Meta: Digital gegen Rassismus

Der Hamburger Jurist Said Haider hat Meta erfunden, den weltweit erste Chatbot, der einen barrierefreien Zugang zu Antidiskriminierungsberatung schafft. Im Gespräch mit Qantara.de spricht Haider über die Entwicklung von Meta, seine eigenen Diskriminierungserfahrungen und warum Meta die persönliche Beratung nicht ersetzen will. Ein Interview von Schayan Riaz

Von Schayan Riaz

Herr Haider, Sie haben den weltweit ersten Chatbot gegen Diskriminierung entwickelt. Was hat sie dazu inspiriert?

Haider: Ich habe angefangen zu studieren, weil ich die Welt verändern wollte. Doch schnell habe ich gemerkt, dass sich nichts ändert. Auf der Suche nach etwas Neuem bin ich bei den "Datteltätern“ gelandet, einem YouTube-Kanal, der mit Humor Vorurteile aufbricht. Wir haben unserer Community geschrieben und sie gebeten, ihre schlimmsten Erfahrungen zu schildern. Dann bekamen wir so viele Einsendungen, dass ich einfach überfordert war. Das konnte ich als Jurist so nicht stehenlassen. Wir hatten über 1000 Einsendungen an einem Tag und keiner kannte seine Rechte. So kam es zu der Idee einer niederschwelligen Beratungsstelle, die Menschen aufsuchen können, wenn sie diskriminiert werden.

Wie kam es zu der Idee von Meta?

Haider: Für ein Angebot zur Antidiskriminierung braucht es ja Mitarbeiter, ein Büro und Kenntnisse, die ich zu dem Zeitpunkt nicht hatte. Also dachte ich, ein Chatbot könnte helfen und ging davon aus, das wäre trivial und würde es schon in irgendeiner Form geben. Aber das war nicht so.

Antidiskriminierungsexperten fanden die Idee gut, also habe ich im Frühjahr 2019 ein Roundtable gestartet mit einem Prototyp. Und im Sommer darauf einen Hackathon (eine Ideen-Konferenz für Soft- und Hardware-Entwickler, Anm. der Redaktion), nicht nur mit Antidiskriminierungs- sondern auch mit IT-Experten. Wir wollen ja die ganze Antidiskriminierungsarbeit digitalisieren, das ist die Herausforderung.

Meta antidiscrimination chatbot; How can a chatbot help against discrimination and racism? (source: LinkedIn)
Mehr als "drei Hijabis und ein Kanacke“: "Unser Ansatz folgt der Idee der Intersektionalität. Es gibt genug Menschen mit Migrationshintergrund, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihres Alters Mehrfachdiskriminierungen erleben,“ sagt Projektinitiator Said Haidar. "Da wir wissen, wie es ist, betroffen zu sein, möchten wir andere schützen. Ein Mensch mit Behinderung, der keinen Migrationshintergrund hat, erfährt genauso gesellschaftliche Ausgrenzung, und es ist meine Herzensangelegenheit, dass alle Menschen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, von Meta profitieren können.“

Was genau ersetzt so ein Chatbot? Es gibt ja jede Menge Anlaufstellen bei Diskriminierung.

Haider: Es gibt unterschiedliche Kategorien von Diskriminierung. Und diese haben unterschiedliche rechtliche Konsequenzen. Vorher war es so, dass man im Internet nach Information suchen musste, um die passende Kategorie zu finden. Meta erspart einem das alles. Man hat einen niederschwelligen Zugang zu Informationen über Rechte. Außerdem ist Meta noch auf einer Website verfügbar, soll aber perspektivisch über Messenger-Dienste wie WhatsApp laufen. Das ist ein weiterer Unterschied zur klassischen Beratung. Bisher musstest du eine Beratungsstelle aufsuchen und konntest nicht anonym bleiben. Meta bietet dir die Chance, alle Infos einzuholen, ohne deinen Arbeitsplatz oder dein Zuhause zu verlassen.

Kooperieren Sie mit Beratungsstellen? Irgendwann müssen die ja übernehmen?

Haider: Klar. Wenn Meta eine Torte wäre, dann steht jetzt erst der Boden. Die kommenden Herausforderungen bestehen darin, das alles noch mit genaueren Inhalten zu füllen. Wenn man beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert wird, dann gibt es Handreichungen zur Vorgehensweise. Meta kann im Moment nicht in der Tiefe beraten, aber andeuten, wohin die Reise geht. Perspektivisch sollen Menschen ihre Gesprächsprotokolle mit Meta an Beratungsstellen schicken, damit sich beide Seiten entsprechend auf den jeweiligen Fall vorbereiten können. Es ist uns ein großes Anliegen, Beratungsstellen zu entlasten.

"Ich habe einschneidende Erfahrungen mit Rassismus hinter mir“

In der deutschen Mehrheitsgesellschaft werden Sie als nichtweißer Mann eingeordnet. Inwiefern spielen ihre eigenen Erfahrungen in das Projekt mit rein?

Haider: Ich komme aus Hamburg und habe natürlich auch einschneidende Erfahrungen mit Rassismus hinter mir. Ob im Hamburger Nachtleben oder in der Schule. Das war damals eine harte Nuss, eine Sache, der ich nie entkommen konnte. Im Studium habe ich gemerkt, dass meine Kommilitonen für solche Erfahrungen nicht sensibel sind und Vieles kleingeredet haben. Ich habe während meines Referendariats meine Ausbildungsstationen so gewählt, dass ich einen guten Einblick in postmigrantische Themen bekommen konnte.

Ich war unter anderem bei der Integrationsbehörde in Hamburg und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF) in Nürnberg. Und ich hatte das Gefühl, dass wir die Probleme nicht direkt ansprechen. Sobald es um Migranten geht, findet ein "Othering" statt, ein "Wir-gegen-Sie"-Ding. Ein Ehrenmord in migrantischen Familien hat System, ein deutsch-deutsches Beziehungsdrama ist nur ein Einzelfall. Meine Studienzeit trieft nur von solchen negativen Erlebnissen.

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Wie bewahrt man da einen kühlen Kopf?

Haider: Indem man Menschen machen lässt, die sich auskennen. Es fehlt oft an Expertise, wenn man nicht selbst betroffen ist. Dieses Fingerspitzengefühl können nur Menschen mitbringen, die selbst Betroffene sind. Weil wir uns bei jedem Schritt fragen, würde uns dieser Punkt etwas bringen, werden wir dadurch schlauer oder werden wir zurückgeworfen? Auch bei Meta geht es darum, aus einer Betroffenen-Perspektive zu agieren, das ist auch die DNA des Projekts. So ist es auch bei den "Datteltätern“ übrigens, wo eine mehrheitlich muslimische Truppe für die Anliegen von Muslimen arbeiten. Das hat gefruchtet, also gibt es anscheinend eine Sprache, mit der man Themen wie Diskriminierung ansprechen kann. Am besten sprechen die Betroffenen selbst solche Themen an.

Mehr als "drei Hijabis und ein Kanacke"

Sie wollen mit dem Chatbot ja auch Menschen erreichen, die sich vielleicht nicht mir Ihrer Lebensrealität identifizieren können. In Ihrem Team sind neben Ihnen noch drei Frauen, die alle ein Kopftuch tragen.

Haider: Genau. Man sieht unser Team an und denkt vielleicht, dass wir uns nur um Fälle von Diskriminierung kümmern, bei denen es um Religion geht. Aber auch das wäre eine Diskriminierung. Unser Ansatz folgt der Idee der Intersektionalität. Es gibt genug Menschen mit Migrationshintergrund, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihres Alters Mehrfachdiskriminierungen erleben. Zu glauben, dass wir "drei Hijabis und ein Kanacke" sind, die jetzt ihr "Ding“ machen, wäre Quatsch. Da wir wissen, wie es ist, betroffen zu sein, möchten wir andere schützen. Ein Mensch mit Behinderung, der keinen Migrationshintergrund hat, erfährt genauso gesellschaftliche Ausgrenzung, und es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass alle Menschen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, von Meta profitieren können.

Eine Frage noch zum digitalen Aspekt: Fehlt bei einem Chatbot wie Meta nicht die menschliche Komponente? Vielleicht wird man diskriminiert und möchte diese Erfahrung nicht mit einem Roboter teilen, sondern mit einem Menschen? Grenzt man so Menschen aus Versehen aus?

Haider: Meta hat nicht den Anspruch, eine persönliche Beratung zu ersetzen und stellt daher keine Konkurrenz zu analogen Angeboten für Betroffene dar. Vielmehr versteht Meta sich als Ergänzung, die die Sichtbarkeit von Angeboten erhöht, aber auch durch einen verbesserten Zugang zu Informationen die Qualität der Beratungsgespräche steigert. Meta soll Beratung mit Herz sein. Meta ist kein Mensch, hat aber Persönlichkeit.

Wir haben mit Meta eine virtuelle Persönlichkeit erfunden und damit die Möglichkeit, ein anderes Bewusstsein zu schaffen, um an Informationen zu kommen. Unsere Kommunikation beruht auf Dialog. Es sind nicht nur nackte Informationen. Wenn beispielsweise bestimmte Menschen Schwierigkeiten mit der Digitalisierung haben, dann müssen sie sich fragen, ob wir nicht als gesamte Gesellschaft dabei sind, unsere Kommunikation grubndlegend zu verändern. Auch mein Vater benutzt Emojis, inflationär übrigens. Unsere Kommunikation hat sich im digitalen Zeitalter gewandelt. Und der Kampf gegen Diskriminierung muss hier mitziehen.

Das Interview führte Schayan Riaz.

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