Mehr von Luther als einem lieb ist
Seit dem Aufstieg des IS sowie den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" boomt es vor allem auf dem Buchmarkt. Nahezu wöchentlich erscheinen neue Bücher mit Angst einflößenden Titelbildern, sprich, vermummten Gestalten, Maschinengewehren und irgendeiner Fahne mit arabischem Schriftzug.
Fast jeder - all die Experten, Kritiker, Beobachter und wie sie sich sonst nennen - versucht verzweifelt, auf diesen fahrenden "Orient-Express" zu springen, der in Richtung Profit und Selbstinszenierung fährt, nachdem man die Vorurteile der westlichen Mehrheitsgesellschaft bedient hat – wieder einmal.
Eine, die genau das ein weiteres Mal getan hat, ist Ayaan Hirsi Ali – für manche so etwas wie die bekannteste "Islamkritikerin" der Welt. Vor wenigen Wochen erschien ihr Buch "Reformiert euch!", welches nicht nur in den US-amerikanischen Medien positiv rezipiert wurde, sondern auch in den deutschen.
Bei "Titel, Thesen, Temperamente" (ARD) etwa gönnte man Hirsi Ali einen umfangreichen Beitrag, der mit ihrer vermeintlich grausamen Vergangenheit angekündigt wurde. Dies wiederholte sich mehrere Male. Unter anderem wurde Hirsi Ali beim "Forum am Freitag" (ZDF) und beim Deutschlandfunk eine Bühne geboten. Eine grundsätzliche Kritik an der Person Hirsi Ali als vermeintliche Reformerin gab es nicht, stattdessen wurde sie als "weiblicher Luther" gepriesen, der den Muslimen, ja, tatsächlich all diesen 1,5 Milliarden Menschen, bald die Erlösung bringen werde. Dass der echte Luther ein glühender Antisemit gewesen ist und dazu aufrief, Synagogen anzuzünden, scheint dabei längst verdrängt worden zu sein.
Der Islam als "destruktiver, nihilistischer Todeskult"
Wohlgemerkt, was Vorurteile und Kompromisslosigkeit angeht, so steht Ayaan Hirsi Ali wohl dem echten Luther in nichts nach. Der Islam, den sie unter anderem schon als "destruktiven, nihilistischen Todeskult" bezeichnet hat, müsse nach Alis Ansichten "besiegt werden". "Irgendwann kommt der Moment, in dem man den Feind zerstören muss", so eine ihrer Aussagen in einem Interview, das sie dem US-amerikanischen "Reason Magazine" gab.
Und den rechtsextremistischen und islamfeindlichen Terroristen Anders B. Breivik, der im Juli 2011 77 Menschen in Norwegen getötet hatte, sprach Hirsi Ali einst jegliche Schuld ab, indem sie meinte, dass dieser zu seiner Tat "gezwungen worden sei".
An dem Massenmord sei nicht Breivik schuld, sondern es seien die "Verteidiger des Multikulturalismus" gewesen. "Er hatte keine andere Wahl als zur Gewalt zu greifen", waren Hirsi Alis Worte bei einer Veranstaltung des Axel-Springer-Verlages im Jahr 2012, bei der sie einen Ehrenpreis erhielt. Die Reaktion des Publikums war tobender Applaus. In seinem 1500-seitigen Pamphlet zitierte Breivik neben Autoren wie Henryk M. Broder, der während der Preisverleihung in der ersten Reihe vor Begeisterung klatschte, auch Ayaan Hirsi Ali.
Kartenhaus der Lügen
In den vergangenen Jahren hat Ali ihren Lebensmittelpunkt in die Vereinigten Staaten verlegt. Kein Wunder, denn in ihrer Wahlheimat, den Niederlanden, verlor sie jegliche Glaubwürdigkeit. Einfach ausgedrückt: Sie flog auf. Verantwortlich hierfür war eine niederländische Dokumentationsserie, die sich im Jahr 2006 dem Fall Ali widmete. Dabei kam heraus, dass so ziemlich alles, was Ayaan Hirsi Ali den niederländischen Behörden bei ihrer Einreise erzählt und in den Medien immer wieder wiederholt hatte, frei erfunden war.
1992 immigrierte Ayaan Hirsi Ali, eigentlich Ayaan Hirsi Magam, in die Niederlande. Dort gab sie nicht nur einen falschen Namen sowie ein falsches Alter an, sondern erschuf ein Lügenkonstrukt, welches für ihre spätere Karriere entscheidend war: Die gebürtige Somalierin Hirsi Ali behauptete damals, vor dem Bürgerkrieg in Somalia geflohen zu sein. Tatsächlich hatte sie das Land jedoch schon vor Beginn des Krieges verlassen und besuchte in Kenia eine angesehene muslimische Mädchenschule. Ihr Schulbesuch wurde von den Vereinten Nationen finanziert, die Umgebung war sicher. Kriegszustände, wie sie später in Somalia ausbrachen, hatte sie nie erlebt.
Genauso erfunden waren auch die Geschichten um ihre Familie. Hirsi Alis Mann, der ihre "Flucht" nach Europa finanziert hatte und von dem sie sich später problemlos scheiden ließ, besuchte sie später mehrmals in ihrem damaligen Flüchtlingsheim. Mit ihrer Familie blieb sie auch nach der Scheidung in Kontakt. Ihr Bruder besuchte sogar eine christliche Schule. All das passt nicht recht in das Bild von jener brutalen Islamisten-Familie, die ihr mit Gewalt und Ehrenmord gedroht haben soll. Dank ihrer Geschichte gewährte man Hirsi Ali jedoch schnell Asyl. "Ja, ich habe das Ganze erfunden", gab denn auch Hirsi Ali freimütig vor laufender Kamera zu, nachdem ihr Kartenhaus der Lügen vollständig in sich zusammengefallen war.
Kurz nach der Veröffentlichung der Dokumentation über sie gab Hirsi Ali, die währenddessen in der rechtsliberalen "Volkspartei für Freiheit und Demokratie" (VVD), der ehemaligen Partei von Islamfeind Geert Wilders, politisch Karriere gemacht hatte, ihren Abgeordnetensitz auf. Ihre Lügen sorgten in den niederländischen Medien für Schlagzeilen und gefährdeten überdies ihre Staatsbürgerschaft. Daraufhin nahm sie in den USA eine Stelle beim "American Enterprise Institute" an - einer in Washington ansässigen, neokonservativen Denkfabrik, die auch als Sammelbecken für die Verantwortlichen der völkerrechtswidrigen Irak-Invasion gilt.
Hand in Hand mit Islamhassern
Auch sonst haben sich in den USA um Hirsi Ali vor allem jene geschart, die vehement eine aggressive US-Außenpolitik im Nahen Osten fordern und meinen, sich im "Krieg gegen den Islam" zu befinden. Darunter lassen sich auch Vertreter der sogenannten "Neuen Atheisten" ("New Atheist") finden, die zwar alle Religionen harsch kritisieren, es aber allen voran auf die Stigmatisierung des Islam abgesehen haben.
Zufälligerweise geht ihre Argumentation stets Hand in Hand mit den Kriegsarchitekten des Weißen Hauses. Ob Drohnenangriffe oder Guantanamo-Folter - all das sei schließlich gerechtfertigt, da die USA den "wilden Barbaren", sprich, den Irakern oder Afghanen, moralisch überlegen seien. So schreibt der Philosoph Sam Harris, einer der bekanntesten Vertreter der radikalen Bewegung unter anderem, dass es ethisch gesehen legitim sei, manche Menschen aufgrund ihres Glaubens zu töten, falls dieser zu gefährlich sei. Harris bezieht sich hierbei vor allem auf Muslime. So wiederholte er mehrfach, dass sich die USA nicht im "Krieg gegen den Terror" befänden, sondern im "Krieg gegen den Islam". Jene, die diesbezüglich eine andere Meinung vertreten, bezeichnete Harris unter anderem als "Faschisten".
Dass ein Krieg wie George W. Bushs Kreuzzug im Irak, der über eine Millionen Menschen das Leben nahm, manche Menschen radikalisiert und den Weg für Chaos ebnet, scheint nicht nur von Hirsi Ali und Co. ignoriert zu werden, sondern auch von jenen Mainstream-Medien, die Selbstdarsteller wie sie weiterhin hofieren, ihre erfundene Vergangenheit zur Wahrheit verklären und jedes ihrer Wörter für bare Münze nehmen. Kein Wunder, denn so ist es auch einfacher. Das konstruierte Schwarz-Weiß-Bild bleibt erhalten, die Stereotypen werden bedient und alle können sich glücklich schätzen. Gelöst oder gar reformiert wird damit jedoch absolut nichts.
Emran Feroz
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