Streit um biblische Stätte Samaria eskaliert
Für die Israelis, besonders für die rechtsreligiöse israelische Regierung, ist der Ort Sebastia vor allem mit der biblischen Stadt Samaria verbunden. Den Anspruch der Palästinenser als dort über Jahrhunderte ansässige Bewohner auf das kulturelle Erbe des Ortes lehnt sie nicht nur ab, sondern will auch die archäologische Stätte nach ihren Vorstellungen umgestalten.
Sebastia ist ein kleines palästinensisches Dorf nordwestlich von Nablus, das wichtige Kulturschätze birgt. An seinem westlichen Rand befinden sich die archäologischen Überreste eines Palastes aus der israelitischen Omriden-Zeit sowie einer byzantinischen Kirche, die als Grabstätte von Johannes dem Täufer gilt; zudem reiche Funde aus römischer Zeit – ein Augustus-Tempel, ein Hippodrom, ein Theater und Säulen einer Basilika.
Die Stätte befindet sich bei der Unesco im Verfahren für die Anerkennung als Welterbe. Sie liegt in der israelisch besetzten und von Israel vollständig kontrollierten C-Zone der Westbank.
Zu erreichen ist das Gelände aber über eine Zufahrtsstraße und einen großen Parkplatz, die in der palästinensisch verwalteten B-Zone liegen. Besuchen israelische Touristen, meist aus dem Siedlerlager, den Ort, werden sie vom Militär begleitet. Dann müssen Besucher von der palästinensischen Seite weichen. Dagegen regt sich zunehmend Widerstand, der immer häufiger in Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten mündet.
1/2EU and like-minded visited the Palestinian town of Sebastia and its ancient archeological site. Interlocutors, including the mayor, briefed on the Palestinian cultural heritage of the site and the village’s conservation efforts. pic.twitter.com/Bo5ZHko4tK
— EU and Palestinians (@EUpalestinians) May 24, 2023
Auf dem Weg zum Unesco-Welterbe
Radikale Siedler beschuldigen neuerdings die Palästinenser, archäologische Schätze im Ort mutwillig zu zerstören. Obwohl die Beweise dafür äußerst zweifelhaft sind, schenkt ihnen die neue ultrarechte israelische Regierung gerne Glauben.
Schwere Vorwürfe erhob denn auch Amichai Eliahu, Minister für nationales Erbe von der rechtsradikalen Partei "Jüdische Stärke“, als er unlängst den Ort besuchte: "Die Leute hier versuchen, das gesamte jüdische Volk auszulöschen. Sie wollen die Geschichte des Volkes Israel ausradieren. Und das werden wir nicht hinnehmen.“
Schon vor Jahren wurde die archäologische Stätte von den Israelis zu einem Nationalpark erklärt, der nach der antiken Stadt Samaria (hebräisch: Shomron) benannt ist – diese soll im 9. Jahrhundert vor Christus von den biblischen Königen Omri und Achav des Nordkönigreichs Israel errichtet worden sein. Allerdings wurde Samaria schon wenige Jahrzehnte später von assyrischen Invasoren zerstört.
Die Palästinenser, die sich als die Ureinwohner des Gebiets begreifen, beanspruchen die Anlage für sich und nennen sie Sebastia – nach der Stadt, die König Herodes hier erst Jahrhunderte später baute. Sie werben für Sebastia als einer der wichtigsten archäologischen Stätten der Palästinensergebiete.
Ein 2017 in dem Dorf eröffnetes Museum präsentiert archäologische Funde, die größtenteils aus Rettungsgrabungen im Ort stammen. Forschungsgrabungen palästinensischer Archäologen werden von den Israelis sowohl auf dem Gelände der Stätte als auch im Dorf selbst systematisch verhindert.
Der Bürgermeister wehrt sich
Nun hat die israelische Regierung kürzlich ein rund neun Millionen Euro schweres Entwicklungsprogramm für die archäologische Stätte beschlossen. Die Palästinenser sehen dadurch ihr kulturelles Erbe bedroht.
Bürgermeister Muhammad Azem verurteilte gegenüber dem lokalen Radiosender Hayat das "Judaisierungsprojekt der Besatzungsbehörden“, das zum Ziel habe, die vollständige Kontrolle über die archäologische Stätte zu etablieren: "Sie soll doch offen sein für Besucher aus der ganzen Welt. Die Besatzung aber will die Stätte nur für die Siedler zugänglich machen, eine gefährliche Entwicklung, die in Sebastia eine neue Situation schaffen soll.“
Die Pläne der Israelis sähen vor, das Gelände der Stätte vollständig einzuzäunen, eine neue Zufahrtsstraße zu bauen, die auch mit der Straße zur benachbarten israelischen Siedlung Shavei Shomron verbunden werden soll. Azem befürchtet, dass die Israelis in einem weiteren Schritt auch Grabungen durchführen würden, "um Spuren ihrer, wie sie sagen, Vorfahren freizulegen.“
Dem palästinensischen Protest gegen das geplante israelische Projekt hat sich kürzlich eine kleine Delegation von EU-Diplomaten angeschlossen und den Ort besucht. Der deutsche Diplomat Sven von Burgsdorff, Vertreter der EU in den Palästinensergebieten, betonte in seiner Erklärung, dass das Gebiet und seine Kulturschätze allein den Palästinensern gehörten. Wenngleich Bürgermeister Azem solche Gesten begrüßt, hat er doch Zweifel, dass sich die Israelis davon beeindrucken ließen.
Er will versuchen, juristisch gegen die Baupläne vorzugehen und beruft sich dabei auf den Bodenbesitz der Dorfbewohner, der durch alte Grundbucheinträge belegt sei. Muhammad Azem hofft, damit wenigstens eine Verzögerung der bevorstehenden Bauarbeiten zu erreichen.
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