Ankaras Achillesferse

Der Syrienkonflikt zeigt die Grenzen des Einflusses der Türkei auf: Der Westen mahnt immer wieder zu militärischer Zurückhaltung – und die Stimmung in der Bevölkerung bremst eine mögliche Intervention im Nachbarland aus.

Von Thomas Seibert

Nach fast zwei Jahren Krise im Nachbarland Syrien können türkische Diplomaten angesichts der Haltung von Präsident Baschar al-Assad nur noch mit dem Kopf schütteln. Damaskus habe die Zeichen der Zeit "immer noch nicht verstanden", sagt ein hochrangiger Offizieller aus Ankara. Selbst Russland als engster Vertrauter der Syrer rückt vorsichtig von Assad ab.

Syriens Präsident Baschar al-Assad im Staatsfernsehen Mit dem Assad-Regime geht es zu Ende, da ist sich die türkische Regierung sicher. Doch die Möglichkeiten der Türkei, die Ereignisse beim Nachbarn zu beeinflussen, sind begrenzt, wie die Entwicklung in den vergangenen Monaten belegt. Ankara konnte sich weder mit der Forderung nach einer Flugverbotszone über dem Norden Syriens durchsetzen, noch vermochte es die Türkei, die syrische Opposition auf ihrem Territorium zu einen.

Dass die Türkei mit ihrer 900 Kilometer langen Landgrenze zu Syrien schwer unter dem Bürgerkrieg nebenan zu leiden hat, bestreitet niemand. Bis zu 200.000 syrische Flüchtlinge halten sich inzwischen in der Türkei auf: Rund 150.000 Syrer haben in türkischen Auffanglagern im Grenzegebiet Zuflucht gefunden, etwa 50.000 weitere leben außerhalb der Lager bei Verwandten oder in selbst angemieteten Wohnungen.

Syrisches Flüchtlingslager in der Provinz Hatay; Foto: dapd
Die Last des Krieges: Die Türkei hat inzwischen rund 150.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Und die Flucht ins türkische Exil hält an, da ein Ende des Krieges in Syrien noch immer nicht absehbar erscheint.

​​Während des Artilleriebeschusses aus Syrien in die Türkei hinein wurden im Oktober fünf türkische Zivilisten getötet, vier Monate vorher starben die beiden Piloten eines türkischen Aufklärungsflugzeugs, das von den Syrern über dem östlichen Mittelmeer abgeschossen wurde.

Druck der NATO

Doch die westlichen Partner mahnten die Türkei immer wieder zur Zurückhaltung: Drohungen der türkischen Regierung mit militärischen Maßnahmen in Syrien lösten bei den NATO-Verbündeten nicht Verständnis, sondern die Furcht vor einer nicht mehr zu kontrollierenden Eskalation aus.

Deshalb betonte die NATO gegen Ende des Jahres immer wieder den rein defensiven Charakter ihrer Entscheidung, Patriot-Raketenabwehrsysteme gegen einen möglichen Raketenbeschuss aus Syrien in die Türkei zu schicken.

Dabei spielte die Haltung des Hauptverbündeten USA eine entscheidende Rolle. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu wollen aus der Türkei zwar eine regionale Großmacht machen, doch sie wissen, dass ein Teil der Stärke ihres Landes in den engen Beziehungen zu Washington und anderen westlichen Mächten besteht.

Insbesondere das Verhältnis zu den USA soll gepflegt werden. Ankara fand sich deshalb damit ab, dass die Türkei mit der öffentlich vorgetragenen Forderung nach Einrichtung einer militärisch gesicherten Schutzzone jenseits der syrischen Grenze und nach einer Flugverbotszone beim Westen abblitzte.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu; Foto: AP
Begrenzter außenpolitischer Aktionsradius: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu wollen aus der Türkei zwar eine regionale Großmacht machen, doch sie wissen, dass ein Teil der Stärke ihres Landes in den engen Beziehungen zu Washington und anderen westlichen Mächten besteht.

​​Auch die Stimmung in der eigenen Bevölkerung wirkte als Bremse für militärische Interventionsgedanken. Umfragen zeigten, dass die türkischen Wähler eine Einmischung in Syrien ablehnten – kurz vor dem 2014 und 2015 anstehenden Marathon mit Kommunal-, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein gewichtiges Argument.

Zerstrittene Oppositionelle

Wenig Glück hatte die Türkei auch bei ihren Bemühungen, die chronisch zerstrittene syrische Exilopposition zu einen, die sich seit Sommer 2011 auf türkischem Boden organisieren konnte. Ein Wechsel an der Spitze der Dachorganisation Syrischer Nationalrat brachte keinen Durchbruch – erst eine Konferenz in Qatar brachte den Erfolg. Die neue Formation, die Syrische Nationale Koalition, wählte als ihren Hauptsitz nicht die Türkei, sondern Ägypten.

Türkische Truppen an der Grenze zu Syrien Auch im neuen Jahr wird der Syrienkonflikt jedoch eines der wichtigsten Themen der türkischen Außenpolitik bleiben. Dabei wird die Frage nach der Gestaltung der Ära nach einem Ende der Assad-Herrschaft immer mehr in den Vordergrund treten.

Als Exportnation ist die Türkei an einer möglichst raschen Rückkehr von Ruhe und Ordnung beim Nachbarn interessiert; ein gescheiterter Staat oder ein radikal-islamistisches Regime vor der Haustür ist für die Planer in der türkischen Hauptstadt ein Horrorszenario.

Im Jahr 2013 wird es für die Regionalmacht Türkei darum gehen, diese Art von Entwicklungen zu verhindern. Die Erfahrungen des Jahres 2012 zeigen aber, dass Ankara bei allem Streben nach der Rolle einer regionalen Ordnungsmacht dies nicht alleine schaffen kann.

Thomas Seibert

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de