"Wir sind die Sugar Hill Gang Palästinas!"
DAM nimmt eine Pionierfunktion im noch sehr jungen palästinensischen Hip-Hop ein – wie kamen Sie mit dem Genre in Berührung?
Nafar: Mein frühestes Vorbild war der Amerikaner 2Pac. Über Jahre hinweg habe ich aber einen Flow entwickelt, mit dem ich auch die arabische Sprache in Rap fassen konnte, stark beeinflusst war ich von der algerischen Gruppe MBS. Im Jahr 2000 habe ich mir ein Studio gemietet und ein einziges Stück aufgenommen. Dadurch wurde ich so populär, dass ich plötzlich vor 2000 Leuten auftreten konnte. Jetzt bildet sich um uns herum eine richtige Szene, aber wir waren die ersten, die "Sugar Hill Gang Palästinas".
Können Sie den Rap-Stil von DAM definieren?
Nafar: Wir sind politisch, sozial und anti-kommerziell – am Ende kann man es auf den Nenner "Protest-Rap" bringen. Unsere Songs haben aber auch philosophische, poetische, sogar ironische Züge. Wir sind ja nicht nur vom Hip-Hop beeinflusst, sondern haben von den arabischen Dichtern gelernt, wie man Metaphern benutzt. Die klauen wir aber nicht aus Büchern, sondern wir entwickeln anhand unseres Street Slangs unsere eigenen Bilder.
Es gibt einen Text, in dem Sie ausdrücklich betonen, dass Unrecht nicht durch Gewehre, sondern durch Papier und Bleistift zu besiegen sei, Ihre Arbeit bezeichnen Sie als "lyrischen Krieg" –wie kommt eine solche Einstellung bei der Hamas an, die die Hip-Hop-Bewegung als "westlich" verachten?
Nafar: Keine Ahnung, ich habe die Hamas nie getroffen. Wir sind politisch, nicht extremistisch. In Palästina jedenfalls haben wir eine hohe Akzeptanz, da sind auch viele Leute darunter, die gläubig sind.
Dass Sie sich mit Ihren Texten direkt gegen die israelische Regierung wenden, ist klar, aber wie ist Ihr Verhältnis zur gemäßigteren Bevölkerungsschicht Israels?
Nafar: In früheren Stücken haben wir auch auf Hebräisch gerappt, wenn wir ihnen etwas zu sagen hatten. Wir arbeiten auch mit israelischen Musikern zusammen: Mit der Band Gaya haben wir einen zweisprachigen Song über Frieden und Gerechtigkeit geschrieben, der aber nur ohne den arabischen Part im israelischen Radio gespielt werden durfte. Und unsere Shows sind in Israel auch schon ein, zwei Mal von der Polizei aufgelöst worden.
Wie eine Million Palästinenser leben Sie als Araber in Israel - wie sieht Ihr Alltag in Lod aus?
Nafar: Lassen Sie es mich als permanentes "sleeping with the enemy" beschreiben. Unser Bevölkerungsanteil ist 30 Prozent, aber die Regierung pumpt ein Maximum an Geldern hier rein, um Lod jüdisch zu machen. Ich spreche jetzt nicht über die Bürger - wir haben jüdische Nachbarn, und mit denen kommen wir klar. Aber stell dir vor, du willst in einen Club gehen, sie lassen dich nicht rein, weil du Araber bist. Wenn du etwas bauen willst, kommen sie und demolieren es. Ich gehe Milch kaufen und im Laden sitzt an der Kasse der Sohn des Verkäufers und er ist Soldat.
In der Schule musst du Gedichte über zionistische Helden lernen. Ich gehen in das einzige Musikgeschäft hier vor Ort, wo ich dringend benötigte Sampler kaufen will – und finde heraus, dass der Ladenbesitzer zu den Leuten gehört, die meinen Großvater enteignet haben. Wenn ich dir mein Album nach Europa schicken will, muss ich eine Briefmarke mit Begins Gesicht auf das Päckchen kleben. Es ist eine tägliche Gehirnwäsche, die die Nabelschnur zwischen uns und unserer Kultur trennt.
Kann es den Frieden, den Sie in Ihren Texten wünschen, wirklich geben?
Nafar: Wie würden sich die Schwarzen fühlen, wenn bis heute niemand die Verbrechen der Sklaverei zugegeben hätte? Frieden wird nicht eintreten, es sei denn, die israelische Regierung gibt zu, dass sie uns 1948 alles weggenommen und unsere Familien deportiert hat. Das ist der Anfang. Der zweite Schritt ist, sich dafür zu entschuldigen. Der dritte ist, uns unser Eigentum zurückzugeben. Unsere Häuser, unsere Ländereien. Hier geht es nicht um die palästinensische Regierung, ich kämpfe nicht für eine Flagge, ein Symbol oder den Namen "Palästina". Hier geht es um Menschen, die Zukunft unserer Kinder. Wenn diese drei Punkte eines Tages passieren, dann können auch die Juden hier sein, es gibt Platz für alle. Und wie dieser Staat dann heißen wird, ist völlig egal.
Es gibt einen ganz erstaunlichen Song, in dem Sie sich an Ihre eigenen Leute wenden und die Unterdrückung der Frauen in der arabischen Gesellschaft anprangern – wie waren die Reaktionen darauf?
Nafar: Viele Männer haben gesagt: "Ja, ihr habt Recht, wir müssen etwas daran ändern, aber müssen wir gerade mit meiner Schwester, mit meiner Frau anfangen?" Die meisten Frauen hingegen haben es nicht gemocht. Sie sagen: "Wenn ihr über die Schmerzen anderer Leute redet, dann schwächt sie das." Ich kann das nachvollziehen, denn ich würde mich genauso beschissen fühlen, wenn ein Israeli sich ein Mikro schnappt und anfängt, über unsere Qual zu singen. Deshalb gebe ich in der zweiten Strophe auch einem Mädchen die Stimme und frage sie, wie sie darüber denkt.
DAM steht nicht nur als Abkürzung für "Da Arabian MCs", sondern hat sowohl im Arabischen als auch im Hebräischen eine Bedeutung.
Nafar: Auf Arabisch bedeutet "Dam" "Blut", auf Hebräisch ist es "Ewigkeit". Wenn du "Blut" sagst, dann denken die meisten an Gewalt. Nein, ich sehe es von der Seite, dass Blut ja erst kontinuierliches Leben möglich macht. Kombiniere es und du hast: "Ewiges Blut" – das soll heißen, dass die Politik das Menschliche in uns niemals ausradieren kann.
Interview von Stefan Franzen
© Qantara.de 2006
Diskographie: DAM: "Dedication" (Red Circle Music/Soulfood, 2006)