Im eisernen Griff der iranischen Justiz

Der Gesundheitszustand des inhaftierten iranischen Regimekritikers Akbar Ganji hat sich seit seinem Hungerstreik vor einigen Wochen weiter verschlechtert – entgegen anders lautender staatlicher Darstellungen.

Von Bahman Nirumand

​​Akbar Ganji ist einer der wichtigsten Exponenten der iranischen Opposition. Nach einer kurzen Haftentlassung Anfang Juni setzte er seinen zuvor begonnen Hungerstreik fort. Am 36. Tag seines Streiks wurde er angeblich wegen eines Meniskusrisses in das staatliche Teheraner Milad Krankenhaus eingeliefert.

Die Abteilung, in der er liegt, wurde zu militärischer Sperrzone erklärt. Weder seine Angehörigen noch seine Anwälte – darunter die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi – wurden bisher zu dem Gefangenen vorgelassen. Einzig seine Frau durfte ihn drei Tage nach der Einlieferung einmal kurz besuchen.

Ganji, war im Jahr 2000 nach seiner Teilnahme an einer von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin veranstalteten Iran-Konferenz festgenommen und zunächst zu zehn Jahren Haft und fünf Jahren Verbannung verurteilt worden. Später wurde das Urteil auf sechs Jahre Gefängnis herabgesetzt.

Abkehr vom Gottesstaat

Der kritische Journalist gehört zu jener Generation, die zu Beginn der Revolution vor 26 Jahren mit großer Begeisterung dem Ruf Ayatollah Chomeinis zur Gründung eines islamischen Staates folgte. Ganji war sogar eine zeitlang Chomeinis Leibwächter. Doch wie die meisten Intellektuellen hat er nach einigen Jahren enttäuscht dem Gottesstaat den Rücken gekehrt.

Nach Abschluss seines Soziologiestudiums betätigte er sich als freier Journalist. Er war auch Herausgeber der Wochenzeitung "Rah-e no" (Neuer Weg). Das Blatt war ein Forum für die religiösen Aufklärer, das sich insbesondere mit dem Verhältnis von Islam und Moderne beschäftigte. Die Zeitung wurde jedoch nach kurzer Zeit verboten. Später schrieb Ganji für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften.

Berühmt wurde Ganji dadurch, dass er die Rolle der Staatsführung, vor allem die des früheren Staatspräsidenten Haschemi Rafsandschani, bei mehreren Mordanschlägen auf Dissidenten, Schriftsteller und Intellektuelle, insbesondere bei den so genannten Kettenmorden des Jahres 1999, aufdeckte.

Mit seinem Hungerstreik protestiert Ganji gegen die Haftbedingungen, er fordert seine bedingungslose Freilassung. Doch die iranische Justiz, die von außen und innen unter starkem Druck steht – nicht nur internationale Menschenrechtsorganisationen, auch US-Präsident Bush und das EU-Parlament verlangten Ganjis Freilassung – will ihn nur unter Auflagen frei lassen.

Ganji soll seine kritischen Äußerungen widerrufen. Sollte er sich weigern, werde er erneut mit einem harten Urteil rechnen müssen, wurde ihm gedroht. Ganji leidet seit langem unter schwerem Asthma und starken Rückenschmerzen, er müsste dringend außerhalb des Gefängnisses behandelt werden.

In einem Brief vom 14. Juli aus dem Gefängnis begründet er, warum er den Weg der "Selbstvernichtung" zum Erreichen seines Ziels gewählt habe. Er lehne jede Form von Gewalt ab, wolle aber der Welt zeigen, wie "Andersdenkende" in der Islamischen Republik behandelt würden.

Die Allmacht des Revolutionsführers

Im Lauf der vergangenen Jahre seien auf Anweisung des Revolutionsführers Ali Chamenei, der die liberale Presse als "Stützpunkt der Feinde des Gottesstaates" bezeichnet habe, mehr als hundert Zeitungen verboten und zahlreiche Journalisten inhaftiert worden. Chamenei habe auch von einem Kulturkampf gegen die Islamische Republik gesprochen und unter diesem Vorwand zahlreiche Intellektuelle und Kulturschaffende "regelrecht abschlachten" lassen.

Auch im Ausland seien Mordattentate gegen Kritiker des Regimes durchgeführt worden. Die Niederschlagung der Studentendemonstrationen, die Verhaftung zahlreicher Internetbetreiber und Weblogger seien weitere Indizien für die eklatanten Verletzungen der Menschenrechte.

"In unserer Gesellschaft gibt es nur eine Stimme, die Stimme des Revolutionsführers - die anderen müssen schweigen", schreibt Ganji. Chamenei besitze die uneingeschränkte Macht und trage die Verantwortung für alles, was im Iran geschehe, er dürfe jedoch weder kritisiert noch für seine Entscheidungen juristisch belangt werden. Dies sei ein Hohn auf Demokratie, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. 16 Jahre Chamenei-Despotie seien genug, so Ganji.

Er wolle kein Held sein, schreibt Ganji. "Soll ich mich aber den Forderungen der Justiz beugen und meine Ansichten widerrufen?" Er habe die Wahl zwischen Selbstleugnung und Fortsetzung seines Protestes. Er habe sich für den Widerstand entschieden. Er werde sein "Nein" zu diesem Staat niemals zurücknehmen und seinen Kampf für Menschenrechte und Demokratie aufgeben.

Im Lügengeflecht von Staat und Justiz

Absurd ist, dass sowohl die Justiz als auch der Chef des Milad Krankenhauses behaupten, Ganjis Gesundheit sei völlig normal, einen Hungerstreik habe es nie gegeben. Der Grund für seine Einlieferung sei ein Meniskusriss, der operativ behandelt werden müsse.

"Mit Ganjis Gesundheit gibt es keinerlei Probleme, er isst ordentlich, und es geht ihm sehr gut", erklärte der Chef des Krankenhauses Fattahi der Nachrichtenagentur IRNA.

Auf die Frage, wie der Meniskusriss verursacht worden sei, sagte Fattahi: "Ich weiß es nicht. Gewöhnlich kommt das beim Sport vor." Zu den weit verbreiteten Fotos, auf denen Ganji völlig abgemagert und geschwächt in einer Einzelzelle liegend zu sehen ist, äußerte sich Fattahi nicht.

Auch der oberste Teheraner Staatsanwalt, Said Mortazawi, der als "Zeitungs- und Journalistenkiller" bekannt und berüchtigt ist, erklärte, der ganze Wirbel, den die Presse im In- und Ausland über den angeblichen Hungerstreik Ganjis veranstalte, sei nichts anderes als eine von außen gesteuerte "psychologische Kriegsführung gegen die Islamische Republik".

"Unseren Bürgern sind diese Methoden bekannt, sie werden solchen Lügen keine Aufmerksamkeit schenken", sagte Mortazawi. Selbstverständlich werde Ganji nach seiner Behandlung weiterhin im Gefängnis seine Strafe verbüßen.

Ganjis Frau sagte nach ihrem Kurzbesuch im Krankenhaus der Presse, ihr Mann befinde sich nach wie vor im Hungerstreik, es gehe ihm weit schlechter als im Gefängnis, er liege im Koma. Sein Leben sei in höchster Gefahr.

Politische Beobachter befürchten, dass Ganji entweder im Krankenhaus umgebracht oder wie bei anderen Dissidenten zuvor, mit Hilfe von Drogen und Psychopharmaka dazu gebracht wird, sich selbst zu leugnen und willenlos Geständnisse abzulegen.

Bahman Nirumand

© Qantara.de 2005

Qantara.de

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Weitere Informationen über den Hungerstreik Ganjis erfahren Sie auf der Website von Reporter ohne Grenzen