin nicht direkt an. Doch seine Meinung kann man zwischen den Zeilen erahnen, wenn er sagt:
"Ich bin mein erster Zensor, ein innerer Wachhund steckt in mir. Und obwohl ich schon so viele Jahre Erfahrung habe, kann ich oft nicht sagen, wo wirklich die Grenzen liegen. An manchen Tagen bin ich dem ganzen Versteckspiel überdrüssig, dann denke ich, ich bin doch Journalist und kein Sklave und schreibe was mir gerade einfällt!"
Mona Naggar
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de