Gao zwischen Angst und Enttäuschung
Ein Nachmittag in der nordmalischen Stadt Gao. In einem Hinterhof im Stadtzentrum sitzt eine Gruppe junger Erwachsener. Der kleine Fernseher, der eine Seifenoper aus Brasilien überträgt, ist auf stumm geschaltet. Einige Besucher starren auf den Bildschirm, andere dösen in der Nachmittagshitze. Einer von ihnen ist Issa Boncana. Er ist Mitglied der zivilen Widerstandsbewegung, die sich während der Krise im Jahr 2012 gegründet hat. Statt zu fliehen, hätten sie sich um die Bevölkerung gekümmert und sich den islamistischen Besatzern und auch Banditen mit friedlichen Mitteln widersetzt, erzählt er.
Inzwischen gebe es für die jungen Menschen nichts mehr zu tun: "Es gibt keine Fabriken. Niemand findet Arbeit", sagt Boncana und zeigt auf seine Freunde und Bekannten. Der Mann in dem roten T-Shirt hofft zwar, dass die Regierung vielleicht doch ein paar Projekte auflegen kann. Gleichzeitig zuckt er skeptisch mit den Schultern.
Internationale Militärpräsenz
Schon vor der Krise in Nordmali, die Ende 2011 mit der Tuareg-Rebellion begann und mit der Besatzung durch islamistische Gruppierungen einen traurigen Höhepunkt erreichte, brach der Tourismus und somit eine wichtige Verdienstmöglichkeit ein.
2013 gelang es den Franzosen mit ihrer Operation Serval, die Dschihadisten zurückzudrängen. Inzwischen sind vor den Toren der Stadt mehrere tausend Soldaten stationiert, die für Sicherheit sorgen sollen: Alleine die deutsche Bundeswehr ist im Rahmen der UN-Mission MINUSMA mit aktuell 727 Soldaten vor Ort. Die Franzosen sind mit der Mission Barkhane, dem Nachfolger von Serval, vertreten. Die malische Armee sowie die sogenannte MOC, ein Zusammenschluss aus regulären malischen Soldaten, pro-malischen Milizionären und ehemaligen Rebellen, haben ebenfalls Camps.
Im Zentrum von Gao, in dem in der Nachmittagshitze nur wenige Menschen auf den sandigen Straßen unterwegs sind, stehen einige Soldaten mit ihren Gewehren. Regelmäßig gibt es Patrouillen.
"Wir können uns nicht frei bewegen"
Trotzdem sei die Lage weiterhin angespannt, sagt Moussa Souma Maiga, der traditionelle Führer der ethnischen Gruppe der Songhai in Gao: "Mit der Sicherheit funktioniert das hier einfach nicht. Wir können uns nicht frei bewegen."
Denn sobald man den Stadtkern verlässt, sind die Straßen kaum gesichert. Auf den zahlreichen Schleichwegen, die auch von Schmugglern und Banditen genutzt werden, gibt es keine Militärposten. In der Stadt kursieren Gerüchte, dass sich weiterhin Dschihadisten in der Stadt aufhielten. Ein heikles Thema, sagt Moussa Souma Maiga: "Ja, es gibt weiterhin Dschihadisten. Wir hatten ja auch einen Angriff auf die MOC."
[embed:render:embedded:node:14456]Maiga spielt damit auf den schweren Anschlag vom Januar an, bei dem 70 Soldaten getötet wurden. Zweieinhalb Monate später ist er noch allgegenwärtig und ständiges Gesprächsthema. Eine Maßnahme war anschließend, den Eingang zum MOC-Camp besser zu schützen. Trotzdem kommt es immer wieder zu versuchten Anschlägen und Übergriffen.
Malis schwieriger Friedensprozess
Das beeinflusst gerade auch den Friedensprozess. Im Mai 2015 schlossen die malische Regierung und mehrere Tuareg-Rebellengruppen ein Abkommen, das nun Schritt für Schritt umgesetzt wird. Die nächste Etappe bildete eine Konferenz der nationalen Einigung, die vor Kurzem in der Hauptstadt Bamako stattfand. Neben Regierungsangehörigen waren auch Oppositionspolitiker sowie Vertreter der ehemaligen Rebellen geladen. Schwerpunkte waren Frieden, nationale Einheit und Versöhnung. Im Hinterhof in Gao verzieht Issa Boncana allerdings fast spöttisch das Gesicht, wenn er an die Veranstaltung denkt: "Wir und die anderen Jugendgruppen sind nicht einmal kontaktiert worden. Uns hat niemand eingeladen."
Es ist eine Wahrnehmung, die es seit Jahrzehnten in Mali gibt: In Bamako herrscht kein wirkliches Interesse am Norden. "Ist es die Einigung von Bamako?", fragt Boncana zynisch, für den die Konferenz aber noch etwas anderes aussagt: Wer mit Waffen viel Lärm gemacht hat, der wird angehört; leise und friedliche Bewegungen indes nicht. Seiner Meinung nach müssten pazifistische Gruppierungen viel stärker in den Friedensprozess eingebunden werden, da es nicht nur um die Aufarbeitung der Krise, sondern um die Zukunft des ganzen Landes geht.
Für den traditionellen Führer Moussa Souma Maiga ist jedoch klar, dass alle Partner Kompromisse eingehen und sensibel vorgehen müssen: "Man muss verstehen, dass diese fragile Situation schnell zerstört, aber nicht leicht wieder aufgebaut werden kann", so Maiga.
Ob es nach der Konferenz vom 2. April eine konkrete Unterstützung für seine Heimatstadt Gao gibt, weiß Maiga nicht. Wie viele andere Einwohner auch bleibt er skeptisch. Der malische Norden und dessen Probleme sind schließlich seit jeher für die Regierung von Bamako weit weg gewesen.
Katrin Gänsler
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