Erwachen einer Recycling-Kultur
Als Kassem Kazak Ende 2014 mit einem Freund die Idee hatte, ein Recyclingunternehmen zu gründen, ahnte er nicht, wie sehr er damit den Nerv der Zeit treffen würde. "Recycle Beirut" sollte nicht nur eine umweltfreundliche Alternative zu der herkömmlichen Abfallentsorgung sein, sondern auch gleichzeitig Jobmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge in Libanon schaffen.
Keiner aus dem "Recycle Beirut"-Team hatte Erfahrungen in der Abfallwirtschaft. Kazak selbst ist IT-Ingenieur. "Wir freundeten uns mit den informellen Müllsammlern auf der Straße an", erzählt Kazak. "Von ihnen lernten wir etwas über die Strukturen der Abfallwirtschaft." Sie erkannten schnell, dass Recycling bis dato im Libanon wenig bekannt war. Dabei gibt es durchaus Abfallverwertungsanlagen. "Die privaten Haushalte trennen ihren Müll nicht, weil der getrennte Müll nicht abgeholt wird. Darin liegt das eigentliche Problem", so Kazak.
Hier setzt "Recycle Beirut" an: Seit Anfang 2015 können private Haushalte ihren recycelten Müll von den "Recycle Beirut" Lastwagen abholen lassen. Der Abfall wird in einer Lagerhalle gesammelt und schließlich zu den jeweiligen Abfallverwertungsanlagen gebracht.
Kazak erkannte bald, dass neben den logistischen Hürden, die eigentliche Herausforderung vor allem darin lag, im Libanon eine Recycling-Kultur einzuführen. Die Ereignisse im Sommer 2015 spielten ihnen dabei in die Hände.
Der Müllprotest und seine Folgen
Die Abfallentsorgung wurde bis 2015 hauptsächlich durch das Unternehmen "Sukleen" durchgeführt. Sukleen gab sich damit wenig Mühe: Der eingesammelte Abfall wurde wenig bis gar nicht verarbeitet in eine Mülldeponie nahe der Stadt Naameh im Süden Beiruts geschüttet.Selbst nachdem die Kapazität der Mülldeponie erschöpft war, setzte "Sukleen" diese Praktiken fort. Als im Juli 2015 protestierende Anwohner die Schließung der Deponie durchsetzten, stoppte "Sukleen", in Ermangelung eines Alternativplans, die Müllabfuhr. In Libanons Straßen häuften sich die Abfallberge. Angeführt von der Basisbewegung "You Stink" gingen im August 2015 über 200.000 Menschen auf die Straße und forderten von der Regierung einen ökonomisch und ökologisch annehmbaren Abfallentsorgungsplan.
Ein Jahr später hat die Regierung dafür immer noch keine Lösung gefunden. Dafür hat sich etwas in der Bevölkerung getan. Bei "Recycle Beirut" erkennt man das an der steigenden Geschäftstätigkeit. Eineinhalb Jahre nach der Gründung, zählt das Unternehmen 17 angestellte syrische Flüchtlinge und drei Lastwagen, die zwei bis drei Tonnen vorsortierten Abfall pro Tag abholen. Auch an der Zahl der bei "Recycle Beirut" registrierten Haushalte, die von einem Dutzend auf 1.100 angestiegen ist, erkennt man das neue Bewusstsein für Recycling in Libanon.
Ein neues Umweltbewusstsein
Auch der Journalist Kareem Chehayeb, der aktiv bei den Müllprotesten mitgewirkt hat, sieht Umweltthemen in der libanesischen Bevölkerung angekommen. Das ließe sich vor allem an den Reaktionen von Politik und Wirtschaft erkennen. "Erstmals sehen sich Politiker beider Lager gezwungen, in den Medien ihre Lösungsvorschläge zu diskutieren", so Chehayeb. Der Staat könne die Müllentsorgung nun nicht mehr über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entscheiden. Ein weiterer Indikator für den Bewusstseinswandel findet sich in der Wirtschaft: "Jede Firma prahlt damit, wie grün sie ist. Das zeigt, dass es auf der Konsumentenseite dafür eine Nachfrage gibt."
Das neue Bewusstsein zeigt sich auch in den vielen zivilen Umweltbewegungen und NGOs, die sich im Zuge der Proteste vor allem an den Universitäten gebildet hat. "So schön dieses Engagement ist, wir laufen Gefahr, die Aufgaben des Staates zu übernehmen", sagt Chehayeb, der diesen Trend durchaus auch kritisch sieht. "Wir zahlen Steuern, und deswegen darf die Regierung sich nicht aus der Verantwortung stehlen."
Druck auf die Gemeinden steigt
Ziad Abichaker hat den Ansatz gewählt, mit den Gemeinden zusammenzuarbeiten. Der Umweltingenieur baut mit seinem Unternehmen Cedar Environmental seit sieben Jahren Recycling-Anlagen. "Der einzige Weg die Regierung vom Recycling zu überzeugen ist, ihnen Ergebnisse zu präsentieren, die wirtschaftlich Sinn machen", erklärt Abichaker.
Im September hat Cedar Environmental eine neue "Zero-Waste-Anlage" in der Gemeinde Beit Mery, 15 Kilometer östlich von Beirut in Betrieb genommen. Auf der Anlage von Cedar Environmental kostet die Müllverarbeitung der Gemeinde 62 US Dollar pro Tonne, an Sukleen zahlte sie bisher 130 US Dollar. "Wir bieten ihnen eine Lösung, wie sie ihren Müll von der Straße kriegen und gleichzeitig 50 Prozent an Kosten gegenüber dem alten System sparen", so Abichaker.
Seit der Müllkrise hat sich Druck auf die Gemeinden, Recycling-Stoffe anzunehmen, erhöht. "Niemand akzeptiert die alten Praktiken mehr", fasst Abichaker die Stimmung des letzten Jahres zusammen. Die Bevölkerung ist aufgewacht und kann auch Alternativen aufweisen. Die Regierung wird sich an diese neue Realität gewöhnen müssen.
Alice Kohn
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