"Occupied Territories" im Minenfeld
Die Verantwortlichen des 23. Fadjr Theaterfestivals in Teheran waren nach der Aufführung von "Occupied Territories" froh, dass der große Sturm der Empörung ausblieb. Die Schauspielerinnen des Stücks, das das Festival eröffnete, müssen einstweilen nicht um ihre berufliche Zukunft fürchten, und die in Berlin lebende Regisseurin Helena Waldmann konnte durchatmen, weil ihre Inszenierung es schließlich doch auf eine iranische Bühne geschafft hatte.
Begonnen hatte das deutsch-iranische Unternehmen mit einer Einladung an Waldmann zu einem 14-tägigen Workshop in Teheran. Ihre Erfahrungen mit den teilnehmenden Schauspielerinnen waren dabei so positiv, dass die Regisseurin den Entschluss fasste, mit einer Gruppe von sechs Iranerinnen ein gemeinsames Stück zu erarbeiten.
Koproduktionspartner wurden das Zentrum für dramatische Künste in Teheran und das Goethe-Institut. Weitere Gelder kamen aus dem Kulturfond der Bundeshauptstadt Berlin.
Zelte als List
Aus dem Workshop stammte noch die Idee, mit Zelten zu arbeiten. Der Gedanke war zum einen eine List, die für Tänzerinnen im Iran existierenden Beschränkungen zu unterlaufen.
Das allgemeine Verbot für Frauen, vor einem gemischtgeschlechtlichen Publikum zu tanzen, ist zwar inzwischen aufgeweicht worden, aber nach wie vor gilt, dass der weibliche Körper nicht auf eine Weise zur Schau gestellt werden darf, die als erotisch oder aufreizend verstanden werden könnte, und die Maßstäbe sind ebenso willkürlich wie streng.
Zum anderen heißt "Tschador" auf Persisch nicht nur "Zelt", sondern auch der weit fallende Umhang, mit dem viele iranische Frauen traditionell bekleidet sind. Ein doppeldeutiges Spiel um Zwang und Schutz, Innen- und Außenwelt, Einschränkung und innere Freiheit bot sich an.
Abweisend für Außenstehende
Im Sommer letzten Jahres erarbeiteten die vier professionellen Schauspielerinnen und zwei Tänzerinnen gemeinsam mit Helena Waldmann eine Reihe von Bildern, bei denen sich die Zelte als überraschend ausdrucksstarke Akteure erwiesen.
Die sechs Darstellerinnen bleiben die ganze Aufführung über in ihren Zelten, aber nach vielen Proben und hartem Training wurde diese Außenhaut zu einem ausdrucksstarken Medium. Die Zelte weisen einen Außenstehenden zurück, vollführen voller Lebensenergie einen wilden Tanz und können auf anrührende Weise ein anderes Zelt in sich aufnehmen.
Außenstehende erhielten bei zwei Tanzfestivals in Hannover und München einen ersten Vorgeschmack. Die Szenenfolge war zwar immer noch ungeschliffen, und es fehlten wichtige Elemente wie Licht, Dia-Projektionen und Musik, aber das Publikum war dennoch angetan.
Angst vor Auftrittsverbot
Allerdings machten die Reaktionen auch deutlich, dass sowohl das deutsche Publikum wie auch die Kritik von einer Produktion aus dem Iran auch ein Stück über den Iran erwarteten und die Arbeit auch als eine Auseinandersetzung mit der Unterdrückung der Frau im Land verstanden.
Eine offene Infragestellung der Frauenrolle zur Eröffnung des renommiertesten iranischen Theaterfestivals, das einst zur Feier der Revolution gegründet wurde, erschien undenkbar. Als die Gruppe Anfang Januar in Teheran die letzten Probenarbeiten wieder aufnahm, wurde die Frage, was könnte als Kritik an den iranischen Verhältnissen verstanden werden und damit Anstoß erregen, immer akuter.
Waldmann musste befürchten, dass ihre Arbeit von den Zensoren zunichte gemacht wird. Die Schauspielerinnen und Tänzerinnen machten sich Sorgen, dass ihre Beteiligung in einem zukünftigen Auftrittsverbot enden könnte.
Die Festivalleitung wurde nervös, nachdem beim Iran Zamin Theater Festival in der Provinzstadt Ahwaz der künstlerisch Verantwortliche ins Gefängnis geworfen worden war, weil die Aufführung einer armenischen Truppe den Sittenvorstellungen nicht entsprach. Das seit Februar wieder mehrheitlich konservative Parlament, das sich als Hüter eines islamischen Verhaltenskodex versteht, lauerte drohend im Hintergrund.
Aus dem ursprünglichen Arbeitstitel "Letters from Teheran" war bereits "Letters from Tentland" geworden, um die Perspektive nicht zu sehr auf den Iran zu verengen. Waldmann versuchte herauszustreichen, dass ihr Stück allgemeine Zustände wie Unbehaustheit, Isolation, Fremde, Aufbruch thematisiere, wie sie zwar auch im Iran aber nicht nur dort existieren. Aus "Letters from Tentland" wurde "Occupied Territories".
Zugeständnisse an die Zensur
Die Zensoren, die zwei Stunden vor der Premiere zur letzten Abnahme erschienen, verlangten mehr: die Projektion einer weiblichen Tanzfigur auf die Zeltwände musste ebenso gestrichen werden wie eine Szene, in der eines der Zelte wild über die Bühne taumelt.
Es musste leiser gesungen werden und nur durch den beherzten Protest der iranischen Assistentin wurde verhindert, dass die Einladung an das weibliche Publikum, am Ende der Vorstellung hinter die Bühne zu kommen und mit den Akteurinnen zu diskutieren, auch noch der Schere zum Opfer fiel.
Zu sehen bekam das Premierenpublikum ein Stück, das alle Interpretation offen lässt. "Occupied Territories" kann sowohl als eine Arbeit über den Iran wie als eine Arbeit über Flüchtlingslager oder auch als Arbeit über menschliche Grundzustände gelesen werden.
Konservative hielten sich zurück
Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus. Während ein Teil des Publikums von dieser ungewohnten Form des Theaters eher irritiert war oder auch eine erkennbare Dramaturgie vermisste, waren vor allem die Frauen begeistert, weil sie sich in einzelnen Bildern wieder zu finden glaubten. Der erwartete Sturm der Empörung der Konservativen blieb aus.
"Occupied Territories" soll im April noch einmal mit 20 Aufführungen in Teheran gespielt werden und hat bereits Einladungen deutscher Theater und verschiedener internationaler Festivals erhalten.
In Teheran wird gegenüber der genehmigten Aufführung nichts mehr geändert werden, aber zu entscheiden ist noch, ob außerhalb des Iran auch die Teile gezeigt werden sollen, die den Zensoren zum Opfer fielen.
Martin Ebbing
© Qantara.de 2005
Lesen Sie auch auf Qantara.de einen Beitrag über das Teheraner Fadjr-Theaterfestival