"Mutter der Uiguren"
Die zierliche, in ihrem schwarzen Kleid und hochgestecktem Haar fast streng aussehende Bürgerrechtlerin strahlte, als sie zur Begrüßung im Funkhaus der Deutschen Welle neben anderen Präsenten auch einen Regenschirm überreicht bekam.
Entsprach dieses Geschenk doch ganz den Worten, mit denen sie einmal ihre Aufgabe beschrieben hatte: Sie wolle Mutter des uigurischen Volks sein‚ die Medizin für sein Leiden, das Taschentuch für seine Tränen und der Schirm, der es vor dem Regen schützt.
Dieser Aufgabe versucht die achtundfünfzigjährige Rebiya Kadir noch immer nachzukommen. Auch wenn die Mutter von elf Kindern dafür ein erfolgreiches Leben als reiche Unternehmerin aufgeben musste. Zu sehr berühre sie das Leiden des eigenen Volkes, dem die elementarsten Menschenrechte verwehrt würden, als dass sie tatenlos zusehen könne.
"Mein Volk will freie Bildung in seiner eigenen Sprache, und es möchte, dass die chinesische Regierung die uigurische Kultur und Traditionen akzeptiert und ihm dabei hilft, sie zu erhalten", erklärt Rebiye Kadir. "Außerdem will mein Volk am wirtschaftlichen Leben teilhaben und seine religiösen Freiheiten gewahrt wissen."
Von der Näherin zur Millionärin
Die Uiguren sind eine eigenständige, turk-sprachige ethnische Volksgruppe, deren Heimatland sich als Ostturkestan Ende der vierziger Jahre einer kurzen Periode der Selbstständigkeit erfreute, seit 1949 jedoch zur Volksrepublik China gehört.
Für ihren mutigen Einsatz saß Rebiya Kadir über fünf Jahre unter härtesten Bedingungen im Gefängnis - alleine zwei Jahre in Isolations- und Dunkelhaft. Erst auf internationalen Druck hin - vor allem aus den USA - kam sie im März dieses Jahres frei.
Dabei war Rebiya Kadir einst eine von den chinesischen Behörden hoch gelobte Modell-Bürgerin: Von der einfachen Näherin stieg sie zur Multimillionärin mit Geschäftsverbindungen in ganz Zentralasien auf.
1995 war sie als Delegierte bei der UN-Frauen-Konferenz in Peking zugegen und wurde sogar als Abgeordnete in das höchste Beratungsgremium für den chinesischen Volkskongress - der "Chinese People's Political Consultative Conference" (CPPCC) - berufen. Doch, so sagt sie, niemand wollte etwas vom Schicksal der Uiguren wissen:
"Während ich politisch nimmer höher aufstieg, erfuhr ich auch immer mehr über Menschenrechtsverletzungen in meiner Region. Ich konnte mein Volk nicht länger belügen oder der internationalen Gemeinschaft gegenüber die wahre Situation in meiner Heimat verschweigen. Also entschloss ich mich, Menschenrechtsaktivistin zu werden.
"Dafür musste ich mein Geschäftsunternehmen opfern, weil es von den Chinesen zerstört wurde. Aber ich hatte mich entschieden, statt eine erfolgreiche Geschäftsfrau lieber eine politische Aktivistin zu sein, die auf die Menschenrechtsverletzungen in China, vor allem aber in meinem eigenen Land, aufmerksam macht."
Europatour soll Aufmerksamkeit wecken
Über das Leiden der überwiegend muslimischen Uiguren ist international wenig bekannt: Laut amnesty international hat Peking dreitausend Uiguren unter dem Hinweis, sie seien Separatisten oder Terroristen, allein in der ersten Jahreshälfte inhaftiert. Rebiya Kadir spricht von einer Verfolgungskampagne der chinesischen Regierung unter dem Deckmantel der internationalen Terrorismusbekämpfung:
"Natürlich gibt es Widerstand gegen die chinesische Fremdherrschaft in meinem Land. Aber es ist ein friedlicher Widerstand - ohne Gewaltanwendung. Es werden keine Terrormethoden angewendet. Der Widerstand ist absolut friedlich, aber die chinesische Regierung will der Welt weismachen, dass die politische Bewegung der Uiguren gewalttätig sei. Aber das trifft einfach nicht zu!"
Um die Welt auf das Schicksal der Uiguren aufmerksam zu machen, suchte Kadir Anfang 2000 Unterstützung bei einer Gruppe durchreisender US-Kongressabgeordneten, denen sie Materialien über die Not der Uiguren in Xinjiang übergeben wollte. Dabei wurde sie verhaftet und wegen angeblicher Weiterverbreitung von Staatsgeheimnissen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Die Tatsache, dass fünf ihrer Kinder und ihr Ehemann in den Vereinigten Staaten leben, hat sicher die vorzeitige Entlassung aus der Haft begünstigt.
Zurzeit reist Rebiya Kadir durch Europa, um weiterhin auf die Lage ihrer Landsleute aufmerksam zu machen. In Deutschland will sie bei den Behörden gegen die drohende Abschiebung uigurischer Asylbewerber protestieren und ein uigurisches Verbindungsbüro eröffnen.
Tobias Grote-Beverborg
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
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www
Pressemitteilung von Human Rights Watch über die Situation der Uiguren