Witze in Zeiten des Krieges
Er will als Erstes wissen, was ihm dieses Gespräch eigentlich bringen soll. Die Zeitung im fernen Deutschland werde natürlich all den Ruhm einstreichen, eine noch höhere Auflage mit seinem Foto erzielen. Und er? Noch nicht einmal Geld gibt es für das Interview. Das ist ein unfaires Geschäft. Findet Asif Jalali, trinkt seinen grünen Tee, isst eine Feige und lässt Zeit verstreichen.
Er schweigt ausgiebig, schaut nach draußen auf einen der Kabuler Basare, auf denen die Händler Granatäpfel, Bananen, Öl und Pfannen verkaufen. Nach einer gefühlten Ewigkeit fixiert Asif Jalali den Gesprächspartner, seine Pupillen weiten sich, sein Ausdruck verrät: So läuft das nicht. Als man schon einpacken will, platzt es aus ihm heraus: "Das hast du mir geglaubt!" Schallendes Gelächter, die Männer in der Teestube brechen in Jubel aus.
"Onkel Asif" - Die B-52 unter den Comedians
Sie scharen sich um Jalali, klopfen ihm auf die Schulter, klatschen ihn ab. Wieder einmal hat er jemanden auf den Arm genommen. Das ist sein Geschäft, dafür lieben sie "Onkel Asif", wie sie ihn hier bevorzugt nennen. Und der Mann mit den großen, braunen Augen, der prägnanten Nase und dem schwarzen Bart - er versteht sich glänzend darin, die Erwartungen der Fans zu erfüllen. Augenblicke des Ernstes zu erzeugen, bis es fast unerträglich wird und er dann den Witz platzen lässt.
Jalali hat sich mit seiner Art zum derzeit wohl bekanntesten Comedian Afghanistans gekalauert. Seine Show "Shabkhand" (Abendgelächter) läuft zwei Mal in der Woche auf TV1, einem der zahlreichen Privatsender, die seit dem Sturz der Taliban in Kabul entstanden sind. Aber wie passt Comedy in ein Land, in dem nach wie vor der Tod allgegenwärtig ist, in dem die Unsicherheit den Alltag der Menschen bestimmt, in dem es viel einfacher ist "jemanden zum Weinen als zum Lachen zu bringen", wie Jalali es ausdrückt?
Der Komiker will seinem Publikum Zerstreuung bringen, sie von den Katastrophen ablenken. Nach offiziellen Angaben sind 70 Prozent der Afghanen unter 25 Jahre alt - vor allem bei ihnen stehen die Comedy-Formate hoch im Kurs. In Jalalis Show geht es liberal zu: Es sitzen auch Frauen im Studio, die Kopftücher tragen sie gelockert. In einem Land, in dem bei Hochzeiten Männer und Frauen meist getrennt feiern, ist das unüblich.
Auch wenn der Vergleich makaber erscheint, der 47-Jährige hat eine ganz besondere Art, seinen Humor zu beschreiben: "Wenn ich Witze erzähle, bin ich wie ein B-52-Kampfflugzeug", sagt er und macht eine Pause. Die Männer in der Teestube hängen an seinen Lippen. "Wenn das Zeug, das sie abwerfen, irgendwo einschlägt, sind die Flugzeuge längst meilenweit weg und an einen anderen Ort geflogen."
Er mache Anspielungen über Politiker oder andere mächtige Männer in Afghanistan, ohne sie genau zu benennen. Bevor jemand Witze zu persönlich nehmen könne, erzählt er schon den nächsten Brüller: Immer, sagt Jalali, versuche er schnell seine Spuren zu verwischen. Aber es gibt eine Grenze, einen Bereich, über den er sich nie lustig machen würde: "Ich bin Muslim, ich mache keine Witze über den Islam", sagt er.
Hoffnung in Zeiten der Katastrophen
Ganz besonders stolz ist Jalali, dass die Menschen "da draußen" - er zeigt auf den Basar - ihn als ihr Sprachrohr empfänden. "Ich bin die Stimme der Menschen, die sonst kaum gehört werden." Schon als Kind in der ostafghanischen Provinz Laghman galt er als kleiner Alleinunterhalter, als ständiger Witzeerzähler. Das ging so weit, dass sie ihm zu Hause nicht geglaubt haben, als er vom plötzlichen Tod eines Nachbarn erzählte.
Asif, hieß es, mach' keine Witze - bis sich die Eltern selbst vergewisserten und die traurige Nachricht ernst nahmen. Selbst als die Taliban in Kabul an der Macht waren, ist er bei kleinen Privatfesten aufgetreten, bis die Kontrolleure von der Sittenpolizei kamen und prüften, ob auch alles im Rahmen ablaufe.
Natürlich ist ein afghanisches Leben noch heute alles andere als unbeschwert, gibt es seit Jahrzehnten Krieg und Unsicherheit in dem Land - auch Asif Jalali kann davon berichten. Einer seiner Brüder ist vor Jahren spurlos verschwunden. Der Komiker vermutet, dass es sich um ein Verbrechen handelt, dass ein Warlord hinter dem Verschwinden seines Bruders steckt. Ein anderer Bruder wurde Opfer der Drogen, die Afghanistan nach wie vor überschwemmen. Jalali erzählt all diese Dinge ohne Pathos, als seien sie nicht zu ändern, als müsse er sich damit arrangieren.
Aber lieber spricht er davon, wie stolz er ist, dass sein Beruf die ganze große Familie ernährt. Wie in Afghanistan nicht unüblich, wohnt Jalali mit 35 Menschen unter einem Dach, sie haben ein Haus im Osten der Hauptstadt. Besondere Hoffnung machten ihm die Kinder in der Familie, sie gingen alle zur Schule. Trotz aller Schwierigkeiten, die Afghanistan nach wie vor habe: Asif Jalali sagt, er sei davon überzeugt, dass es aufwärts gehen werde in seinem Land. Ausnahmsweise meint er das nicht als Witz.
Zerstreuung ist extrem wichtig in einem Land, in dem sich täglich Katastrophen abspielen. Nur eine Ausnahme gibt es für Jalali: "Ich bin Muslim. Ich mache keine Witze über den Islam."
Tobias Matern
© Süddeutsche Zeitung 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de