Kabuler Kulturkampf um Mädchengesang
Das afghanische Bildungsministerium hat ein am 10. März in Kabul erlassenes Verbot öffentlicher Gesangsauftritte von Mädchen, die älter als zwölf Jahre sind, für nichtig erklärt. Die Behörde für Erziehungswesen in Kabul habe diese Anordnung ohne vorherige Abstimmung mit dem Ministerium erlassen, hieß es.
Nach Kritik im In- und Ausland und einer afghanischen Kampagne in den sozialen Medien gab das Ministerium eine Erklärung ab, der zufolge Mädchen auch in Zukunft die gleichen Rechte wie Jungen hätten. "Die Leitung des Ministeriums ist dem Recht auf Bildung verpflichtet und gewährt Mädchen und Jungen die freie Wahl, an kulturellen, künstlerischen und sportlichen Aktivitäten teilzunehmen", heißt es in der Erklärung. Und weiter: "Die von der Kabuler Erziehungsbehörde herausgegebene Anweisung entspricht nicht der offiziellen Position und Politik des Bildungsministeriums."
Zuvor hatte das Ministerium allerdings laut der Nachrichtenagentur Reuters die Anweisung der Kabuler Behörde verteidigt: Eltern hätten darum gebeten, dass ihre Töchter von solchen öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, auch hätten sich Schülerinnen beklagt, dass sie durch die Teilnahme vom Lernen abgehalten würden.
Samira Hamidi, Südasien-Expertin bei Amnesty International, verweist darauf, dass das afghanische Bildungsministerium mit Rangina Hamidi von einer Frau geleitet wird. Sie findet es "schockierend", dass eine Frau, die ihre Position aufgrund ihres Engagements für Frauenrechte bekleidet, eine solche Entscheidung treffen konnte.
To the current minister of education @hamidi_rangina
I once read that you were 'one of the leading voices for Afghan women'. But I didn't know you would use your voice to shut down those of young Afghan girls.
We'd all love to hear the logic behind this. What is the goal? https://t.co/F0NaZYOV2f— Khadiji (@diija_b) March 10, 2021
Zwischen Fundamentalismus und Moderne
Noch bevor das Bildungsministerium reagieren konnte, hatten junge afghanische Aktivistinnen bereits eine Kampagne – #IamMySong – in den sozialen Medien gestartet. In Videoclips sangen sie als bewusste Reaktion auf das Verbot Hymnen und patriotische Lieder.
Die Frauenrechtsaktivistin Vida Saghari erinnert daran, dass das Bildungsministerium schon Ende 2020 zwei andere Erlasse herausgegeben habe, die ebenfalls der Ideologie der Taliban nahekamen.
Danach sollten Religionsschulen (Madrassas) den Vorzug vor staatlichen Schulen erhalten, die ein modernes Curriculum haben, und junge Mädchen von der ersten bis zur dritten Klasse sollten ausschließlich in Moscheen unterrichtet werden. Später nahm das Ministerium zwar auch diese Erlasse zurück und begründete sie damit, es habe nur "Vorschläge für entlegene Regionen" gemacht, in denen es keine modernen Schulen gebe.
Vida Saghari ist mit der neuerlichen Kehrtwendung der Regierung nicht zufrieden. Sie sieht weiterhin frauenfeindliche Kräfte am Werk, gegen die es sich zu wehren gelte: "Der Hauptgrund für unseren Protest ist, dass Frauen sich in ihren Liedern und Hymnen Gehör verschaffen. Ihre Stimme verstummen zu lassen, bedeutet, sie aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Wer die Stimmen von Menschen verstummen lassen will, möchte sie letztendlich verbannen. Jene Anweisung (der Kabuler Erziehungsbehörde) entspricht genau dem Geist der Anordnungen, die die Taliban während ihrer Herrschaft erlassen haben", sagt Saghari.
Taliban-Positionen auf der Agenda
Die Taliban behaupten zwar, sie hätten ihre Positionen in Bezug auf Frauenrechte überdacht und verändert. Doch Samira Hamidi von Amnesty International glaubt das nicht. Sie sagt, "die Positionen der Taliban hat sich nicht verändert, weder in Bezug auf Frauenrechte noch in Hinblick auf Meinungsfreiheit, Medien und Bildung für Mädchen." Hamidi zufolge "gewähren die Taliban Frauen zwar inzwischen ein Recht auf Bildung, aber nur gemäß dem Islam und der Scharia. Sie haben jedoch nie erläutert, was sie genau darunter verstehen."
Hamidi sagt, die Taliban wähnten sich heute, anders als in den vergangenen Jahren, in einer Position der Stärke, weil das US-Friedensabkommen ihnen mehr Mitsprache bei der Gestaltung der Zukunft Afghanistans zugestanden habe. "Die Taliban befinden sich im Aufwind. Sie betonen ständig, dass sie den Krieg gegen die USA gewonnen haben und die afghanische Regierung nicht anerkennen", kommentiert Hamidi und fügt hinzu, dass Demokratie-Aktivisten und Kämpferinnen für Gleichberechtigung von den Militanten ins Visier genommen werden.
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Die afghanische Frauenrechtsaktivistin Robina Schahabi ist davon überzeugt, dass die Taliban wieder traditionalistische und fundamentalistische Strukturen in Afghanistan einführen würden. Das geplante Gesangsverbot für junge Mädchen interpretiert Shahabi als einen ersten Schritt in diese Richtung.
"Einfache Menschen denken, dass der Gesangsverbot-Erlass, obwohl er zurückgenommen wurde, grünes Licht für die Taliban bedeutet", sagt Schahabi. Derzeit werde die Beteiligung der Taliban am künftigen Staatsaufbau Afghanistans diskutiert, ebenso wie ein sogenannter "Rat der islamischen Rechtsprechung". Er soll möglicherweise neben dem Parlament eingeführt werden. All dies werde in verschiedenen innerafghanischen Gesprächsrunden und Verhandlungen diskutiert, die für die nahe Zukunft geplant seien.
Viele Afghaninnen und Afghanen fürchten ein Comeback der Taliban. "Meine persönliche Sicht und die meiner Freunde ist, dass Dinge wie das ursprünglich geplante öffentliche Gesangsverbot für Mädchen passieren, um sich jetzt schon an die Taliban und ihre Ansichten anzupassen. Die Menschen glauben, dass die Taliban zurückkehren werden, deshalb versuchen sie, islamische Gesetze noch islamischer zu gestalten. Genau das ist auch im Iran von 1979 an passiert. Wir scheinen nun wieder den gleichen Weg zu gehen."
Nasim Saber
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