Wenn Opfertiere zum Politikum werden

Opferfest unter Polizeitschutz inKarachi, Pakistan
Unter Polizeischutz: Immer wieder kommt es während der Feiertage des Eid ul-Adha zu Anschlägen. Darum sind in Pakistan die Sicherheitsmaßnahmen jetzt besonders scharf. So wie hier in Karachi, Pakistans größter Stadt, in der nach Schätzungen rund 15 Millionen Menschen leben. (Foto: Reuters/A. Hussein) Opferfest unter Polizeitschutz inKarachi, Pakistan

Im Jahr 1974 wurden Ahmadi-Muslime vom pakistanischen Parlament zu einer nicht-muslimischen Minderheit deklariert. Seitdem wird ihnen die Ausübung religiöser Pflichten erschwert.

Von Mohammad Luqman

Die Pilgerfahrt nach Mekka, der Hadsch, ist eine der wichtigsten Säulen der islamischen Religionspraxis. Am Ende des hohen islamischen Feiertages bringen die Gläubigen in abrahamitischer Tradition Tieropfer dar, um ihrer Intention eines gottgefälligen Lebens Ausdruck zu verleihen. Diese Tradition ist ein fester Bestandteil aller islamischen Kulturen in der Welt und besonders in Südostasien.  

Kurz vor dem Opferfest am 10. Dhul Hijjah (Pilgermonat) kaufen die Gläubigen auf Tiermärkten Schafe und Ziegen. Vielfach werden die Tiere in den Innenhöfen der Häuser gehalten, bis sie am Eid-ul-Adha oder "Großen Eid" – so wird der Festtag umgangssprachlich in Pakistan genannt – geschächtet werden.

Ein Drittel des Fleisches wird an die Armen und Bedürftigen verteilt. In Pakistan werden die Tiere zudem bunt dekoriert und besonders herausgeputzt.  

Kühlschrank-Kontrolle

Für die Minderheit der Ahmadi-Muslime ist die Vorfreude auf das Fest jedoch stark getrübt. Seit einigen Jahren wird ihnen unter Androhung harter Strafen die Teilnahme am hohen islamischen Feiertag und das Darbringen eines Tieropfers untersagt. 

Das kann teils befremdliche Ausmaße annehmen. Im letzten Jahr wurden in der Stadt Rabwah, einer mehrheitlich von Ahmadis bewohnten kleinen Stadt in der Provinz Punjab, Polizeipatrouillen durch die Stadt geschickt, um das Schächten von Tieren durch die Ahmadis zu verhindern.  

In einigen Fällen wurden Tieropfer in den Häusern beschlagnahmt und in anderen Fällen wurde Fleisch aus den Kühlschränken entfernt. Die Behörden erklärten das damit, auch Fleisch bereits geopferter Tiere dürfe nicht verzehrt werden, da es gegen das Verbot verstoße. 

Hetze von radikalen Predigern

Radikale Prediger sind vor solchen Feiertagen besonders aktiv mit ihren Hasstiraden gegen die verfolgte Minderheit. Vor wenigen Tagen wurden nach solcher Hetze zwei Ahmadi-Muslime am helllichten Tag von einem jugendlichen Madrassa-Schüler erschossen. Bei seiner Verhaftung gab der Täter an, die beiden Ahmadis unter dem Einfluss solcher Hetzpredigten getötet zu haben.  

Am 10. Juni ließ die lokale Administration des Distrikts Chakwal drei Ahmadis verhaften, weil die Gefahr bestand, sie würden am Eid Opfertiere schächten. In anderen Fällen wurden Ahmadis gezwungen, schriftliche Erklärungen abzugeben, dass sie sich nicht an den Eid-Feierlichkeiten beteiligen. Auch dieses Jahr wird die Polizei wieder auf die “Jagd” nach Tieropfern der Ahmadis gehen.  

In der Stadt Daska wurde ein Ahmadi verhaftet, weil gegen ihn der Verdacht bestand, er habe ein Opfertier gekauft. Was vielen wie ein Witz vorkommt, ist die tagtäglich erlebte Verfolgung der Ahmadiyya-Minderheit. Dies geschieht, obwohl das Oberste Gericht, der Supreme Court, in einem für pakistanische Verhältnisse bahnbrechenden Urteil aus dem Jahr 2022 eindeutig erklärt hat, Ahmadis sei die Ausübung ihrer religiösen Pflichten innerhalb ihrer “vier Wände” und Gebetsstätten nicht untersagt. 

Lokale Behörden interpretieren das Recht

Lokalen Beamten sind solche Entscheidungen des Obersten Gerichts ziemlich egal. Sie setzen meistens ihre eigene Interpretation des Rechts durch, auch wenn diese den Urteilen der Gerichte widerspricht. In dieses Muster fallen auch die seit einiger Zeit gestiegenen Fälle von Anschlägen auf Ahmadi-Moscheen und ihre Friedhöfe. 

Allein im Jahr 2023 wurden über 42 Moscheen der Minderheit zerstört oder angegriffen. In diesem Jahr ist es wiederholt zu Zerstörungen von Kuppeln und Minaretten von Ahmadi-Gotteshäusern gekommen. 

Die meisten dieser von lokalen Beamten ausgeführten Angriffe werden mit Verstößen gegen das 1984 erlassene Anti-Ahmadiyya-Gesetz begründet, obwohl im besagten Gesetz keine Einschränkungen der architektonischen Gestaltung von Ahmadi-Moscheen vorkommen. 

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50 Jahre Anti-Ahmadiyya-Gesetzgebung

Die neue Regierung unter Premierminister Shehbaz Sharif nimmt, wie die Regierungen davor, solche Verstöße stillschweigend hin. Der Hass gegen die Ahmadi-Minderheit ist in allen Teilen der Gesellschaft weit verbreitet. In diesem Jahr hat Pakistan einen weiteren traurigen Meilenstein erreicht: Seit 50 Jahren wird die Verfolgung der Ahmadi-Muslime staatlich sanktioniert.  

1974 hatte das pakistanische Parlament auf Druck der religiösen Parteien die Ahmadis gegen ihren Willen zu einer nicht-muslimischen Minderheit erklärt, womit es die staatliche Diskriminierung und Verfolgung der Ahmadis einleitet. Zehn Jahre später wurde auf Basis der Parlamentsentscheidung von Militärdiktator Mohammed Zia ul Haq  (er regierte von 1977 bis 1988) die Ordinance XX verabschiedet, eine Anweisung, die praktisch jede religiöse Handlung eines Ahmadi kriminalisiert. 

Menschenrechtsorganisationen weisen seitdem regelmäßig auf die katastrophale Menschenrechtslage der Ahmadis in Pakistan hin. Seit 1984 sind mehrere hundert Ahmadis getötet und tausende wegen Blasphemie verklagt oder inhaftiert worden. 

Viele flüchten vor staatlichen und gesellschaftlichen Repressalien aus dem Land. In der Volkszählung von 2017 wurde deutlich, dass in den Jahren 1998 bis 2017 die Anzahl der Ahmadis in Pakistan um 37 gesunken ist. Restriktionen, Diskriminierung und Verfolgung seit über 50 Jahren haben eine ganze Generation von Ahmadis traumatisiert und eine Aussicht auf Verbesserung ist nicht in Sicht. 

Mohammad Luqman 

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