Entfremdung zweier Verbündeter
Zum ersten Mal stehen die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien bei den großen Konflikten des Nahen Ostens auf entgegengesetzten Seiten. Barack Obama hatte den Putsch gegen den ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi kritisiert, wohingegen Saudi-Arabien den Sturz des Muslimbruders begrüßte. Zudem verfolgt Saudi-Arabien, das sich als Führungsmacht der sunnitischen Welt versteht, mit Argwohn die amerikanische Annäherung an den Erzfeind Iran, die Führungsmacht der schiitischen Muslime.
Den größten Zorn hat in Saudi-Arabien aber Obamas Weigerung ausgelöst, Syrien nach dem Giftgasmassaker vom 21. August zu bombardieren. Das sichtbarste Zeichen dafür war schließlich Riads Weigerung, zwei Jahre als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat Platz zu nehmen. Offiziell begründete das saudische Außenministerium die Ablehnung der Wahl mit der Ineffizienz des UN-Sicherheitsrats. In Wirklichkeit war es eine Ohrfeige für den Partner, dem Saudi-Arabien nicht länger zu vertrauen glaubt. Die saudische Königsfamilie setzt sich zunehmend vom amerikanischen Präsidenten ab.
Wie eng die Beziehungen zwischen dem lange weltgrößten Ölexporteur und dem weiter weltgrößten Ölverbraucher über ein halbes Jahrhundert einst waren, dokumentieren zwei historische Fotos. Auf dem einen vom 14. Februar 1945 sitzen Präsident Franklin D. Roosevelt und der saudische König Abdalaziz Bin Saud auf dem Deck des amerikanischen Kriegsschiff USS Quincy, das sich im Roten Meer befand. Roosevelt sicherte dem König im Gegenzug für den Zugang zu saudischem Öl zu, die territoriale Integrität des Königreichs zu schützen und ihn fortan als den wichtigsten Partner Amerikas im Nahen Osten zu behandeln.
Der saudische König brauchte einen starken Verbündeten, und auch die Vereinigten Staaten brauchten einen verlässlichen Partner. Im Kalten Krieg sollte Saudi-Arabien der wichtigste Partner in der arabischen Welt bleiben. Ägypten, Syrien und der Irak fielen in den Orbit der Sowjetunion, und Iran, der zweite Pfeiler am Golf, fiel mit der Revolution von 1979 weg.
Furcht vor amerikanischer Annäherung mit Iran
Das zweite historische Foto zeigt am 27. August 2002 den amerikanischen Präsidenten George W. Bush, wie er sich auf seiner Farm in Crawford mit dem ebenfalls leger gekleideten saudischen Botschafter Bandar Bin Sultan Al Saud, der lässig auf einer Couchlehne sitzt, unterhält. Der Kontakt zwischen beiden war so eng, dass Bandar bei dem Präsidenten erreichte, noch am 11. September trotz des geschlossenen Luftraums zwei Flugzeuge mit saudischen Bürgern in die Heimat zurückfliegen zu lassen.
Dass 15 der 19 Attentäter saudische Bürger waren, führte zur ersten nachhaltigen Verschlechterung der Beziehungen. Frühere Stresstests, wie 1948 die saudische Kritik an der amerikanischen Unterstützung für die Gründung des Staats Israel, waren von kurzer Dauer. Saudi-Arabien fühlte sich damals weder außen- noch innenpolitisch durch den neuen Staat bedroht. Die Sicherung der amerikanischen Unterstützung, politisch und militärisch, war dem saudischen König wichtiger. Nicht zuletzt angesichts der zunehmenden kommunistischen Bedrohung und der anrollenden Welle eines linken arabischen Nationalismus.
Nie dagewesene Entfremdung
Erst drei Entwicklungen in den vergangenen Jahren führten zu einer nie da gewesenen Entfremdung. Erstens fürchten die Saudis die Umwälzungen, die 2011 in der arabischen Welt eingesetzt haben. Die Saudis kritisierten die Vereinigten Staaten offen dafür, dass sie Husni Mubarak in Ägypten und Zain al Abidin Ben Ali in Tunesien – beide langjährige Verbündete von Washington und Riad – fallenließen. Washington missbilligte den Putsch in Ägypten vom 3. Juli 2013, während Riad daran nicht unbeteiligt war. Die Saudis fürchten, dass die Ideologie der islamistischen Muslimbruderschaft auf ihre (junge) Bevölkerung übergreift und die Herrschaft der Al Saud gefährdet.
Während das salafistische Ordnungsmodell der Saudis besagt, dass die Herrschaft dem führenden Stamm zustehe, den Al Saud also, und die wahhabitischen Theologen dafür die Gesellschaft gestalten dürfen, fordern die Muslimbrüder, dass jeder Bürger Politik machen soll. Damit diese Gedanken nicht um sich greifen, will sich die Königsfamilie mit einem nie dagewesenen Ausbau des ohnehin üppigen Wohlfahrtsstaats Loyalität erkaufen. Sie erkauft sich damit lediglich Zeit; von Dauer ist die Zufriedenheit nicht. Denn der Staatshaushalt benötigt bereits einen Ölpreis von über 80 Dollar je Barrel Rohöl. Die Unzufriedenheit nimmt dennoch weiter zu, wie kürzlich eine Aktion der Frauen zeigte, die hinter dem Lenkrad gegen das Frauenfahrverbot demonstrierten.
Zum Zweiten fürchten die Saudis eine amerikanischen Einigung mit Iran. Alle arabischen Golfstaaten würden bei einer erfolgreichen Annäherung ihre Vorzugsbehandlung durch die Amerikaner verlieren, und sie wären am Golf für Washington nicht länger von Belang. Die Golfstaaten blasen daher in dasselbe Horn wie Israel und warnen den Westen vor "Feigheit" gegenüber Iran. Die schlimmste arabische Befürchtung ist eine schiitische Achse, die durch die iranische Bombe abgesichert ist.
Daher versuchen die Saudis und andere Golfstaaten, in Syrien um jeden Preis das Regime von Baschar al Assad zu stürzen. Seit Saladin im 12. Jahrhundert hatten die sunnitischen Muslime die Schiiten zurück und an den Rand gedrängt. Erst in der Gegenwart ist nun erstmals eine Gegenbewegung entstanden – mit einer schiitischen Achse von Teheran über Bagdad und Damaskus bis Beirut. Die Schiiten werden diese Achse verteidigen; die Sunniten sehen mit dem Sturz Assads eine Chance, sie zu brechen. Die Weigerung Obamas, Syrien zu bombardieren und seine Annäherung an Iran zerstören diese Hoffnung.
Streit um Washingtons Energiepolitik
Zum Dritten gefährdet die amerikanische Energiewende saudische Interessen. Bei einer Energieunabhängigkeit werden sich die Vereinigten Staaten nicht länger von den Ölproduzenten am Golf erpressen lassen. Wenn die amerikanische Wirtschaft kein Öl mehr aus Nahost bezieht, wird die amerikanische Regierung nicht länger bereit sein, in die Sicherheitsarchitektur der Region zu investieren. Die Golfstaaten bräuchten also neue Sicherheitspartner.
Die außenpolitischen Ziele, die Saudi-Arabien – selbst im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten – zu verfolgen bereit ist, werden in Syrien sichtbar. Dort unterstützen die Saudis nicht jene die Rebellen, die Washington gerne als Sieger sähe, sondern salafistische Milizen und Dschihadisten, denen Riad alleine zutraut, Assad zu stürzen. Erst in jüngster Zeit versucht Bandar Bin Sultan, inzwischen Geheimdienstchef, jene Dschihadisten zu schwächen, die eine internationale Agenda haben, also eine, die über Syrien hinausgreift.
Eine zweite Front des saudischen Engagements im syrischen Bürgerkrieg ist der Kampf gegen das schiitische Iran und dessen schiitisch-alawitischen Verbündeten Assad. Mit ihrer massiven Unterstützung für die sunnitischen Rebellen haben die Saudis wesentlich zur Konfessionalisierung des Konflikts beigetragen. An einer dritten Front müssen sie zudem verhindern, dass in der politischen Opposition die Muslimbrüder zu stark werden. Daher setzten die Saudis als Vorsitzenden der syrischen Nationalen Koalition einen Scheich aus dem Stamme der Schammar durch, aus dem auch die Mutter des saudischen Königs Abdallah stammte.
Bislang gelang es der saudischen Königsfamilie, die Region destabilisierende Entwicklungen von der eigenen Bevölkerung fernzuhalten. Dennoch sind die besten Zeiten für die reichen Golfstaaten vorbei. Es wäre eine Illusion anzunehmen, sie blieben von den Umwälzungen unberührt.
Rainer Hermann
© Frankfurter Allgemeine Zeitung
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de