Unterwegs zwischen Paris, Sanaa und Istanbul
Seine früheste Kindheit verbrachte Jean-Pierre in Tunesien, kam aber sehr früh mit der Familie nach Paris. Aus der Heimat haben die Eltern, Tanten und Onkels die arabische Musik, Sprache und das festliche Brauchtum mitgenommen – von Entwurzelung kann bei Smadj also keine Rede sein. Dennoch interessierte sich der Pubertierende zunächst für Folk, Jazz und Bossa Nova.
"Zu meinem 13. Geburtstag", erinnert er sich, "hat mir meine Familie dann allerdings eine Ud geschenkt. Da war es um mich geschehen. Ich kannte schon die Aufnahmen von Rabih Abou-Khalil und Anouar Brahem und habe in den Ferien versucht, mir selbst anhand dieser Platten das Spielen beizubringen." Nach etlichen Jahren fand er in Gestalt des Algeriers Mehdi Haddab endlich einen adäquaten Lehrer, der zugleich sein Partner beim DuOuD, seinem Hauptprojekt der letzten Jahre, wurde. Haddab brachte dem Ud-Adepten die Kniffe auf den Saiten bei, während Smadj sein Gegenüber in die Geheimnisse elektronischer Soundprogramme einweihte. Die hatte sich der Tontechniker wegen seiner Begeisterung für Drum & Bass beim Pariser Label Bleu angeeignet.
"Filter für traditionelle Musik"
Zu sehen an seinen drei Solo-Alben, die von cleverer Ethno-Electronica zeugen. Das DuOuD stemmte die große Aufgabe, Traditionelles auf der Laute mit Bits & Bytes zu verzahnen. Ihr Debüt "Wild Serenade" wurde zu einem erstaunlichen Manifest moderner Ud-Literatur, das nun mit einer erstaunlichen Wendung sein zweites Kapitel fertig geschrieben hat. Als das jemenitische Sanaa 2004 Kulturhauptstadt der arabischen Welt wurde, lud das französische Kulturzentrum die Ud-Avantgardisten ein, dort als "residence artists" zu spielen.
Der Aufenthalt führte zu einer längeren Partnerschaft mit dem Sänger und Ud-Meister Abdulatif Yagoub – mit ihm und weiteren Musikern an Schalmei und Percussion entstand das Album "Sakat" (Label Bleu/Rough Trade). "Auf dem Album hört man traditionelle Stück des Jemen, die wir allerdings von der Struktur her völlig verändert haben", erklärt Smadj. "Doch letztendlich fungieren wir nur als Filter für diese Musik – die Leute vor Ort haben ihre Musik auch sofort erkannt und waren sehr aufgeschlossen, haben bei unseren Konzerten in Sanaa und Aden getanzt. Nur ein paar westliche Akademiker, die im Jemen leben, hatten was zu mäkeln."
Als "Brückenbauer" zwischen Frankreich und Türkei
Smadjs erklärtes Ziel ist es, die bislang fast hermetisch abgeschlossene Musikkultur des Jemen den Europäern mit "Sakat" näher zu bringen. Fasziniert berichtet er über die besondere Spielart der Ud und die uralte, erhabene, von hoher Leuchtkraft erfüllte Poesie. In der Tat verursacht Yagoubs machtvolle Vokalkunst mit dem eigentümlich "meckernden" Timbre Gänsehaut.
Eine Öffnung hin zum Westen verspricht er sich auch von seinen türkischen Projekten, in die er aktuell sein ganzes Herzblut legt – von Istanbul, wo er der Liebe wegen nun lebt. "Es gibt derart viele gute türkische Musiker, die nicht nach außen wirken. Ich stehe kulturell nun zwischen Frankreich und der Türkei und denke, dass ich als Brückenbauer dienen kann. Ich dachte, wenn ich jetzt hier meine Zelte aufgeschlagen habe, dann will ich auch ein Projekt unter eigener Regie anfangen, so kam das Trio SOS zustande." (CD erschienen auf Doublemoon/Rough Trade). Mit dabei sind der Roma-Klarinettist Savaş Zurnacı und der in Griechenland aufgewachsene Bouzouki-Spieler Orhan Osman. In einem Café in Istanbul wurden Jam-Sessions veranstaltet und der Kontakt weiter aufrecht gehalten.
In der Zwischenzeit machte sich Smadj daran, als Araber"türkische" Musik zu komponieren: "Drei Jahre lang habe ich mich intensiv in die Klänge des Landes vertieft. Aus den Elementen, die mir gefielen, habe ich eigene Stücke gebaut. Es ging mir darum nachzuzeichnen, wie das Instrument die Melodie singt, und dies dann mit elektronischer Grundierung, mit Loops und viel Improvisation zu verbinden."
Araber mögen türkische Musik
Ein bisschen Herzklopfen habe er gehabt, ob die Türken denn seine Spielart ihrer Musik akzeptieren würden, gesteht Smadj – und das nicht ohne Grund. "Araber und Türken arbeiten mit den teils gleichen Instrumenten, und die Maqammat (Skalen) unterscheiden sich nur um Nuancen. Doch meine Beobachtung ist, dass ein türkisches Publikum sich verblüffend gut im eigenen Repertoire auskennt und alles mitsingen kann, gewöhnlich aber nicht sehr empfänglich für auswärtige Einflüsse ist.
"Wir Araber dagegen fahren total auf türkische Musik ab. Sicher auch, weil wir merken, wie lebendig deren Szene ist, wie die Musik an junge Leute weitergegeben wird, während bei uns – wie mir Professoren in Tunesien erzählten - die Konservatorien einstauben und dem Niedergang geweiht scheinen."
Vielleicht bedürfte es mehr verjüngender Injektionen à la Smadj und mehr Austausch zwischen Bosporus und arabischer Welt. Die eine oder andere Pforte wird der umtriebige Allrounder sicher noch von Istanbul aus aufstoßen.
Stefan Franzen
© Qantara.de 2006