Klare Wut und Radikalität

In seinem jüngsten Film inszeniert Abderrahmane Sissako, wie ein Dorf in Mali gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfond klagt. Ein der sehenswerter Film.

Von Olaf Möller

Außerordentliches tut sich da im Hinterhof eines Hauses im Armenviertel von Bamako, der Kapitale Malis: Die Ausgebeuteten und Betrogenen und ihre Repräsentanten haben einen Prozess angestrengt gegen all jene Organisationen und Institutionen, allen voran die Weltbank, die Afrika im Griff haben und, ihres Erachtens nach, immer weiter ins Elend treiben.

Zwischen den Jurisprudenz-Dignitären tummelt sich der Alltag, schließlich muss man sich auch dann um seinen Lebensunterhalt kümmern, wenn gerade der Weltbank vorgerechnet wird, was Schuldentilgung mit steigendem Analphabetismus zu tun hat.

Die meisten Bewohner scheint das Spektakel der Rechtssuche nicht wirklich zu interessieren, und wenn überhaupt, dann als Quelle von Macht und Geld, wie etwa den korrupten Türsteher mit dem international etablierten Fliegersonnenbrillenblick.

Die Liebe in den Zeiten der Globalisierung

Chaka, die Sängerin, und ihr arbeitsloser Gatte Mele – die beiden Hauptfiguren –, müssen aufpassen, dass ihnen die Liebe nicht verloren geht angesichts der Lebensbedingungen, der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, damit sie weiter in jenem Haus leben können, in dessen Hof grad nicht weniger verhandelt wird als das Wesen des Kapitalismus.

​​In jenem Haus, jenem Hof wuchs Abderrahmane Sissako auf: ein mauretanischer Junge in Mali, ein Außenseiter seit jeher. Mit 18 floh er, als ein von ihm mitorganisierter Streik zerschlagen wurde.

Damit begann seine Wanderung; zuerst ging es nach Mauretanien, wo er eine Zeitlang untertauchte, in die UdSSR, wo er Film studierte, nach Frankreich, wo man als schwarzer Regisseur fast zwangsläufig landet, und von dort aus wieder, Werk für Werk, zurück an jene alten Orte in Afrika.

Mit "Bamako" vollendet sich nun etwas für Sissako, er ist an den Ausgangspunkt seines Wandern zurückgekehrt, gleichzeitig beginnt etwas Neues: Sein Schaffen strebt nun nach einer Anwendbarkeit – als habe er seinen inneren Agitator wieder gefunden.

Das subsaharisch-afrikanische Kino steckt seit etwa Mitte der 1990er Jahre in einer Krise: Die Meister haben keine Lust mehr, sich von (vor allen) den Franzosen gängeln zu lassen und tun lieber nichts, als den "Onkel Tom" raushängen zu lassen; die Jüngeren kennen eigentlich nur den die Wiederkehr des ewig Gleichen fördernden ARTE- und World Cinema Fund-Terror.

Rückzug in das Zwischenreich der Ironie?

Sissako erwies sich als der Vielversprechendste unter den Jüngeren, schien es sich aber auch in einem gewissen melancholischen Modernismus der ironischen Beobachtung gemütlich machen zu wollen, politische Allegorien inklusive.

"Bamako" hätte man jetzt nicht so ohne weiteres von ihm erwartet. Auch wenn er eigentlich nur sein bisheriges Schaffen radikalisiert, von der Haltung wie Methodik her bleibt ja alles Sissako-gehabt:

die Arbeit mit Laien, denen er Szenen zur Improvisation vorgibt – was in diesem Fall reale Juristen einschließt, die diesen Prozess ernsthaft durchspielen –; ein ruhiger Rhythmus, eine tendenziell zirkuläre narrative Entwicklung entlang kluger Variationen sowie ganz klar gebaute, mit starken Farben und entschieden gesetztem Licht strukturierte Bilder.

Sissako-neu, wie von den alten Giganten Haile Gerima, Med Hondo und Ababacar Samb-Makharam erinnert, ist ein Brecht'sches Moment des Heterogenen, Essayistisch-Kommentierenden:

Zum einen mischte er Film- mit Video-Material (für die Gerichts-Szenen), was dem Prozess etwas leicht schlierig Unwirkliches, paradoxerweise im Rahmen des handelsüblichen Sehens aber Realistischeres verleiht. Zum anderen drehte er einen kleinen Western-im-Film, "Death in Timbuktu" (besetzt u.a. mit Co-Produzent Danny Glover, dem palästinensischen Regisseur Elia Suleiman sowie der alt-68er Regierübe Jean-Henri Roger), der einen daran erinnert, dass Afrika an seiner Ausbeutung durchaus mit Schuld trägt – ganz zu schweigen davon, dass Sissako seiner jugendlichen Spencer-Hill-Obsession huldigen durfte.

Da ist viel Wut im Spiel und viel Traurigkeit, vor allem aber ein extremes Bewusstsein für das Metrum der Dinge. Einer der wenigen wirklich entscheidenden Filme dieses Jahres.

Olaf Möller

© Olaf Möller 2007

Qantara.de

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