Allahs langer Schatten

Michael Lüders räumt in "Allahs langer Schatten. Warum wir keine Angst vor dem Islam haben müssen" mit Pauschalurteilen über eine Weltreligion auf und skizziert Wege des Dialogs mit der islamischen Welt.

Von Kathrin Erdmann

Eine tief verschleierte Frau, die den Leser mit großen Augen anschaut – zumindest optisch unterscheidet sich das neue Werk von Michael Lüders nicht von zahlreichen anderen, die sich – sei es belletristisch, sei es sachlich – mit der arabischen Welt beschäftigen.

Und auch das Inhaltsverzeichnis lässt mit Kapiteln wie "Mohammed und der Koran" und "Feindliche Brüder. Sunniten und Schiiten" auf wenig neue Erkenntnisse hoffen, es erscheint sogar fast ein wenig beliebig.

Doch ein x-beliebiges Werk ist das 220 Seiten umfassende Buch beileibe nicht. Michael Lüders argumentiert meist schnörkellos, provoziert bewusst.

Hinkender Vergleich

So zieht er bereits in der Einführung einen Vergleich zwischen Islamophopie und Antisemitismus: "Ich halte die Islamophobie in gewisser Hinsicht für eine Neuauflage des Antisemitismus unter anderen Vorzeichen. In beiden Fällen wird eine Gruppe kollektiv unter Anklage gestellt, erklärt die Mehrheit eine Minderheit zur Bedrohung. Qualitativ besteht zwischen den Aussagen 'Die Juden sind unser Unglück' und 'Der Islam ist eine fanatische Religion' kein Unterschied."

Zwar wolle er den Holocaust nicht relativieren, aber es gebe, so Lüders, doch eine "Parallelität bei der Dämonisierung" beider Minderheiten.

Ein Vergleich, der zweifelsohne hinkt und dem Buch eher schadet als nützt, denn die dann folgenden Erklärungen rund um die Entwicklung des Islam sind zumindest für den Laien auch so ein Lehrstück. Kenntnisreich, anschaulich und sensibel bringt Lüders dem Leser die Religion und verschiedene Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang näher.

Verschiedene Lesarten des Korans

Geschickt verwebt er Informationen mit Analysen, wie beispielsweise beim Thema Scharia. Die islamische Rechtsordnung wird in seiner kompletten Form zwar nur noch in Saudi-Arabien angewandt, doch ganz abgeschafft hat sie bisher nur die Türkei. Dies wäre aber aus Sicht von Lüders dringend nötig, um das Individuum gegenüber der Gesellschaft und des Staates zu stärken.

Problematisch, und das zeigt sich immer wieder, ist die unterschiedliche Interpretation des Korans und seiner Vorschriften, die häufig eben nicht in die Moderne führt.

Deutlich wird das auch bei dem umstrittenen Thema Kopftuch. Der Koran, das belegt Lüders anhand von zwei Textstellen, schreibt keine Teil- oder Ganzkörperverschleierung vor, lasse aber jenseits der "Busenspalte" reichlich Raum für Interpretationen.

Frauen, die sich für das Tragen des Schleiers entschieden, sollten nicht als unterwürfige Muslimin abgekanzelt werden. Es könnte auch einfach, so jedenfalls Lüders These, ein Merkmal arabischer Selbstfindung im Kampf gegen westlich-kulturelle Überfremdung sein.

Islamische Hochkultur im Mittelalter

Warum viele Muslime heute abweisend oder skeptisch auf die westliche Kultur reagieren, belegt er jedoch intensiver erst zu einem späteren Zeitpunkt. Zunächst erinnert er an berühmte Wissenschaftler, wie den persischen Arzt Avicenna, dessen Werk die Medizin vom 12. bis 17. Jahrhundert nachhaltig geprägt hat.

Ähnlich wie heute der "american way of life" stand der Islam einst für eine fortschrittliche Lebensart. Diese Religion also pauschal als mittelalterlich - im Sinne von rückständig - zu bezeichnen, sei daher sachlich vollkommen falsch.

Für den Niedergang macht Lüders zum großen Teil die Kolonialisierung verantwortlich. Grenzen wurden mit dem Lineal gezogen, ohne Rücksicht auf unterschiedliche Stämme und damit Kulturen. Was hätte wachsen können, wurde brutal zerstört.

Traditionelle und patriarchale Staaten sind das Ergebnis. Was diesen Ländern fehle, so der Autor, ist eine solide Mittelschicht. Nur sie könne aber eine Demokratie einfordern und die arabischen Staaten und den Iran in die Moderne führen.

Derweil darbe das Volk und wende sich aus Frust gegen die herrschende Elite den Moscheen zu, denn dort wird viel für sie getan, gibt es soziale Einrichtungen, Essen, Kleidung.

Ursachen für das Erstarken des politischen Islam

Nüchtern schildert Lüders anhand von Beispielen, wie sich diese Elite weiter bereichert und so jede Entwicklung hemmt. Doch nicht nur darin sieht er den Grund, dass sich die Bevölkerung immer mehr den Fundamentalisten zuwendet.

Schuld seien auch die westlichen Staaten, die aus eigener Profitgier diese Elite noch unterstützen – so wie jüngst in Libyen geschehen. Dort, wo der französische Präsident Nicolas Sarkozy den libyschen Staatschef mit seinen jüngsten Verhandlungen über ein Atomkraftwerk wieder salonfähig machte.

Ob in Libyen, im Irak oder in Afghanistan: Systematisch listet Lüders die Versäumnisse und Fehler westlicher Staaten auf, die heute und in der Vergangenheit dort gemacht wurden. Sein Hauptkritikpunkt ist dabei die fehlende Einbindung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen bei der politischen Neugestaltung. Nur durch einen gemeinsamen Dialog seien die verschiedenen Krisen zu lösen.

Einen Dialog, den auch Deutschland dringend mit seinen muslimischen Mitbürgern führen sollte. Derzeit beruhten viel zu viele Ressentiments gegen den Islam auf Misstrauen und Unkenntnis. Das frustriere und spiele allein fundamentalistischen Kräften in die Hände.

Guter Überblick über die Geschichte der islamischen Welt

Lüders Buch "Allahs langer Schatten" ist gut strukturiert und fasst die verschiedenen historischen Höhepunkte wie Krisen in der islamischen Welt kurz und knapp zusammen. Ebenso werden wie zentrale Grundbegriffe zum Verständnis der islamischen Religion erklärt.

Wer sich bisher wenig mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, erhält hier einen guten Ein- und Überblick. Es gelingt Lüders auf überzeugende Weise, die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der Region besser verstehen und einordnen zu können.

Insofern hilft das Buch sicherlich auch, sorgfältiger mit Begriffen wie Fundamentalismus und Islamismus umzugehen und politisches Handeln differenzierter zu betrachten – was allein schon angesichts der momentan aufgeheizten öffentlichen Diskussion über das Thema Islam schon sehr viel wert ist.

Kathrin Erdmann

© Qantara.de 2007

Michael Lüders: "Allahs langer Schatten“, Herder-Verlag 2007, 19,90 Euro, ISBN 978-3-451-29664-2

Qantara.de

Muslime in deutschen Medien
Verknüpfung von Islam und Terror
Aufgrund mangelnder Kenntnisse und Klischees gelingt es Medien und Politikern häufig nicht, die Trennlinie zwischen Islam, Islamismus und Extremismus richtig zu ziehen. Um radikale Islamisten zu isolieren, sind die Muslime selbst gefragt, schreibt Sabine Schiffer in ihrem Essay.

Christoph Peters: "Ein Zimmer im Haus des Krieges"
Kommunikation zwischen zwei Generationen
Christoph Peters hat mit "Ein Zimmer im Haus des Krieges" einen Roman geschrieben, in dem er die Auswüchse des aufklärerischen Denkens denen des Islamismus gegenüberstellt. Daniele Raffaele Gambone hat das Buch gelesen.

Islam und Moderne
Wider das wachsende Misstrauen
Eine vorurteilslose Debatte und Forschung über Islam und Moderne kann nur erreichen, wer endlich auf Kampfbegriffe wie Islamophobie und Islamofaschismus verzichtet. Von Claus Leggewie