Film als Politikum
Alles begann mit einer Kuh, so geht zumindest die Mär. Der Gründer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ruhollah Khomeini, soll eines Tages den Film "Gaav" ("Die Kuh") gesehen und beschlossen haben: Das iranische Kino ist förderungswürdig. Denn in dem Film von Dariush Mehrjui sind die Rollen von Mann und Frau klar verteilt, es herrschen Zucht und Ordnung, und es geht um Moral - ganz im Sinne des religiösen Führers. Es wurde beschlossen: So soll das iranische Kino der Zukunft aussehen.
Tatsächlich gilt der Film aus dem Jahr 1969, eine vom Neorealismus beeinflusste, existentialistische Fabel über das Verhältnis eines Individuums zur Gruppe, auch heute noch als cineastisches Meisterwerk. Er wurde noch unter dem Schah wegen seiner Darstellung von Armut auf dem Land verboten, außer Landes geschmuggelt und gewann 1971 bei den Filmfestspielen von Venedig den Kritikerpreis.
Kinofilme: umstrittenes Medium im Gottesstaat
Auch wenn die religiösen Machthaber verstanden hatten, was sie mit dem nationalen Kino für einen immensen kulturellen Schatz hatten, blieb der Film zunächst ein hart umkämpftes Medium: Zum Höhepunkt der Revolution 1978/1979 und während des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) gingen immer wieder Kinos in Flammen auf. Das Kino wurde an einem Tag als "Prostitution" verdammt und am nächsten als lehrreich und moralisch bildend gelobt, zum Beispiel, wenn es als hoch wirksames Propagandamittel für die Zwecke der Revolution genutzt werden konnte. In diesem Zwiespalt lebt der iranische Film bis heute.
"Seit das Kino als akzeptierte Kunstform übernommen und staatlich gefördert wurde, sind wir in dieser paradoxen Situation, dass die Regierung, das Kultusministerium, Filme am Anfang fördert und am Ende zensiert. Zensur wird als systemimmanent, als zugehörig und moralisch und politisch sinnvoll empfunden", so Amin Farzanefar, Leiter des Iranischen Filmfestivals "Visions of Iran" in Köln. Filme müssen vor dem Dreh vom Ministerium für Kultur genehmigt und können während der Produktion inspiziert werden. Am Ende müssen sie dann dem Ministerium vorgelegt werden.
Das Fajr-Filmfestival und das iranische Kinowunder
1982 wurde der Wichtigkeit der Kunstform Kino seitens der Regierung schließlich auch ganz offiziell Rechnung getragen, mit der Gründung des Fajr-Filmfestivals. Es entstand mit der Förderung und unter Aufsicht des Ministeriums für Kultur. Seitdem findet es jedes Jahr im Februar zum Jahrestag der Islamischen Revolution statt. Das Ziel aller Beteiligten war es, an die große Tradition des vorrevolutionären iranischen Kinos anzuknüpfen. Doch der Start des Festivals verlief alles andere als harmonisch: Bei der ersten Ausgabe waren wohl so viele furchtbare Einreichungen dabei, dass sich die Jury weigerte, einen Preis zu vergeben, wie Amin Farzanefar erzählt. Doch man berappelte sich, und das Fajr-Filmfestival, das laut eigenen Angaben älteste asiatische Filmfestival, wurde zum Prestigeobjekt und Vorzeige-Kulturereignis der Nation.
Kurz darauf folgte das iranische Kinowunder. Iranische Filme glänzen seither auf dem internationalen Parkett, sie gewinnen Goldene Bären in Berlin, Goldene Palmen in Cannes und Oscars in Hollywood. Namen wie Jafar Panahi, Abbas Kiarostami oder Asghar Farhadi sind Cineasten weltweit ein Begriff. Ihre Filme werden immer wieder gezeigt.
Völlig zurecht, denn iranische Filme erzählen - durch die vielen Beschränkungen oft meisterhaft innovativ - elementare Geschichten. Es geht um Menschliches und Zwischenmenschliches, durchaus auch um soziale oder politische Konflikte, um Minderheiten, Underdogs und die Kämpfe zwischen den Geschlechtern. Dabei spiegeln sie immer wieder auch die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse wieder.
Breites Themenspektrum trotz Zensur
Regimekonforme Filme im Iran handeln meist von Themen wie dem Ersten Golfkrieg oder von der Islamischen Revolution. Wer andere, auch kritische Themen behandeln will, darf bestimmte Tabus nicht überschreiten, also keine direkte Kritik an der Revolution, dem Regime oder am Golfkrieg üben. Werden die vom Regime festgelegten roten Linien nicht überschritten, dürfen durchaus auch "heiklere" Themen, wie das Atomprogramm oder die Kopftuchpflicht, verhandelt werden. Sozialkritik ist möglich, doch sie ist ein Eiertanz.
Das Schwierige im Gottesstaat ist es, einzuschätzen, wie die Zensoren des Kultusministeriums auf bestimmte Szenen reagieren. Dies ist ziemlich unberechenbar, denn auch die Politik ist ständig in Bewegung. Da sich die Produktion eines Films meist über mehrere Jahre zieht, kann sich im Laufe der Zeit natürlich immer etwas ändern im Zensurverhalten des Ministeriums.
"Man findet immer ein gutes Abbild dessen, was das iranische Kino sich in die Breite erlaubt, was es machen darf, wie es stilistisch aufgestellt ist, welche Trends und Moden es gibt. Es gibt dort eine große Spannbreite von den Veteranen des Kinos über Propagandafilme bis hin zu jungen Filmemachern, die was Neues ausprobieren", so Amin Farzanefar über das Fajr-Filmfestival.
Trotz der staatlichen Zensur zeigen nach wie vor viele namhafte Regisseure dort ihre Filme, auch jene, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. "Es gibt immer wieder Filmemacher, die einen außergewöhnlichen Film abliefern, und sie bekommen Angebote von Festivals in Europa. Sie entscheiden sich aber trotzdem dagegen und wollen in Teheran die Premiere feiern. Andere Filmemacher wiederum wollen sich nicht nochmal von der Zensur peinigen lassen und immer wieder ihren Film umschneiden. Sie gehen von vorneherein ins Ausland."
Trotz all seiner Limitierungen bleibt Fajr das größte und in seiner thematischen Breite einzige Filmfestival im Iran. Es ist anlässlich der Jahresfeiern der Revolution ein Aushängeschild und soll auch immer die Werte des Irans darstellen. Entsprechend werden im Februar, zu den Jahresfeiern der Revolution, ausschließlich die nationalen Filme ohne Untertitel gezeigt, im Frühjahr findet dann die internationale Version des Festivals statt, mit einem Filmmarkt und einer Schau der besten Filme des Festivalprogramms.
Wut und Trauer nach dem Flugzeugabschuss
Nach dem versehentlichen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine am 8. Januar und den Vertuschungsversuchen seitens des Regimes erlebt das Land zurzeit die größten Proteste seit 2009. Die iranische Gesellschaft ist in Trauer, und es ist immer wieder die Rede von der Suche nach Trost. Nach dem Vorstoß des bekannten Regisseurs Masoud Kimiai solidarisierten sich viele weitere Filmschaffende mit den 176 Todesopfern, sagten ihre Teilnahme an der Eröffnungszeremonie ab oder zogen ihre Filme zurück.
"Das Regime wirkt darauf hin, dass das Ganze stattfindet und hat bei mehreren Filmschaffenden angerufen und sie gebeten, ihre Meinung zu revidieren, um das mal vorsichtig auszudrücken", so Farzanefar. Nicht jeder Filmschaffende hält einen Boykott des Festivals für den richtigen Weg. Der Schauspieler Shahab Hosseini (u.a. "The Salesman") warnte von einer gefährlichen Spaltung der Gesellschaft und will am Festival teilnehmen. Auf Instagram erklärte er: Der Boykott des Festivals "kreiert soziale Spaltungen zwischen uns und ihnen, und das zu einer Zeit, in der Menschen Solidarität und Trost brauchen - mehr denn je." Und weiter: "Diese Handlung verursacht einen tiefen und vielleicht irreparablen Riss, auch zwischen Künstlern, Fans und Publikum, den niemand wollen kann."
Mit ihrer Entscheidung haben die absagenden Filmschaffenden die Veranstalter in Bedrängnis gebracht, als Reaktion wurde die Eröffnungsfeier abgesagt. Dies zeigt auch international Wirkung: Kurz vor Beginn der Berlinale stieg die Anzahl der Beiträge aus dem Iran an. Beobachter der Situation im Iran sehen eine Ausweitung der Proteste von der Studentenschaft auf die Mittelschicht und die Kulturschaffenden in einem bisher nicht gekannten Ausmaß. Das Fajr-Filmfestival, schon immer ein wichtiger Gradmesser der Stimmung im Lande, ist nun auch zum Symbol der gesellschaftlichen Spannungen geworden.
Philipp Jedicke
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