In Assads Festung

Wer will Assads Sturz? Unter den konfessionellen Minderheiten Syriens ist die Angst vor dem, was nach einem Regimewechsel kommen könnte jedenfalls sehr groß. Zugleich sind sie politisch gespalten, genau wie die Sunniten auch. Hubertus Ecker mit einem Stimmungsbild aus Syrien

Von Hubertus Ecker

Ende Dezember wurde eine Online-Umfrage veröffentlicht, die das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov unter 220.000 arabischsprachigen Internetnutzern zum Beliebtheitsgrad von Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad durchgeführt hatte. Das Ergebnis: 55 der befragten Syrer wollen nicht, dass er von seinem Amt zurücktritt.

Dies überrascht – zumal die Studie von den sogenannten "Doha Debates" in Auftrag gegeben wurde, die der "Qatar Foundation" angehören. Diese wird vom qatarischen Herrscherhaus geleitet, das dem syrischen Regime nicht eben zugetan ist.

"Wenn also sogar Qatar diese Prozentzahl zugibt, dürfte sie in der Realität womöglich noch höher liegen", spottet Hussein R. Der 37jährige macht aus seiner Regimeloyalität keinen Hehl. Mit Frau und Tochter lebt der Automechaniker in Lattakia, jedes zweite Wochenende geht es zur Mutter, in ein kleines Dorf in den Alawitenbergen, wo sich auch seine anderen neun Geschwister einfinden.

Seit September fehlt indes ein Familienmitglied. Rosa, die 27jährige Schwester, ist im Frauengefängnis Adra bei Damaskus inhaftiert. Sie hatte Proteste in den Damaszener Vororten mitorganisiert. Ihre Familie erfuhr erst durch ihre Verhaftung davon und Hussein sagte sich im Namen aller von ihr los.

Plakat Assad spielt Katz und Maus mit
Syriens Präsident spielt Katz und Maus mit Vertretern der Arabischen Liga und Aufständischen: Ihr Ziel, die Gewalt zu beenden, hat die Arabische Liga nicht erreicht. Die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung halten indes unvermindert an. Inzwischen werden in der Arabischen Liga Stimmen laut, dass ausländische Streitkräfte helfen sollten, das Blutvergießen in Syrien zu stoppen.

​​Ausgerechnet auf der Facebook-Seite, die Rosas Freunde für sie unter dem Titel "Freiheit für die Aktivistin Rosa R". eingerichtet hatten, schrieb er: "Wir werden dir nie verzeihen, was du deiner Familie angetan hast!"

Unter "Familie" versteht Hussein auch seine historisch vielfach unterdrückte alawitische Konfessionsgemeinschaft, die, wie er meint, nie so gut gelebt habe wie unter Vater und Sohn Assad.

Was er nicht ahnt, ist dass sein jüngster Bruder Basel auf Rosas Fußstapfen wandelt, seit er von ihrer Folterung im Gefängnis weiß. "Wir Alawiten leben hier ebenso gut, dass man nicht einmal mehr die eigene Schwester lieben darf", bilanziert der 20jährige bitter.

Drusen auf Seiten der Alawiten

Auch Lubna kommt mit ihrer Familie nicht mehr klar. Verprügelt habe ihr Vater sie, um sie zur Rückkehr nach Sueida zu zwingen. Dass die 32jährige seit 2008 alleine in Damaskus gelebt hatte, gefiel ihm nie, doch durch ihr Gehalt als Ministerialangestellte hatte sie ihn finanziell entlastet. Als jedoch herauskam, dass sie sich mit Menschenrechtlern traf, beendete er radikal Lubnas "Damaszener Frühling".

"Er wollte nicht, dass ich Scherereien mache, sondern heirate und im Drusengebirge bis an mein Lebensende vor mich hin vegetiere", kommentiert sie hasserfüllt.

Seit acht Monaten täte sie eben dies, unter strikter Familienbeobachtung. Sueida und andere drusische Siedlungsgebiete seien regelrechte "Assad-Festungen" und die Motive die gleichen wie bei den Alawiten: Auch die drusische Religion wird von den Sunniten nicht akzeptiert. "Also tun die meisten so, als sei die Diktatur wunderbar."

Walid Dschumblat; Foto: dapd
Aufruf zum Rücktritt Assads und zur Zurückhaltung der Drusen im Umgang mit ihren syrischen Mitbürgern: Drusenführer Walid Dschumblat

​​Das Regime nütze dies jetzt auch militärisch – zumal die Drusen eine traditionell wehrhafte Gemeinschaft stellen. "Junge Männer aus armen Familien werden bezahlt, um an der blutigen Niederschlagung der Proteste teilzunehmen", erzählt Lubna. Dass Libanons Drusenführer Walid Dschumblat Syriens Drusen jüngst aufrief, nicht gegen ihre Mitbürger vorzugehen, interessiere hier "nicht wirklich".

"Es gibt überhaupt keine Toten"

Unterdessen versendet die 56jährige Industriellengattin Thérèse in Damaskus Rundmails. Darin ruft die bekannte Äbtissin Agnes-Mariam de la Croix vom Karmeliterinnen-Kloster in Qara zu Spenden auf – für die Opfer "terroristischer Banden, die sich an der Zivilbevölkerung vergreifen, mit dem Ziel, Syrien zu destabilisieren".

Die Worte in diesem Aufruf sind eindeutig. Allerdings schrieb die Äbtissin an Präsident Assad auch schon einmal einen kritischeren Brief, in dem sie ihre Bestürzung über die Enthüllungen von Amnesty International Mitte November bekundet und ihn gebeten hat, dem Internationalen Roten Kreuz den Besuch von Hospitälern und Gefängnissen zu ermöglichen.

Diese Zeilen leitete Thérèse nicht als Rundmail weiter. Sie, die sich brennend für Psychoanalyse interessiert und im Freundeskreis die Schriften Sigmund Freuds und Jacques Lacans debattiert, blendet alles aus, was sich nicht mit der Wahrheit des Regimes deckt. Warum, fragt sie, seien immer dann "Fotografen" zur Stelle, wenn es Tote gäbe? Weil es keine Toten gäbe, sondern alles nur gestellt sei!

Uneinigkeit auch unter Sunniten

Die Angst vor dem, was nach einem Regimesturz kommen könnte, ist unter Syriens Minderheiten unübersehbar. Zugleich sind sie in sich selbst zunehmend gespalten.

Großmufti Ahmad Badr el-Din Hassoun; Foto: AP
Radikaler Botschafter des Assad-Regimes: "Ich sage ganz Europa, ich sage Amerika: Wir werden unsere Selbstmord-Attentäter, die schon unter euch sind, aufstellen, wenn ihr Syrien oder den Libanon bombardiert", hatte Syriens Großmufti Ahmad Badr el-Din Hassoun im vergangenen Oktober erklärt.

​​Doch auch die sunnitische Mehrheit bildet keinen monolithischen Block. Während die Landbevölkerung die Revolte entfacht hat und am Leben hält, gibt sich jene urbane Mittelschicht bedeckt, deren Klerus dem staatlich geförderten Islam folgt, wie ihn vor allem Syriens Großmufti Ahmad Badr el-Din Hassun oder Präsidentenberater Scheich Ramadan al-Buti präsentieren.

Risse sind indes auch hier zu beobachten. So sagte sich jüngst eine Gruppe (namentlich unbekannter) Frauen von ihrer religiösen Gemeinschaft los, weil sich diese nicht gegen das "verbrecherische Regime" stelle. Gemeint sind die "Qubeissiat", die im Mittleren Osten größte islamisch-konservative Frauenbewegung.

Benannt ist sie nach der 1933 geborenen Munira al-Qubeissi, einer in Damaskus lebenden Scheicha, die seit den Sechzigern vom regimekonformen syrischen Klerus gefördert wird und immensen Einfluss entwickelte: Immer mehr, vielfach aus der Oberschicht entstammende Frauen schlossen sich ihr an und eröffneten eigene Kindergärten und Schulen, die al-Qubeissis apolitische, sufistisch-strikte Lesart des Islam verbreiten. Der Ausbruch einiger Frauen aus ihrer streng hierarchischen Organisation sorgte für entsprechendes großes Erstaunen. Doch zeigt er die merklich zugenommenen Spaltungen innerhalb jener Klassen an, die zudem wirtschaftlich mit dem Regime verknüpft sind?

Die von Qatar veröffentlichten Umfragewerte erscheinen somit nicht als abwegig – offensichtlich zum Missfallen des Emirats selbst. So versuchte Qatar das Ergebnis herunterzuspielen und hob stattdessen die Zahlen hervor, die dieselbe Umfrage in Syriens Nachbarstaaten und in der Golfregion ergeben hatte: Demnach befürworten 81 Prozent aller Nicht-Syrer Assads Sturz. Der Umstand, dass 55 Prozent der Syrer selbst dagegen sind, geriet in der Präsentation in Doha geradezu zur Fußnote. Um sie aber geht es doch. Rein theoretisch jedenfalls.

Hubertus Ecker

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de