Geschichten über Freundschaft und Sehnsucht
Eine Maus verliebt sich in einen Elefanten, ein Löwe findet in einer Gazelle seine beste Freundin, ein Verrückter rettet ein Dorf vor einem Drachen und ein kleiner Rabe zeigt einem Pfau, dass Schönheit nicht alles ist.
Rafik Schamis Geschichten, versammelt in dem Band "Der Kameltreiber von Heidelberg", sind eine Mischung aus Fabel und Märchen. In den meisten dieser Erzählungen stehen Figuren im Mittelpunkt, die anders sind als ihre Artgenossen.
Benilo ist ein vegetarischer Löwe, der von seinen Kollegen im Rudel ausgelacht wird, weil er sich nur noch von Gräsern, Wurzeln und Beeren ernährt. Als er die Hänseleien der anderen nicht mehr erträgt, beschließt er, fort zu gehen. Er trifft auf eine einsame Gazelle, die ebenfalls ihre Herde verlassen hat, da sie viel langsamer und schwächer ist als ihre Artgenossen. Zu Beginn hat die Gazelle Mahagoni Angst vor dem Löwen Benilo, doch nach einer gemeinsam verbrachten Nacht, in der Benilo nicht im Schlaf über sie hergefallen ist, fasst sie Vertrauen in den Löwen, und gemeinsam ziehen sie durch die Steppe.
In Rafik Schamis Geschichten geht es um das Anderssein. Auf kindgerechte Art und Weise versucht der Autor, den Lesern und Zuhörern zu vermitteln, was Toleranz ist. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern auf ganz sanfte Weise erzählt er Geschichten von selbständigen kleinen Menschen, die trotz – oder gerade wegen – ihrer Andersartigkeit selbstbewusst und glücklich durchs Leben gehen.
Der kleine Rabe und der Pfau
Ein kleiner Rabe wächst nur mit seiner Mutter auf. Er ist oft einsam, da die Mutter alleine für ihn sorgen muss. Gelangweilt hüpft der kleine Vogel durch die Äste und besucht die andern Rabenkinder. Die Rabeneltern aber verachten den kleinen Raben und seine Mutter, die ihn so oft alleine lässt.
Doch weil der kleine Rabe selbstbewusster und pfiffiger ist als alle anderen Rabenkinder, macht er sich auf den Weg, um den Pfau zu finden und ihn zu fragen, warum er den ganzen Tag lang ein Rad schlägt.
Bei dem eingebildeten Pfau angekommen, belehrt der kleine Rabe den bunten Vogel und die anderen Tiere, die den Pfau bewundern, eines Bessern. Was nützt es schon, nur schön zu sein und bewundert zu werden? Den ganzen Tag nur Rad zu schlagen, sei kein Kunststück! Man müsse zum Beispiel auch Schnabelstehen können!
Auf charmante Art bringt Schami den Erwachsenen über diese geschickte Metaphorik zum Schmunzeln, und gleichzeitig bewundert der kleine Zuhörer die Helden der Geschichten. Alle Geschichten haben eine liebevolle Moral.
In der Titelgeschichte "Der Kameltreiber von Heidelberg" erzählt der Autor von dem syrischen Jungen Adel, der mit seinen Eltern in Heidelberg lebt. Aus einem verzauberten Buch steigt plötzlich der Opa des Jungen und erzählt ihm Geschichten aus seinem Leben.
Mit dem Großvater kommen nicht nur Geschichten aus einem fernen Land in das Heidelberger Wohnzimmer, auch Kaffeeduft und eine orientalische Atmosphäre machen sich in dem Raum breit. Adel lernt von seinem Großvater, wie man mit Kamelen spricht und befreit gleich eines aus dem Heidelberger Zoo, mit dem er sich anfreundet.
Melancholie und Fremde
In dieser Geschichte wird die Sehnsucht nach der Heimat, des syrischen Autors deutlich. Wegen politischer Unruhen in Syrien war Rafik Schami gezwungen, sein Land zu verlassen. Seit 1971 hat der Schriftsteller seine zweite Heimat in Deutschland gefunden. Schami weiß, wie es ist, fremd zu sein, und so erzählt er in seinen Geschichten mit einer orientalischen Melancholie von Charakteren, die anders sind.
Aber traurig sind seine Geschichten ganz und gar nicht. Fantasievoll erzählt er von Schweinen und Hühnern, Traumräubern, fliegenden Bäumen und schnabelstehenden Raben. Die sympathischen Figuren gehen mutig durch die Welt, und am Ende siegt immer das Gute.
Die Fabeln sind nicht nur für Kinder unterhaltsam, wie der Untertitel "Geschichten für Kinder jeden Alters" verrät. Auf einer Metaebene sind auch Botschaften für erwachsene Leser zu finden. Die Sprache, die Schami in seinen Geschichten benutzt, ist behutsam und entspannend.
Doch langweilig sind seine poetischen Einfälle ganz und gar nicht. Jede einzelne Geschichte hat ihren aufregenden Höhepunkt. Manche überraschen gar mit einer genialen Lösung.
Bemerkenswert sind auch die Illustrationen von Henrike Wilson. Die Bilder begleiten die Geschichten und unterstreichen durch den Einsatz kräftiger und erdiger Farben die Gelassenheit und Ruhe der Märchen.
Pouyeh Ansari
© Qantara.de 2006
Rafik Schami "Der Kameltreiber von Heidelberg. Geschichten für Kinder jeden Alters", Carl Hanser Verlag, München 2006.
Qantara.de
Rafik Schami
Die dunkle Seite der Liebe
Etwa hundert Jahre syrischer Geschichte und die verbotene Liebesgeschichte zweier Mitglieder verfeindeter Damaszener Familien erzählt Rafik Schami in seinem neusten, fast 900 Seiten umfassenden Roman. Mayke Walhorn und Alexander Bühler stellen das Buch vor.
Kinder- und Jugendliteratur
Unter dem Dach des Baobab
Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich Helene Schär für die Vermittlung eines differenzierten Bildes von Menschen aus fremden Gesellschaften und Kulturen in der Kinder- und Jugendliteratur ein. Sie ist Mitbegründerin des Kinderbuchfonds Baobab. Eva Massingue hat mit ihr gesprochen.
Mohieddin Ellabbad
Das Notizbuch des Zeichners
Der Ägypter Mohieddin Ellabbad gehört zu den großen Buchillustratoren und Zeichnern in der arabischen Welt. Seine Werke erscheinen auch im Westen und wurden dort mehrfach preisgekrönt. Jürgen Stryjak besuchte den Künstler in seinem Atelier im Kairoer Stadtteil Heliopolis.
Ägypten
Wir sind auch wer!
Bei einem ägyptisch-deutschen Workshop in Kairo sollte es um die interkulturellen Aspekte in Kinder- und Jugendbüchern gehen. Diskutiert wurde aber vor allem eines: Die Krise der ägyptischen Kinderliteratur. Aus Kairo informiert Jürgen Stryjak.
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