Eine stille Revolution
Ashrafs Outfit liegt voll im Trend. Ein Hipster, wie er im Buche steht. Er könnte heute eigentlich bester Laune sein, aber während er noch immer darauf wartet, einen positiven Asylbescheid aus den USA zu bekommen, ist die Situation des Libyers bestenfalls als schwierig zu bezeichnen. Ashraf ist homosexuell.
"Ich warte nun schon über ein Jahr und versuche mir auszumalen, wie es weitergeht, aber das gelingt mir kaum", sagt er. Für Ashraf war es schon schwierig genug, Libyen hinter sich zu lassen, aber nun steht er vor einer neuen Herausforderung und zwar vor einer, die voraussichtlich sein gesamtes zukünftiges Leben beeinflussen wird.
Mit 33 Jahren weiß er, dass ihm die Anerkennung als Asylant in den USA viele neue Chancen eröffnen würde. Im Moment arbeitet er nicht und wartet auf die nötigen Unterlagen und eine Greencard, um ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Zunahme der Asylanträge in den USA
Im Jahr 2011 wurden in den USA 74.000 Asylanträge gestellt, was einer Zunahme von mehr als 50 Prozent verglichen mit den 49.000 im Jahr 2008 entspricht. Auch wenn die sexuelle Orientierung als Asylgrund nicht gesondert ausgewiesen wird, ordnete Präsident Obama noch im selben Jahr an, dass die Zugehörigkeit zur Gruppe der LGBT als Grund anzuerkennen ist, wenn die betreffenden Personen aus Ländern stammen, in denen sie deshalb von Ausgrenzung und Gewalt bedroht sind.
Gleichzeitig aber gelten in vielen Bundesstaaten der USA noch immer Gesetze gegen homosexuelle Aktivitäten, etwa der Sodomie, was es erschwert, diesbezüglich begründete Asylanträge positiv beschieden zu bekommen.
Die Geschichte sexuell-motivierter Asylanträge reicht zurück bis ins Jahr 1994. Seit dieser Zeit suchten mehr und mehr Menschen Zuflucht und Sicherheit in den Vereinigten Staaten und entflohen der sexuellen Diskriminierung in ihren Heimatländern. Trotz der Hürden, die es noch immer zu überwinden gibt, diese Fälle anzustrengen, Klage zu führen und schließlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, ist die Zahl der Bewerber langsam gestiegen.
Assem El-Tawdi war in seiner Heimat Ägypten erheblicher Diskriminierung ausgesetzt, bevor er vor einem Jahrzehnt in die USA floh. Er befand sich auf dem sogenannten "Queen Boat" in Kairo, auf dem eine Schwulenparty stattfand, von der bei der berüchtigten Razzia vom 11. Mai 2001 mehr als 50 Personen festgenommen wurden. 23 von ihnen wurden in der Folge wegen angeblicher Verhöhnung des Islam angeklagt, gefoltert und vergewaltigt. Einige der Feiernden wurden zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe und Zwangsarbeit verurteilt.Weil er um sein Leben fürchten musste, floh El-Tawdi aus Ägypten und stellte in den USA einen Asylantrag, der auch bewilligt wurde, nachdem es ihm gelungen war, seine homosexuelle Orientierung zu belegen. Heute lebt er in San Francisco. „Die Mehrheit der Menschen in der arabischen Welt toleriert unsere Existenz nicht und das muss sich ändern. Dazu versuche ich, einen Beitrag zu leisten“, sagt er.
Beweise für die sexuelle Orientierung
Um eine homosexuelle Orientierung nachzuweisen, müssen die Asylbewerber den Einwanderungsbehörden gegenüber beweisen, dass sie in ihrem Heimatlied „aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden“, wie es auf der Informationsseite Migrationinformation.org nachzulesen ist. Im Klartext heißt das, dass Tawdi belegen muss, dass ausschließlich seine Homosexualität der Grund für die Verfolgung in Ägypten war, nicht aber homosexuelle Aktivitäten, weil diese ja in einigen US-amerikanischen Staaten nach wie vor unter Strafe stehen.
El-Tawdi ist Gründer der Website Arabs4tolerance, der es um die Förderung von Verständnis und Toleranz gegenüber allen möglichen persönlichen Orientierungen und Lebensentwürfen in der arabischen Welt geht. Auch wenn er sich bewusst ist, was für eine Herausforderung dies ist, liegt ihm die Freiheit und seine LGBT-Gemeinschaft am Herzen. "Man kann auf jeden Fall davon sprechen, dass zurzeit eine stille Revolution im Gange ist. Viele Araber, die zu den LGBT gehören, vernetzen sich nun untereinander und mit denen außerhalb der arabischen Welt."
Und die Vereinigten Staatenes sind keineswegs das einzige Land, in dem die LGBT-Community vor Probleme gestellt wird. Auch in Großbritannien wird in der Presse und im Fernsehen immer mehr über diese Auseinandersetzungen gesprochen, was zeigt, dass es nicht leicht ist, die Diskriminierung und Todesangst, die man aus dem Heimatland mitbringt, hinter sich zu lassen, sondern dass es sich um einen schwierigen und mühevollen Prozess handelt.
Für Shrouk al-Attar bedeutete ihre sexuelle Orientierung, dass sie in Sünde lebte. Als ägyptische Studentin hörte Attar von Gomorrah, der biblischen Stadt, die von Gott zerstört wurde, weil ihre Bewohner homosexuell waren. So erkannte sie, welches Verständnis ihrer Identität vorherrschte und wie sie in der ägyptischen Gesellschaft deshalb angesehen wird. "Mir wurde klar, dass ich durch und durch sündig lebte und dass es besser wäre, wenn ich tot wäre", berichtete sie, nachdem sie in Großbritannien Asyl bekommen hat.
Asyl in Großbritannien
Der Weg Attars zum Asyl in Großbritannien begann bereits vor acht Jahren, als sie und ihre Eltern nach England zogen. Während sich ihre Familie um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bemühte – sie hatten zuvor nur kurzzeitig in Großbritannien gelebt – zog sich der Prozess nicht nur immer länger hin, sondern verlief auch so, dass ihr Verbleib in England ernsthaft gefährdet gewesen wäre, würde der Antrag abgelehnt werden. Deshalb riet man Attar dazu, für sich selbst Asyl zu beantragen, und sie stellte in der Folge einen eigenen Antrag. Während ihre Familie im letzten Jahr unvermittelt abgeschoben wurde, wurde ihrem Antrag stattgegeben und sie konnte in Großbritannien bleiben, solange wie sich ihr Fall noch hinziehen sollte.
"Meine Mutter hatte auch ein Asylverfahren angestrengt, das auf häuslicher Gewalt beruhte, der sie ausgesetzt war. Ich kannte mich mit dem System nicht aus und hatte angenommen, dass die britischen Grenzbehörden so fair sein würden, uns beide hier leben zu lassen. Danach erzählte ich dann alles meinen Freunden, aber nicht meiner Familie. Ich dachte dabei nicht an die Schwierigkeiten, die ich dadurch bekommen könnte, wenn ich nach Ägypten zurückkehren sollte", gab sie zu.
Vom sicheren Großbritannien aus gründete sie im Internet eine LGBT-Plattform, schloss sich informellen Gruppen von Aktivisten in Ägypten an und begann auch öffentlich für die Rechte von Schwulen und Lesben im Nahen Osten zu kämpfen oder auch "nur für einen Ort, an dem sich Gleichgesinnte treffen können".
Ein atheistischer ägyptischer Blogger, der unter dem Namen BenBaz schreibt, trat dann an sie heran und wollte einen Artikel über sie und die Rechte der LGBT in der arabischen Welt schreiben.
"Wir arbeiteten zusammen daran und wie vorauszusehen war, brachte uns das eine Menge von Beschimpfungen und Gewaltandrohungen ein. Dass aber der Artikel dann wirklich solche gewaltigen Auswirkungen haben würde, konnte ich mir nicht vorstellen. Obwohl sie keinen Zugang zu meinen Kontakten in den sozialen Netzwerken hat, erfuhr meine Schwester innerhalb von nur wenigen Stunden davon und zeigte es meiner Mutter. Fast überflüssig zu erwähnen, dass das ganze Haus in Aufruhr war und ich es umgehend verlassen musste", erzählt sie von dem Tag, an dem ihre Familie von ihrer Homosexualität erfuhr.
Aufgrund ihrer besonderen Situation wurde Attar gestattet, in Großbritannien zu bleiben, bis ihrem Asylantrag dann im Mai tatsächlich stattgegeben wurde. Für viele schwule oder lesbische Asylbewerber aber ist dieses Verfahren in Großbritannien eine schwierige Herausforderung. War dieses Verfahren vor zehn Jahren noch relativ unkompliziert und bekamen die meisten der Antragsteller einen positiven Bescheid, so sieht dies heute vollkommen anders aus.
Unsensible Fragen
Die Einwanderungsbehörden sehen sich heute gezwungen, Männern wie Frauen, die auf der Basis ihrer sexuellen Orientierung Asyl beantragen, "sexuell explizite" Fragen zu stellen. Nach und nach bringen Forscher ans Licht, was LGBT-Aktivisten schon mehrfach beklagt haben und als "Horror" eines Asylverfahrens beschrieben: So mussten etwa homosexuelle Männer Sexvideos von sich selbst aufnehmen, um zu beweisen, dass sie wirklich schwul sind. Und Frauen wurden von Einwanderungsrichtern gefragt, ob sie Sexspielzeug benutzen.
Eine der führenden Forscherinnen auf diesem Gebiet ist Claire Bennett von der Universität von Southampton. Sie hat mit 12 lesbischen Frauen gesprochen – alle aus Ländern mit konservativen Einstellungen zur Sexualität wie Saudi-Arabien, Jamaika oder Uganda. Sie ist daher mit dem Ablauf des Verfahrens bestens vertraut.
Bennett deckte auf, was sie als "unangemessene und taktlose" Untersuchungen bezeichnet, die von den Richtern durchgeführt werden, wenn diese bewerten sollen, ob ein Asylantrag auf Tatsachen beruht oder der angegebene Grund vielleicht nur vorgetäuscht ist.
Zu den gängigen Fragen gehören beispielsweise: "Haben Sie schon einmal Oscar Wilde gelesen?", "Benutzen Sie Sexspielzeug?" oder auch "Warum haben Sie nicht an der Schwulenparade teilgenommen?". Auch sollen Richter bekannt sein, die argumentieren, dass eine Asylbewerberin "nicht lesbisch aussieht", so Bennett.
Joseph Mayton
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de