Die vielen Gesichter des Sharif-Clans
Nawaz Sharif war bereits drei Mal Ministerpräsident Pakistans. Seine Karriere in den 1980er und frühen 1990er Jahren wäre ohne Unterstützung des Militärs nicht möglich gewesen. 1999 wurde er allerdings in einem unblutigen Putsch vom damaligen Armeechef Pervez Musharraf gestürzt. Gegen das Versprechen, zehn Jahre lang nicht mehr pakistanischen Boden zu betreten, durfte er ins Exil nach Saudi-Arabien gehen.
Bereits nach acht Jahren kehrte Sharif aber zurück und verbündete sich mit der früheren Ministerpräsidentin Benazir Bhutto. Er unterzeichnete gemeinsam mit Bhutto eine "Demokratie-Charta", ein politisches Aktionsprogramm, mit dem die übermächtige Rolle des Militärs zurückgedrängt werden sollte. Bhutto wurde jedoch kurz darauf, im Dezember 2007, bei einer Wahlkampfveranstaltung ermordet.
Sharifs Entfremdung vom Militär
Nach seinem Sieg bei der Parlamentswahl 2013, die als erster ordnungsgemäßer Wechsel von einer Zivilregierung zur nächsten in Pakistan gefeiert wurde, nahm Sharif noch deutlichere Positionen ein, die ihn in Gegensatz zu Interessen des Militärapparats brachten. So strebte er nach freundschaftlichen Beziehungen zu Indien und dessen Ministerpräsident Narendra Modi und versuchte generell, die Außenpolitik seines Landes unter seine Kontrolle zu bringen.
Nach Ansicht von Beobachtern rächte sich das Militär, indem es Sharifs Entmachtung betrieb. Im vergangenen Jahr wurde er vom Obersten Gericht des Amtes enthoben, Anfang Juli von einem Sondergericht zur Korruptionsbekämpfung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Beide Maßnahmen erfolgten wegen der Verwicklungen Sharifs und seiner Familie in den Korruptionsskandal um die sogenannten Panama-Papers.
Vergangene Woche kehrte Sharif zusammen mit seiner ebenfalls zu Gefängnis verurteilten Tochter Maryam aus London nach Pakistan zurück, worauf beide prompt hinter Gitter nach Rawalpindi gebracht wurden. Dieser PR-Coup dürfte die Chancen der PML-N, der Partei Sharifs, bei den kommenden Parlamentswahlen am 25. Juli erhöht haben. Sollte sie die Regierung stellen, wird Sharifs Zeit als Gefängnisinsasse nach Ansicht von Beobachtern recht bald zu Ende sein.
Unaufhaltsamer Aufstieg von Imran Khan?
Ebenso gute Chancen werden allerdings der Partei von Imran Khan eingeräumt. Nach seiner brillanten Cricket-Karriere widmete er sich den 90er Jahren wohltätigen Aufgaben. Er trieb erfolgreich Spenden ein und eröffnete die erste Krebs-Klinik des Landes. Mit der Gründung der Partei "Bewegung für Gerechtigkeit" (PTI) betrat Khan dann die nationale politische Bühne. Sein Versprechen: Mit der allgegenwärtigen Korruption aufzuräumen.
Gleichzeitig stellte er die etablierten Parteien, nämlich Bhuttos Pakistanische Volkspartei (PPP) und Sharifs Muslimliga (PML-N) an den Pranger als Hauptverantwortliche für Pakistan Dauermisere mit Symptomen wie Stromausfällen, Arbeitslosigkeit, Inflation.
Der PTI gelang es in den ersten Jahren nach ihrer Gründung noch nicht, sich auf nationaler Ebene nachhaltig bemerkbar zu machen. Der Grund: Pakistans Politik war Anfang der 2000er Jahre vom Antiterrorkampf unter Führung der USA im benachbarten Afghanistan dominiert. Nach dem Ende der Militärherrschaft von Pervez Musharraf im Jahr 2007 und der Rückkehr demokratischer Verhältnisse wurde auch die PTI aktiver und errang bei den landesweiten Wahlen 2013 die zweitmeisten Stimmen unter Pakistans Mehrheitswahlsystem. Außerdem stellte sie damals die Regierung in der nordwestlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, die im nördlichen Teil an Afghanistan grenzt.
Wahl wird in Punjab entschieden
"Khans Position in Bezug auf Korruption und Vetternwirtschaft in der pakistanischen Politik wird von der Bevölkerung bejaht, die genug von der herrschenden Elite hat", meint der PTI-Aktivist Khawar Sohail aus Islamabad. Gegen Khan würden keine Korruptionsvorwürfe erhoben, und er habe keine Auslandsvermögen, fügt der PTI-Anhänger hinzu.
Das Gerichtsverfahren gegen Sharif wegen Korruption wurde von der PTI in Gang gesetzt. Khans unablässiger Einsatz, um Sharif von der Macht zu verdrängen, hat gefruchtet. Er wird bereits als "nächster Premierminister Pakistans" gehandelt. Dafür müsste seine Partei allerdings den Sieg in der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab mit 110 Millionen Einwohnern davontragen, die auch die meisten Parlamentssitze stellt. Hier lebt mehr als die Hälfte der pakistanischen Bevölkerung. Punjab, das "Fünfstromland" an der Grenze zu Indien, ist die Machtbasis Sharifs. Sollte es dort zu für Khan "günstigen" Unregelmäßigkeiten kommen, wären massive Proteste in der Provinz die Folge.
Großer Name, schweres Erbe
Die säkularen liberalen Kräfte setzen ihre Hoffnungen aber weder auf den schillernden Populisten Imran Khan noch auf den Altpolitiker Nawaz Sharif, sondern eher auf Bilawal Bhutto Zardari, den Sohn Benazir Bhuttos. Der 30-jährige Bilawal übernahm in jungen Jahren den Vorsitz der PPP, nachdem seine Mutter 2007 einem Attentat zum Opfer fiel. Der PPP, einst die mächtigste politische Kraft Pakistans, werden nur geringe Chancen bei der Wahl eingeräumt. Bilawal versucht dennoch, mit Themen und neuen Ideen zu punkten.
Er trägt allerdings seine familiäre Herkunft als Bürde. Da ist einerseits sein Vater Asif Ali Zardari, der als früherer Präsident des Landes wegen seiner korrupten Machenschaften als "Mr Zehn Prozent" berühmt-berüchtigt war. Andererseits seine Mutter Benazir, deren Charisma, Quelle ihrer großen Beliebtheit, ihm abgeht. "Bilawal ist intelligent, aber seine politischer Werdegang verlief bisher in den von seinem Vater und seinen Beratern vorgegebenen Bahnen", meint Hasan Mujtaba, ein pakistanischer Journalist in New York. "Er könnte seine Partei erneuern, wenn er sich vom Einfluss seines Vaters löst und der PPP die Richtung vorgibt."
Finanzen, Extremismus, Geopolitik
Wer auch immer die nächste Regierung stellt, muss sich neben der Dauermisere der Wirtschaft mit einigen weiteren dornigen regionalen und internationalen Themen befassen. So wurde Pakistan vor einigen Wochen erneut auf die "graue Liste" der OECD-Arbeitsgruppe für finanzielle Maßnahmen gegen Geldwäsche (Financial Action Task Force, kurz FATF) gesetzt.
Es hat nun 15 Monate Zeit, um nachzuweisen, dass es genügend Schritte unternommen hat, um Quellen zur Terrorfinanzierung zu schließen. Sollte es auf die "schwarze Liste" kommen, würde dann dem unter chronischer Devisennot leidenden Land der Zugang zu internationalen Finanzmitteln erschwert.
Pakistans Haltung zum Extremismus bleibt ein heikler Punkt, auch innenpolitisch. So wurde es verschiedenen eigentlich verbotenen islamistischen Gruppen erlaubt, sich an Wahlen zu beteiligen und Wahlkampfveranstaltungen abzuhalten. Auch die großen Volksparteien haben sich auf lokale Bündnisse mit solchen Gruppen eingelassen, um sich Vorteile bei Wahlen zu verschaffen.
Derweil verlangt US-Präsident Donald Trump mehr Einsatz von Islamabad, um Frieden in Afghanistan zu erreichen. Die USA haben direkte Gespräche mit den Taliban ins Spiel gebracht, was der traditionellen Politik Pakistans zuwiderlaufen würde, über die Taliban indirekt Kontrolle über Afghanistan auszuüben. Imran Khan hat sich bereits sehr kritisch über die US-Politik in Afghanistan geäußert. Ein Konflikt mit Washington wäre bei seinem Wahlsieg vorprogrammiert.
Bei einem Sieg von Sharifs Muslim-Liga wären die Beziehungen weniger ideologisch aufgeladen. Sharif und sein Bruder Shehbaz, der die Provinz Punjab von 2008 bis 2018 regiert und auch als möglicher nächster Ministerpräsident gilt, sehen geopolitische Angelegenheiten - ähnlich wie Trump - eher aus geschäftlicher Perspektive.
Shamil Shams
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