Experimente auf dem Papier
Arabische Leser, die keine Blogs lesen, haben nun endlich die Möglichkeit, Auszüge daraus in gedruckter Form zu lesen. Am 1. April 2010 nämlich hat das Arabic Network for Human Rights Information mit "Wasla" die erste von arabischen Bloggern herausgegebene Zeitschrift auf Papier vorgelegt.
Das unregelmäßig erscheinende Gratis-Blatt will eine Brücke schlagen zwischen den zumeist jugendlichen Bloggern einerseits und den deutlich älteren politischen, literarischen und intellektuellen Eliten andererseits, um so einen Austausch zwischen diesen beiden Generationen zu ermöglichen. So jedenfalls drückte es der Geschäftsführer des Networks, Gamal Eid, bei einer Pressekonferenz in Kairo anlässlich des Erscheinens der ersten Ausgabe aus.
Im Leitartikel der ersten Ausgabe berichtet Eid, dass ihm aufgefallen war, wie unterschiedlich die Generation der politischen und intellektuellen Eliten auf die Blog-Produktion der jungen Generation reagiert.
Während manche, wie die Schriftsteller Sonallah Ibrahim und Elias Khoury, sich begeistert zeigen und derartigen Aktivitäten lobten, sehen andere, wie Rifat as-Saїd und as-Sayyed Yassin, in Internet-Blog-Foren und sozialen Netzwerk-Homepages eher Auswüchse "politischer Unwissenheit und geistiger Verarmung".
Daraus entwickelte sich dann die Idee einer Zeitung, die von jungen Menschen in Blogs angesprochenen Themen in einer Form vermittelt, welche den Lesegewohnheiten der älteren Generation entgegenkommt.
Auswahl jenseits von Stereotypen
Mit dem Aufmacher "Das Baradei-Fieber" präsentiert die insgesamt 16 Seiten umfassende erste Ausgabe von "Wasla" im Tabloid-Format die politische Debatte um die Rückkehr von Muhammad al-Baradei nach Ägypten.
Die sonst eher gängigen, oberflächlichen Online-Kommentare sind hier nicht zu finden, vielmehr wird das Schwerpunktthema dieser Ausgabe kritisch unter die Lupe genommen, wie beispielsweise durch den Blogger "Demagh Mak" (Gehirn Mak), der unter anderem eine bedingungslose Unterstützung für al-Baradei ohne genaue Kenntnis seines Wahlprogramms für bedenklich hält. Oder auch der Blog "Volksfront der Hysterie", der die pauschale und wenig reflektierte Nominierung von Persönlichkeiten, die al-Baradei nahestehen, kritisiert.
Weitere Blogs der ersten Ausgabe widmen sich anderen Fragen aus den Bereichen Politik und Menschenrechte. So finden sich hier Beiträge über polizeiliche Ermittlungen gegen Netzaktivisten und Strafverfolgungen von arabischen Bloggern oder aber auch Kommentare zur Entlassung einer Journalistin durch den Sender "Radio Netherlands Worldwide" in Kairo aufgrund eines Artikels, in dem diese eine Meldung des Senders zum "rasanten Absatz künstlich hergestellter chinesischer Jungfernhäutchen in der arabischen Welt" Lügen gestraft hatte.
Außerdem kann man sich in Postings über Kulturveranstaltungen wie die Buchmesse von Maskat informieren oder in Besprechungen neuester Filme stöbern. All dies ist journalistisch modern und ansprechend aufbereitet sowie vielfach mit Kommentaren von Besuchern der ursprünglichen Blogs versehen, die durch ihr breit gefächertes Themenspektrum ein realistisches Bild der gegenwärtigen Online-Debatten zeichnen.
Abgerundet wird der Themen-Mix durch Glossen sowie gesellschaftskritischen Texten, wie sie zum Beispiel im Blog "Tagebuch einer Idealfrau" zu finden sind.
Die in den Blogs verwendete Sprache bewegt sich im Rahmen des Akzeptablen, verletzende oder beleidigende Ausdrücke kommen nicht vor. Dazu Ahmad Nagi, Blogger und Redaktionsmitglied: "Wir veröffentlichen die Beiträge so wie sie sind und greifen nur dann ein, wenn bestimmte Begriffe wirklich überhaupt nicht publikationsfähig sind. In diesem Fall wenden wir uns aber nochmals an den Verfasser."
Neue journalistische Wege
Ein derartiger Umgang mit den Texten soll helfen, Fallen zu umgehen, in die andere Blogger mit ihren Projekten bereits getappt sind. Denn die Idee, ursprünglich online publizierte Texte auch in Papierform herauszubringen, ist keineswegs neu: Auch der "Al-Shorouk"-Verlag und die Zeitung "Al-Dustour" hatten bereits in ganz ähnlicher Weise versucht, Ausschnitte aus Blogs zu veröffentlichen, scheiterten jedoch schon bald daran, dass die Zeitung zu oft intervenierte, strich und kürzte, was für die Blogger eine unzulässige Entstellung ihrer Texte bedeutete. Die Folge: Die Kluft zwischen klassischen Journalisten und Bloggern vertiefte sich nur noch weiter.
"Wasla" hingegen will journalistische Gewohnheiten verankern, bei denen die ursprünglichen Texte der Blogger respektiert werden. Auch im Bereich geistiger Eigentumsrechte geht "Wasla" neue Wege durch die Inanspruchnahme von Lizenzen der Non-Profit-Organisation "Creative Commons" zur Nutzung geistigen Eigentums.
Eine erneute Veröffentlichung von Medieninhalten unter Verweis auf deren Eigentümer zu nicht-kommerziellen Zwecken ist dabei zulässig. In diesem Zusammenhang fordert die "Wasla"-Redaktion diejenigen Blogger, die gerne ihre Inhalte in "Wasla" wiedergegeben sehen möchten, auf, den entsprechenden Code dafür in ihren Blog einzustellen.
Einer erster Schritt ist mit der Erstausgabe gemacht, auch wenn man sich immer noch persönlich an den Sitz des "Arabic Network for Human Rights Information" in Kairo begeben muss, um ein gedrucktes Exemplar zu erhalten. Doch für die Zukunft hat man sich bereits viel vorgenommen, sagt Nagi.
Schon bald soll die Zeitschrift regelmäßig, möglichst wöchentlich, erscheinen. Geplant ist außerdem, anhand einzelner Beispiele oder ganzer Dossiers über bestimmte Regionen, Blogs aus anderen arabischen Ländern zu integrieren sowie englische und arabische Blogs auch zu übersetzen.
Und schließlich wird man sich verstärkt Gedanken darüber machen, wie mit auch in Zukunft mit den anspruchsvollen Kommentaren und Reaktionen der Leser redaktionell zu verfahren ist – was sicherlich dem angestrebten Dialog zwischen den Generationen weiter zugute kommen wird.
Haytham Abdelathim
Aus dem Arabischen von Nicola Abbas
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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