Anerkennung gegen Öl
Für den saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman war der Zweck des Besuchs von US-Präsident Joe Biden im saudischen Jeddah schon von der ersten Minute ihres Zusammentreffens an erfüllt: In dem Moment als Joe Biden und Mohammad bin Salman im Begrüßungs-Stil der Coronazeit ihre Fäuste aneinanderstießen und sich fest in die Augen blickten. Der Amerikaner ernst, der Saudi ein Lächeln unterdrückend.
Mohammad bin Salman oder MBS, wie er in den US-Medien abgekürzt wird, hatte genau das bekommen, was er wollte: eine Anerkennung des US-Präsidenten, dass kein Weg an dem Saudi vorbeigeht. Der Faustgruß hat MBS auf der internationalen Bühne wieder salonfähig macht. Da hilft auch nicht, dass es zuvor aus dem Weißen Haus hieß, auf dieser Reise gehe es nicht um "greetings“, sondern um "meetings“, also dass die Begrüßung nicht so wichtig sei und es eher um den Inhalt der folgenden Gespräche ginge.
Für Joe Biden war das Ganze wie ein Gang nach Canossa. Denn als Präsidentschaftskandidat hatte er MBS ziemlich direkt des Mordes an dem saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi bezichtigt und den Kronprinzen sogar als "Paria“ bezeichnet. Auch die CIA hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass die Amerikaner glauben, die Killertruppe, die Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul aufgelauert und anschließend seine Leiche zersägt hatte, habe im Auftrag des Kronprinzen gehandelt.
Am Ende waren nationale US-Interessen wichtiger als Menschenrechte. In Zeiten des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Energiekrise brauchen die USA zusätzlich gepumptes saudisches Öl, um den Preis des schwarzen Goldes zu kontrollieren. Im Streit mit Russland und in der Konkurrenz mit China ist die Loyalität Saudi-Arabiens gefragt. MBS wird die erneute Anerkennung auskosten und wird sich wie schon in den letzten Monaten wieder als regionales Schwergewicht präsentieren. Weitere internationale Auftritte sind die logische Folge der US-Anerkennung.
Ist das die versprochene Rechenschaft?
Das anschließende Treffen des US-Präsidenten mit dem Kronprinzen dauerte mit drei Stunden doppelt so lange wie ursprünglich eingeplant. Was aus dem Treffen von amerikanischer Seite an die Öffentlichkeit weitergegeben wurde, diente vor allem der Gesichtswahrung Joe Bidens. Er habe mit MBS den Mord an Khashoggi direkt angesprochen, erklärte der US-Präsident anschließend gegenüber der Presse. "Für einen US-Präsidenten ist es nicht vereinbar mit dem, was wir sind und was ich bin, sich in einem solchen Fall still zu verhalten.
"Ich stelle mich immer hinter unsere Werte“, erklärte Biden. Während des Treffens habe der Kronprinz betont, dass er nicht persönlich für den Mord an Khashoggi verantwortlich sei. "Ich habe darauf hingewiesen, dass ich glaube, er ist es doch“, schildert der US-Präsident den Inhalt des Treffens. Punkt: Dann ging man zu anderen Tagesordnungspunkten über.
Die entscheidende Frage, wer denn nun für den Mord an Khashoggi am Ende zur Rechenschaft gezogen wird, blieb beim Treffen unbeantwortet. Khashoggis einstige Verlobte, Hatice Cengiz, schrieb in einem Tweet, was Khashoggi ihrer Meinung nach selbst zu Biden gesagt hätte: „Ist das die Rechenschaft, die du mir für den an mir begangenen Mord versprochen hast? Das Blut des nächsten Opfers von MBS klebt an deiner Hand“.
Cengiz wurde aber auch ihrerseits vom US-Kongressabgeordneten Brad Sherman kritisiert. Er wies daraufhin, dass vor allem ärmere Länder unter einem hohen Ölpreis zu leiden hätten und warnte vor den daraus folgenden Hungerkatastrophen, ohne zu erwähnen, dass die Energiepreise auch ein wichtiges Thema bei den bevorstehenden US-Senatswahlen sein werden. „Es ist leicht für Khashoggis Verlobte zu sagen, vergiss die Tausenden von Menschen, die bei einem hohen Ölpreis sterben werden und rächt den Tod meines Verlobten. Wir müssen hier erwachsen handeln“, erklärte Sherman in einem BBC-Interview.
What Jamal Khashoggi would tweet today: pic.twitter.com/Gv4Up7TLgd
— Hatice Cengiz / خديجة (@mercan_resifi) July 15, 2022
Die Saudis führen Biden genüsslich vor
Währenddessen führten die Saudis Joe Biden nach seinem Treffen mit MBS genüsslich vor und zitierten Teile des Gesprächs in den Medien. Der Kronprinz habe den Mord an Khashoggi bei dem Gespräch mit dem US-Präsidenten als bedauerlich bezeichnet. Der Fall werde weiter strafrechtlich verfolgt. Aber MBS habe Biden darauf hingewiesen, dass auch an anderen Orten der Welt Journalisten ermordet werden und sprach den Mord an der palästinensischen Journalistin Shereen Abu Akleh in den israelisch besetzten Gebieten an, die auch US-Staatsbürgerin war. Auch die USA hätten Fehler gegangen, etwa im US-Gefangenenlager Abu Ghreib im Irak, habe MBS laut saudischen Medienberichten zu Biden gesagt.
Andere saudische Offizielle sprachen auch die unschuldigen Opfer von US-Drohnenangriffen weltweit an, für die nie jemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Es war eine öffentliche Aufrechnung, die auch zeigt, wie sehr die Position der USA im Nahen Osten in den letzten Jahren geschwächt worden ist, nachdem sie sich militärisch und politisch immer mehr zurückgezogen hatten.
Genau diesem Eindruck wollte Biden am zweiten Tage seines Saudi-Arabien-Besuches entgegenwirken. "Lassen Sie mich klar sagen, dass die Vereinigten Staaten ein aktiver, engagierter Partner im Nahen Osten bleiben werden", sagte er beim Gipfel des Golf-Kooperationsrats, an dem neben den Königen, Emiren und Sultanen vom Golf auch die Präsidenten Ägyptens, Iraks und der jordanische König teilnahmen.
"Wir werden nicht weggehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder dem Iran ausgefüllt wird", fügte Biden hinzu. Dafür nahm er dann ganz im Sinne seiner Gastgeber am Golf, wie zuvor bei seiner ersten Reisestation in Israel, wieder das Thema Iran auf. Er betonte erneut, dass dem Iran die Beschaffung einer Atomwaffe verwehrt bleiben müsse. Dazu wolle er eng mit den Staaten der Region zusammenarbeiten, um den iranischen Bedrohungen gegen die Region entgegenzustehen. Mit den Mitteln der Diplomatie würden die USA versuchen, das iranische Atomprogramm wieder einzuschränken. Kurzum: Es war ein Gipfeltreffen, bei dem viel geredet und wenig konkret beschlossen wurde.
Der ganze zweite Tag von Bidens Reise wirkte wie eine Nebelkerze, gezündet, um zu verschleiern, dass er zuvor als Hauptzweck seiner Reise den von ihm zuvor gemiedenen saudischen Kronprinzen um eine Erhöhung der Ölproduktion angebettelt hatte. Mit scheinbarem Erfolg: MBS kündigte an, seine Förderkapazitäten pro Tag um eine Million auf 13 Millionen Barrel zu erhöhen. Die genauen Bedingungen blieben allerdings vage, da MBS dafür noch die Zusage der Öl-Allianz OPEC+ einholen will.
Mit Erleichterung dürften all die anderen anwesenden arabischen Autokraten aber vor allem den Vortag und das direkte Treffen zwischen Biden und MBS zur Kenntnis genommen haben. Am Beginn von Bidens Amtszeit hatten sie kurz befürchtet, dass ihnen in Sachen Menschenrechte vielleicht doch ein schärferer Wind aus dem Weißen Haus entgegenwehen könnte. Der amerikanisch-saudische Faustgruß war das endgültige Signal, dass die arabischen Diktatoren, egal was sie mit ihren eigenen Leuten machen, von amerikanischer Seite nichts zu befürchten haben.
© Qantara.de 2022