Al-Qaida auf verlorenem Posten?
Die großen arabischen Fernsehsender berichteten ausführlich über die Tötung Osama Bin Ladens. Gewichtige Solidaritätsbekundungen blieben allerdings ebenso aus wie größere Freudenfeiern. Nur vereinzelte Stimmen erreichten die Weltöffentlichkeit.
Im Irak jubelte ein Teil der schiitischen Bevölkerung - die Schiiten dort waren vom örtlichen Ableger Al-Qaidas jahrelang terrorisiert worden. Auch die Führung Saudi-Arabiens - Bin Ladens Geburtsland und selbst mehrfach Zielscheibe von Terrorattacken - begrüßte den Tod des Al-Qaida-Führers deutlich.
Die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen hingegen verurteilte die Aktion und sprach - so wörtlich - von der "Tötung eines heiligen Kriegers". Viele arabische Regierungen äußerten sich jedoch überhaupt nicht.
"Arabischer Frühling" im Mittelpunkt
Der Grund liegt auf der Hand: Seit Beginn der arabischen Revolutionswelle Anfang des Jahres beschäftigen sich viele Araber mit anderen Fragen: Welche Perspektiven haben demokratische Veränderungen in ihren Heimatländern? Werden nach Tunesien und Ägypten auch die Regime in Libyen, im Jemen und in Syrien stürzen?
Abgesehen von Marokko hatte es in den vergangenen Monaten in der arabischen Welt kaum noch größere Terroranschläge aus dem Umfeld von Al-Qaida gegeben. Der Fokus richtete sich überall auf den Protest der Bürger gegen die herrschenden Regime.
Al-Qaida hatte bei diesen Protesten bislang kaum eine Rolle gespielt - und galt schon deshalb als potentiell geschwächt. Ohne ihren führenden Kopf Bin Laden könnte sie nun in den Bevölkerungen weiter an Rückhalt verlieren, sagt der Direktor des "Arab Media Projects" der Universität Cambridge und Islamismus-Experte Khaled Hroub: Bin Ladens Tod dürfte die Sinnkrise der Organisation weiter verschärfen: "Osama Bin Laden war früher einmal eine Inspirations- und Integrationsfigur für seine Anhänger, vor allem aufgrund seines Charismas", so Hroub. "Doch seine Abwesenheit wird die Ziellosigkeit von Al-Qaida und das Fehlen einer klaren Agenda offenbaren."
Fehlende Gesamtstrategie
Khaled Hroub weist darauf hin, dass es innerhalb Al-Qaidas und ihren verschiedenen Ablegern im Maghreb, im Jemen, im Irak sowie in anderen Ländern Unstimmigkeiten über strategische Ziele gebe. Konsens herrsche oft nur darüber, dass Gewalt ein legitimes Mittel zur Erreichung politischer Ziele sei.
Das gemeinsame ideologische Potential, so warnt er, könnte nun allerdings in Form von Racheakten zur Geltung kommen: "Kurz- und mittelfristig rechne ich durchaus mit einer Welle neuer Gewaltaktionen durch Al-Qaida. Doch auf längere Sicht wird der Terror abnehmen."
Vor Racheakten warnt auch Mohammed Darif, Islamismus-Experte und Universitätsprofessor aus Marokko. Er erinnert an die vier Franzosen, die Al-Qaida im Niger gekidnappt hatte und noch immer in ihrer Gewalt hält und befürchtet, dass der nordafrikanische Ableger der Organisation auf die Liquidierung Bin Ladens jetzt mit der Hinrichtung von Geiseln reagieren könnte.
Auch Darif verweist darauf, dass Al-Qaida in der arabischen Welt trotzdem in den vergangenen Jahren spürbar an Bedeutung verloren habe. Neue Anhänger zu rekrutieren, falle ihr in vielen Ländern schwer. Hinzu komme ihre Nicht-Beteiligung an der arabischen Revolutionswelle: Nicht Bin Ladens Gewaltstrategie habe sich in den Ländern der Region durchgesetzt, so Darif, sondern die Überzeugung, politische Veränderungen auf dem Wege friedlicher Bürgerproteste anzustreben.
Sollten diese Aufstände jedoch immer blutiger verlaufen, könne auch die Ideologie von Al-Qaida wieder an Attraktivität gewinnen, warnt der marokkanische Experte: "Das gewaltsame Vorgehen des Gaddafi-Regimes gegen das eigene Volk und die blutige Niederschlagung der Proteste in Syrien könnten Al-Qaida letztlich wieder stärken. Vor allem, wenn sich dann flächendeckend doch noch die Meinung durchsetzen sollte, dass die herrschenden arabischen Regime nur mit Gewalt zu besiegen sind."
Loay Mudhoon
© Qantara.de 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de