Für den Dschihad im Stich gelassen
In ihrem Roman "Willow Trees Don't Weep" geht Fadia Faqir der Frage nach, was mit den Frauen einer Familie geschieht, wenn ein Mann sie für den Dschihad verlässt. Auch untersucht sie die Ursachen für die islamistische Radikalisierung, beginnend im Jordanien der 1980er Jahre. Dies war die Zeit, als der globale Dschihad noch ganz am Anfang stand und die sogenannten "arabischen Afghanen" ihre Heimatländer verließen, um in Afghanistan gegen die sowjetische Invasion zu kämpfen.
"Willow Trees Don't Weep" ist aus zwei Blickwinkeln geschrieben. Der erste gehört Najwa, eine palästinensisch-stämmigen Jordanierin, die in Amman mit ihrer Mutter Raneen lebt, einer Lehrerin, und mit ihrer Großmutter, die nur noch einen Zahn im Mund hat.
Die zweite Perspektive ist die von Najwas Vater Omar Rahman, einem Studenten, der seine Frau und seine vierjährige Tochter 1987 verlässt, um gemeinsam mit seinem Freund und Kommilitonen Hani in Afghanistan zu kämpfen. Omars Erzählung hat die Form von Tagebucheinträgen, die sich über ein Vierteljahrhundert erstrecken – von Januar 1986 bis Juni 2001.
1986 ist Omar noch ein Jazz-Fan mit Afro-Frisur, der Alkohol trinkt und in westliche Nachtclubs geht. Er betet seine kleine Tochter an, führt aber eine problembeladene Beziehung zu seiner "zugeknöpften, frigiden Ehefrau". Hani gerät unter den Einfluss einer islamistischen Organisation und wird von der jordanischen Geheimpolizei eingesperrt und gefoltert.
Geschockt von der Tortur, die Hani zu überstehen hat, beginnt Omar das Pamphlet "Folgt der Karawane!" des palästinensisch-stämmigen Jordaniers Abdullah Azzam zu lesen, in dem dieser zum Dschihad aufruft. Obwohl er das Buch für bloßes Geschwafel hält, begleitet er Hani nach Afghanistan.
Vom Religiösen zum Säkularen
Nachdem sie von Omar verlassen wurde, nimmt Raneen ihren Schleier ab und wendet sich entschieden dem Weltlichen zu. Sie zwingt Najwa, ihr dabei zu helfen, Omars religiöse Bücher zu verbrennen und erlaubt ihr weder, sich den Kopf zu bedecken, noch eine lange Schuluniform oder Hosen zu tragen. Sie verbietet ihrer Tochter, an Koran-Rezitationskursen teilzunehmen oder an Schulaktivitäten, die mit dem Ramadan zu tun haben. "Ich wusste, dass ich anders war", erinnert sich Najwa später.
Raneen möchte, dass Najwa Französisch studiert, weil Frankreich "das säkularste Land der Welt" ist. Als das aber nicht möglich ist, entscheidet sie, dass Najwa sich zur Reiseleiterin ausbilden lassen und in einem Hotel arbeiten soll.
Als Najwa 27 Jahre alt ist, erkrankt ihre Mutter an Krebs, bleibt nur noch zuhause und stirbt einen langsamen Tod. Ihre letzten Worte sind "kein islamisches Begräbnis", ein Wunsch, der von Najwas Großmutter jedoch nicht respektiert wird. Nach dem Begräbnis bekommt Najwa von ihrer Großmutter gesagt: "Nun, da deine Mutter tot ist, musst du dich auf die Suche nach deinem Vater machen."
Najwa begibt sich auf eine gefährliche Reise nach Pakistan, Afghanistan und schließlich nach Großbritannien. Ihre Gefühle gegenüber ihrem verschwundenen Vater sind gemischter und komplexer Natur. "Wer war eigentlich dieser Omar Rahman? Ein Mörder? Jemand, der seine Frau im Stich lässt? Oder doch ein Revolutionär? Einer, der seinen Träumen nachjagt und über das Ende des Horizonts hinaus gelangen will?" Sie macht ihn jedenfalls für die Krankheit und den Tod ihrer Mutter verantwortlich.
Von Jordanien nach Afghanistan
Najwa begibt sich arglos auf die Suche, deckt Geheimnisse auf und macht schockierende Erfahrungen, darunter ein Drohnenangriff in Afghanistan. Mehr als einmal ist sie einem Nervenzusammenbruch nahe. Ihre Naivität resultiert nicht zuletzt daraus, dass sie in die Fänge des internationalen Terrorismus gerät.
"Willow Trees Don't Weep" ist ein sehr ambitionierter Roman, der geographisch wie zeitlich einen großen Raum umfasst und eine Vielzahl an Themen berührt. Vieles in Faqirs Roman liest sich schlüssig, vor allem die Beziehung zwischen Najwa und ihrer Mutter wird sehr gut dargestellt. Faqir hat ein Talent für die genaue Wiedergabe der Poesie ganz alltäglicher Dinge, wie etwa der Essensvorbereitung.
Faqir überzeugt darin, die Probleme Najwas als junger, alleinstehender Frau zu schildern. Immer ist sie das Objekt männlicher Aufmerksamkeit, ein Großteil davon ungewollt. Sie sehnt sich nach einer Beziehung. Doch dass ihr Vater seine Familie zugunsten des Dschihad im Stich gelassen hat, schmälert ihre Aussichten, einen Ehemann in Amman zu finden, erheblich. Erst auf ihrer Reise wird sie erstmals Gelegenheit zu einem sexuellen Abenteuer bekommen.
Omar dagegen begegnet uns als schwer fassbarer und widersprüchlicher Charakter. Er setzt seine medizinische Begabung in Afghanistan ein, um verwundete Kämpfer zu behandeln und wird von ihnen als "Doktor" verehrt. Von anderen wird er auch als Held gefeiert, nachdem er es auf sich nahm, Hani das Leben zu retten, als während des Gefangenenaufstands im Fort Qala-i-Jangi Ende 2001 Hunderte inhaftierter Taliban-Kämpfer getötet wurden.
Wie ein Wurm von einem Graben zum nächsten
Manchmal verzweifelt Omar am Leben, das er dem Dschihad geopfert hat. 1991 beichtet er seinem Tagebuch, dass das, was er getan hat, sinnlos sei und dass er sich "dieser Mythen erzeugenden Maschine verschrieben" habe. Eine unerwartete Wendung in seinem persönlichen Leben sowie der im Herbst 2001 beginnende, von den USA angeführte Krieg in Afghanistan halten ihn jedoch im Land.
Omar wird immer tiefer in den schier endlosen Kreislauf von Angriff und Vergeltung hineingezogen. Omar offenbart auch eine manipulative Seite, der es egal zu sein scheint, junge Islamisten in den Tod zu schicken und die massenhafte Tötung von Zivilisten in Kauf zu nehmen.
Wenn er über sein Leben nachdenkt, vergleicht sich Omar selbst mit einem Wurm, der sich von einem Graben zum anderen bewegt. "Ich lebte unter der Erde und grub mich selbst in die Gräben ein und dann wieder aus – von einem zum nächsten, ohne viel darüber nachzudenken."
Über den gesamten Roman werden die zeitlichen Abläufe von Najwas Leben und dem ihres Vaters allmählich zusammengeführt. Letzten Endes muss sie sich entscheiden, ob Wiedergutmachung und Vergebung für sie und ihren Vater möglich sind.
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2014
Aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de