"Vom Westen nicht so weit weg"
Ihr Film handelt von der Unterdrückung der Frauen in der traditionellen arabischen Kultur und ihrer Auflehnung gegen die Männer. Am Ende gewinnen die Frauen immerhin eine Schlacht ihres Befreiungskrieges. Ist das ein realistisches Ergebnis?
Radu Mihăileanu: Wenn ich ehrlich bin: In der Realität gelingt das nur selten. Denn wie der Film zeigt, reagieren die Männer mit Brutalität. Andererseits hat es erfolgreiche "Liebes-Streiks" von Frauen tatsächlich schon gegeben, etwa 2001 in einem kleinen Dorf in der Türkei. Und auch vor den Wahlen 2005 in Liberia, als Ellen Johnson Sirleaf zur ersten weiblichen Präsidentin Afrikas gewählt wurde. Vor diesen Wahlen durften Frauen in Liberia nicht wählen. Durch einen Liebes-Streik erzwangen sie ihr Wahlrecht.
Insofern kann Ihr Film den arabischen Frauen Mut machen. Haben Sie besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass "Die Quelle der Frauen" in der arabischen Welt zu sehen war?
Mihăileanu: Der Film lief in Marokko in den Kinos und war dort ein großer Erfolg. Jeder kennt ihn inzwischen. In Tunesien wurde er auch gezeigt, allerdings nur in einem Kino. Zudem war er im Programm einiger arabischer Filmfestivals, aber viele Länder verweigerten eine Vorführung: Algerien, Saudi-Arabien und Jemen lehnten alle ab.
Wie sieht es mit dem Vertrieb von DVDs aus?
Mihăileanu: Mein Traum ist es, dass die Frauen in diesen Ländern den Film auf Raubkopien untereinander verbreiten. Ich sage das, obwohl ich ansonsten natürlich gegen Piraterie bin.
In Frankreich ist er auch schon im Kino gelaufen. Wie war die Reaktion in westlichen Ländern?
Mihăileanu: In Frankreich leben viele Araber, insofern fand ich auch hier mein Zielpublikum. Was ich interessant fand, war, dass viele arabische Großmütter mit ihren Enkelinnen kamen und ihnen anhand des Filmes zeigen konnten, was sie selbst in ihren Dörfern noch erlebt hatten. Aber das Thema ist auch vom Westen nicht so weit weg. In Korsika sagten mir Frauen: 'Wissen Sie, dass es bei uns vor fünfzig Jahren noch genauso war? Nur die Frauen mussten das Wasser holen.'
Es war Ihnen wichtig, Ihren Film aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen. Wie haben Sie das als Mann angestellt?
Mihăileanu: Schon als ich sehr jung war, hatte ich einen Riesen-Respekt vor Ingmar Bergman, weil er sich so in die Frauen hineinversetzen konnte. Mir wird das nie so wie ihm gelingen, er war darin der unangefochtene Meister. Doch ich habe mehrere Monate lang in verschiedenen Dörfern in Marokko gewohnt und viele Frauen aus allen Generationen interviewt, was nicht einfach war.
Welche Erkenntnisse haben Sie in diesen Gesprächen gewonnen?
Mihăileanu: Dass es für diesen Film notwendig war, die Welt aus ihrer Subjektivität heraus zu betrachten. Ermessen zu können, was es zum Beispiel bedeutet, in dieser Kultur die Menstruation zu bekommen. Wie schwierig es ist, zur Arbeit verpflichtet zu sein und sich gleichzeitig um die Kinder zu kümmern. Gezwungen zu sein, noch am Tag der Geburt eines Kindes arbeiten zu müssen.
Ihr Film bekommt auch durch die Sprache Authenzität. Die Schauspieler sprechen "Darija", einen ländlichen arabischen Dialekt aus dem marokkanischen Atlas-Gebirge. Wie haben Sie das hinbekommen, ihre Schauspieler kamen schließlich aus dem ganzen arabischen Raum oder sind französische Araber?
Mihăileanu: Wir hatten für alle Schauspieler drei Monate lang Trainer, mit denen sie jede Woche üben mussten. Aber es gab zwei Darsteller, die große Probleme mit der Sprache hatten. Einer war Franzose mit algerischen Wurzeln, der in seinem Leben aber nie Arabisch gesprochen hatte. Der zweite war ausgerechnet der männliche Hauptdarsteller Saleh Bakri.
Das dürfte Sie vor große Probleme gestellt haben.
Mihăileanu: Ja, er ist Palästinenser. Er hatte große Schwierigkeiten, weil das palästinensische Arabisch sehr nahe am Hocharabischen ist und mit "Darija" nichts zu tun hat. Er und die Marokkaner haben sich nicht verstanden - sie mussten Englisch miteinander reden. Saleh nahm daher sehr viel Unterricht. "Darija" ist sehr rhythmisch, während das Palästinensische sehr poetisch, fast schon romantisch ist.
Das klingt nach erheblichen Kommunikationsproblemen.
Mihăileanu: Das kann man wohl sagen. Ich werde das so nie wieder machen. Ich dachte, dass ich damit umgehen könnte, da in meinen Filmen immer wieder Sprachen auftauchen, die ich nicht beherrsche. Ich spreche weder Russisch, wie in "Das Konzert", noch Hebräisch oder Amharisch wie in "Geh und lebe". In "Das Konzert" konnte ich die Schauspieler bitten, eine Szene anders zu spielen, obwohl ich kein Russisch sprach. Aber in "Die Quelle der Frauen" war es praktisch unmöglich, zu improvisieren, weil die Schauspieler selbst sich der Sprache nicht sicher genug waren.
In Ihrem Film werden die Zuschauer Zeugen von männlicher Gewalt gegenüber Frauen und von Vergewaltigungen in der Ehe. Doch am nächsten Tag machen die weiblichen Opfer schon wieder ihre Scherze darüber. Ist dieser Fatalismus charakteristisch für arabische Frauen?
Mihăileanu: Das ist ganz typisch für die arabischen Dörfer. Die Frauen kommen oft an Orten zusammen, an denen sie von den Männern getrennt sind, wenn sie zum Beispiel Wäsche waschen, kochen oder im Hamam ausspannen. Dann unterhalten sie sich natürlich und machen Witze.
Ist das reiner Galgenhumor?
Mihăileanu: Wenn eine Frau blaue Flecken hat, wird das in dieser Kultur oder Sprache niemals frontal adressiert. Die Frauen sagen, sie seien die Treppe heruntergefallen, wenn sie geschlagen wurden. Doch jede Frau weiß Bescheid, auch über alle anderen Probleme, zum Beispiel mit den Kindern, oder ob der Mann betrunken nach Hause gekommen ist. Es ist zwar verboten, Alkohol zu trinken, doch die Männer tun es trotzdem.
Was ist der Grund für diese Unbestimmtheit? Eigentlich suchen die geschlagenen Frauen wohl doch auf direktem Wege Mitgefühl?
Mihăileanu: So ist diese Kultur. Ich respektiere das, weil wir im Gegensatz dazu die Poesie verloren haben. In Frankreich, Deutschland und den westlichen Ländern sagen wir alles auf dieselbe direkte Weise. Die Araber haben hingegen für alles Metaphern. Wenn die Frauen sagen: 'Der Vogel kam nicht zurück ins Nest', dann heißt das, dass der Mann eine Geliebte hat. Eine Frau sagt nicht: 'Gestern habe ich mit meinem Mann geschlafen', sie sagt vielmehr: 'Wir haben das Brot in den Ofen geschoben'. Finden Sie nicht, dass das viel charmanter klingt?
Einerseits schon, andererseits: Sex dient ja nicht nur der Fortpflanzung. Ihr Film hat ausgesprochen viele Nebenhandlungen, etwa die unglückliche Liebe von Loubna. Der Zuschauer bekommt das Gefühl, dass Sie die Ergebnisse Ihrer intensiven Recherche durch so viele Aspekte wie möglich in diesen Film stopfen wollten.
Mihăileanu: Geschichten wie die von Loubna gibt es Tausende. Ich konnte sie gar nicht alle erzählen: Sie verlieben sich, versprechen sich einander, wollen Familien gründen, und es wird niemals passieren. Die schlimmsten Schicksale dieser Art kommen im Film gar nicht vor.
Können Sie sie jetzt erzählen?
Mihăileanu: Sie haben Sex vor der Ehe und der Mann sagt der Frau: 'Kein Problem, in der Hochzeitsnacht tun wir so, als ob du noch Jungfrau bist. Wir besorgen uns einfach ein bisschen Hammelblut.' Oft entscheidet die Mutter des Mannes daraufhin aber, dass er eine andere Frau heiraten soll. Die frühere Freundin muss das Dorf dann verlassen. Denn wenn alle wissen, dass sie keine Jungfrau mehr ist, kann sie da nicht mehr leben.
Eine Nacht kann im Extremfall also ein ganzes Leben zerstören?
Mihăileanu: Ja. Jungfrauen dürfen aber auch nicht zu alt werden. Ich traf eine wunderschöne 25-Jährige ohne Ehemann, die mir sagte, dass sie ihr Leben lang keinen Sex mehr haben werde. Ich fragte sie: 'Warum, du bist doch noch jung?'. Sie sagte: 'Nein, in diesem Dorf bin ich alt. Niemand wird um mich noch werben.' Das heißt: In einem Alter, in dem bei uns im Westen das Leben gerade erst beginnt, kann es dort schon beendet sein.
Bei so viel Frauenfeindlichkeit fällt es schwer zu glauben, dass Ihre Hauptfigur Leila in einer glücklichen Ehe lebt.
Mihăileanu: Genau um diese Differenziertheit ging es mir. In einem Dorf habe ich einen Monat lang gewohnt, und dort wurde ich Zeuge echter Liebe, wie der zwischen Leila und Sami. Oder die Geschichte von Karim, der seine Frau liebt, sich aber schuldig fühlt, weil er nicht "Manns genug" ist, sie zu schlagen. Glauben Sie mir, es gibt nicht nur die eine Realität der guten Frau und des schlechten Mannes - es ist viel komplizierter.
Paul Katzenberger
© Süddeutsche Zeitung 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de