Salafismus-Prävention an Schulen: Symbole allein reichen nicht

Wie kann man an Schulen junge Muslime über die Gefahren des Salafismus in angemessener Form informieren? Der Verein ufuq.de bietet in Kooperation mit der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften Filme und Methoden für die pädagogische Praxis zu Islam, Islamfeindlichkeit, Islamismus und Demokratie. Ein Erfahrungsbericht aus der Präventionsarbeit von Götz Nordbruch

Von Götz Nordbruch

"Nein, ich bin nicht Charlie! Sondern das gestohlene, besetzte Palästina, ich bin das zerstörte Gaza." Mit diesen Worten kommentierte der Frankfurter Rapper SadiQ auf Facebook die aktuelle Debatte um die Anschläge in Paris. "Ich bin das zerteilte Kurdistan, ich bin das gefolterte und vergessene Guantanamo." Die 6.600 Likes machen den Zuspruch deutlich, den diese Wahrnehmung auch unter Jugendlichen erfährt.

Reaktionen wie diese geben ein unter jungen Muslimen weit verbreitetes Gefühl wieder, in der Öffentlichkeit mit eigenen Erfahrungen und Interessen kaum Gehör zu finden. So beklagen gerade arabischstämmige Jugendliche immer wieder, dass die verschiedenen Konflikte im Nahen Osten und die Rolle Europas oder der USA in den dortigen Kriegen zum Beispiel im Schulunterricht kaum angesprochen würden.

In der Propaganda salafistischer Initiativen werden diese Wahrnehmungen gezielt aufgegriffen. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die Anschläge selbst zu rechtfertigen. Wichtiger scheint die Instrumentalisierung von Entfremdungs- und Ohnmachtsgefühlen, die durch die breite Aufmerksamkeit für die Opfer der Pariser Attentäter oft noch bestärkt wurden. Brandanschläge auf Moscheen, rassistische Schmierereien an Gemeindezentren oder die Pegida-Aufmärsche – all dies käme in der Berichterstattung kaum vor, heißt es gerade auf diversen Webseiten dieses Spektrums, weshalb sie hier umso mehr Platz einnehmen.

Notwendige Auseinandersetzung mit Diskriminierungserfahrung

In der Präventionsarbeit spielt die Auseinandersetzung mit Diskriminierungserfahrungen und der Empörung über vermeintliche oder tatsächliche Einseitigkeiten und Doppelstandards des öffentlichen Interesses eine wichtige Rolle. Eine Diskussion der jeweiligen Hintergründe steht dabei nicht im Mittelpunkt – ebenso wenig die Bewertung, ob diese Wahrnehmungen zutreffen oder nicht.

Salafist demonstriert Ende April 2014 in der Nähe des Brandenburger Tors in Berlin; Foto: picture alliance/Wolfram Steinberg
Radikale Botschaften einer radikalen Minderheit: "Mit der Wirklichkeit der Muslime in Deutschland – und der Selbstverständlichkeit, mit der sich die allermeisten Muslime als Bürger des Landes sehen – hat dies nichts tun. Dennoch bieten diese Darstellungen einen vermeintlichen Ausweg, um mit eigenen Erfahrungen von Fremdheit umzugehen", bemerkt Nordbruch.

Schon die Bereitschaft von Lehrern oder Sozialarbeitern, sich überhaupt mit diesen Wahrnehmungen zu beschäftigen, wird von vielen Jugendlichen als Anerkennung beschrieben, dass auch ihre Sichtweisen und Sorgen einen Platz haben. Die inhaltliche Diskussion ist dann erst der zweite Schritt, in dem sich auch immer wieder angestellte Vergleiche mit den Juden in den 1930er Jahren hinterfragen lassen.

Denn auch dies ist ein wichtiges Argumentationsmuster, das von salafistischen Akteuren bedient wird: Den Muslimen drohe in Deutschland ein Holocaust, heißt es in Videos aus dem Umfeld des salafistischen Predigers Pierre Vogel. Die Judenvernichtung wird hier nicht geleugnet, sondern dient als Kulisse, um die Opferideologie zu befördern. "Stopp Hetze gegen Muslime" ist ein Video auf Youtube überschrieben, das in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau aufgenommen wurde.

Mit der Wirklichkeit der Muslime in Deutschland – und der Selbstverständlichkeit, mit der sich die allermeisten Muslime als Bürger des Landes sehen – hat dies nichts tun. Dennoch bieten diese Darstellungen einen vermeintlichen Ausweg, um mit eigenen Erfahrungen von Fremdheit umzugehen.

Selbststilisierung als ewige Opfer

Das Gefühl von Fremdsein, so lautet ein beliebtes Argument salafistischer Kommentatoren, sei schließlich nicht neu. Schon der Prophet habe im siebten Jahrhundert wegen seines Glaubens Ausgrenzungen und Anfeindungen erlebt – und sei zusammen mit seiner Gemeinde siegreich aus dem Kampf mit den Ungläubigen hervorgegangen. "Fremd im Vaterland" heißt dann auch eine gerade angekündigte Biographie von Sven Lau alias Abu Adam, der aufgrund eines schließlich eingestellten Ermittlungsverfahrens wegen einer "schweren staatsgefährdenden Straftat" in der Szene als Märtyrer geschätzt wird.

In diesem Weltbild geht es nicht darum, Jugendliche dazu zu ermutigen, sich in der Gesellschaft für ihre Rechte und Interessen einzusetzen. Beschworen wird vielmehr ein zeitloser Kampf mit den Nichtmuslimen, den die Muslime nur gemeinsam gewinnen könnten.

Umso wichtiger sind Symbole, wie die Teilnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck an der Gedenkveranstaltung "Zusammenstehen – Gesicht zeigen!", die am 13. Januar unter anderem vom Zentralrat der Muslime vor dem Brandenburger Tor als Reaktion auf die Anschläge in Paris organisiert wurde. "Qur'an Rezitation vor dem Brandenburger Tor. Historisch. Gänsehaut" – fasste ein Beobachter auf Twitter seine Eindrücke zusammen. Für viele Muslime war dies ein überfälliges Zeichen, dass sich die Bundesregierung hinter sie stellt und vor Anfeindungen in Schutz nimmt.

Betonung der Normalität deutsch-muslimischer Lebenswelten

Für Jugendliche, die mit Diskriminierungen und Vorbehalten konfrontiert sind, sind Symbole allein allerdings nicht ausreichend, um das Gefühl von Zugehörigkeit zu festigen. Neben dem Hinweis auf konkrete Angebote, wie man sich gegen Diskriminierungen und Anfeindungen in Schule, Berufsleben oder Freizeit wehren kann, geht es in der Bildungsarbeit vor allem auch darum, die Normalität deutsch-muslimischer Lebenswelten herauszustellen.

Im Gespräch mit Jugendlichen zeigt sich, wie wichtig vielen jungen Muslimen dabei auch die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen ist, die sich im Alltag stellen, auf die sie aber weder im persönlichen Umfeld noch in der Schule zufriedenstellende Antworten finden. "Darf ich als Muslim eigentlich an der Weihnachtsfeier in der Schule teilnehmen?", "Wie ist das mit der Evolutionslehre im Biounterricht?" oder "Muss ich beim Schwimmunterricht mitmachen?" – für diese und ähnliche Fragen suchen Jugendliche nach Antworten und landen bei ihrer Suche schnell bei "Sheikh Google".

Muslima mit Burkini in einem Schwimmbad; Foto: picture alliance/dpa/Rolf Haid
Fragen des Alltags im Vordergrund: "Darf ich als Muslim eigentlich an der Weihnachtsfeier in der Schule teilnehmen?", "Wie ist das mit der Evolutionslehre im Biounterricht?" oder "Muss ich beim Schwimmunterricht mitmachen?" – für diese und ähnliche Fragen suchen Jugendliche nach Antworten und landen bei ihrer Suche schnell bei "Sheikh Google".

In Diskussionen auf Facebook und anderen Sozialen Netzwerken nehmen diese Fragen breiten Raum ein. Auffallend ist die Deutungshoheit, die Angebote aus dem salafistischen Spektrum im Internet in den letzten Jahren erlangt haben. Bis heute beschränken sich die Online-Angebote der größeren islamischen Verbände auf einige wenige Webseiten, die kaum auf jugendliche Zielgruppen ausgerichtet sind. Entsprechend eingeschränkt ist das Meinungsspektrum, das in entsprechenden Diskussionen in Sozialen Netzwerken und Online-Foren zu Wort kommt. Mit bis zu 100.000 Facebook-Fans prägen Seiten wie "Die Wahre Religion" oder "PierreVogel.de" die Debatten, die sich hier entwickeln.

Perspektiven jenseits von Theologie und Glauben

Alternative Zugänge zu diesen Fragen bieten sich nicht nur im islamischen Religionsunterricht, in dem sich bekenntnisorientierte Antworten formulieren lassen. Ebenso wichtig sind lebensweltorientierte Zugänge, die den Wunsch nach Orientierung und Halt aufgreifen und Perspektiven jenseits von Theologie und Glauben aufzeigen.

Gerade in Lerngruppen mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit lassen sich an religiösen Fragen allgemeine ethische Themen diskutieren, die das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft betreffen. Zum Beispiel, wenn es um Mitbestimmung und Teilhabe geht. "Darf ich als Muslim eigentlich wählen?" – diese Frage stellt sich manchen Jugendlichen im Vorfeld von Landtags- oder Bundestagswahlen. Von salafistischen Kommentaren wird sie mit einem klaren "Nein!" beantwortet.

Andere Positionen, wie sie auch von renommierten islamischen Wissenschaftlern wie dem Professor für islamische Religionspädagogik Bülent Ucar vertreten werden, werden hier in der Regel kaum sichtbar. Die Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen ist für ihn selbstverständlich – und auch mit Blick auf eine Vertretung der Interessen von Muslimen geboten. Die Möglichkeit, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, bietet schließlich auch die Chance, eigene Interessen und Sichtweise einzubringen.

Dabei kann es in der Bildungsarbeit mit jungen Muslimen nicht darum gehen, entsprechende Positionen als "richtig" oder "islamisch korrekt" darzustellen. Wichtig ist, sie für Jugendliche überhaupt als Teil eines breiten islamischen Meinungsspektrums sichtbar zu machen.

Die Begegnung mit innerislamischer Diversität ist dabei auch eine Form des Empowerment, das Jugendliche für salafistische Weltbilder sensibilisiert und ihnen Möglichkeiten aufzeigt, eigene Fragen zu diskutieren und eigene Interesse gegenüber Muslimen wie Nichtmuslimen zu vertreten.

Götz Nordbruch

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