Die Reinkarnation der alten Helden
Indonesier sind derzeit ganz vernarrt in die Serie Mahabharata, die derzeit auf dem TV-Kanal antv läuft. Den Auftakt bildete die Serie Mahadeva, die zuvor erfolgreich im indonesischen Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Für die Popularität dieses "indischen Schattenspiels" (Wayang) gibt es viele mögliche Gründe: vom Glanz der Akteure, die indischen Filmstars ähneln, bis zur höfisch prachtvollen Inszenierung der Serie, die viele Zuschauer in ihren Bann zieht. Doch es gibt auch einen intellektuellen Gesichtspunkt: Der indonesische Zuschauer scheint sich in etwas versenken zu können, was wir als "Philosophie" der Serie bezeichnen könnten.
Ein weiterer Grund für die Beliebtheit der Serie könnte sein, dass das Mahabharata dem indonesischen Fernsehzuschauer mehr oder weniger vertraut ist. Sogar diejenigen, die nahezu nichts über das traditionelle Schattenspiel wissen, kennen zumindest die fünf Pandavas (die fünf Söhne des Königs Pandu im indischen Epos Mahabharata). Doch gilt das auch für die indonesischen Comics, die das Mahabharata thematisieren?
In den 1950er Jahren feierte R.A. Kosasih (1919–2012) unter seiner indonesischen Leserschaft große Erfolge, blieb dabei allerdings den Episoden des indischen Epos treu. Er machte sich damit um die Bereicherung der traditionellen Schattenspiele mit Bezügen zu deren Ursprungsland verdient. Als Vorlage diente ihm dabei M. Salehs Version des Mahabharata, die Balai Pustaka 1949 veröffentlichte.
Die Version unterschied sich deutlich von der jüngeren Fassung des Mahabharata, die auf Teguh Santosa (1942–2000) zurückgeht. Diese und deren Fortsetzung Bharatayudha vermitteln kaum etwas von der kulturellen Wirklichkeit unseres eigenen Umfelds. 2009 erschien eine Neuveröffentlichung des Werks in begrenzter Auflage.
Eine Reinkarnation
Die Neuveröffentlichung von 2009 hielt am Format der achtseitigen Episoden fest, die Teguh bereits 1984 für die Kinderzeitschrift Ananda entwarf. Der Neuveröffentlichung ging ein langer Prozess voraus.
Zunächst musste dokumentiert und archiviert werden. Man konnte 2009 auf keine zentrale Sammlung zurückgreifen. Es dauerte Jahre, alle Episoden des Epos zu sammeln und zurückzuverfolgen. Diese detektivische Arbeit wurde nicht von Forschern oder Archivaren durchgeführt, sondern von Liebhabern indonesischer Comics, die sich der Bewahrung und Wiederveröffentlichung des Werks verschrieben hatten. Dabei wählte man gezielt die Comics aus, die geeignet erschienen und mit der Auffassung der Initiatoren über das Wesen von Comics im Einklang standen.
Anschließend ging es um die gestalterische Dimension, bei der man auf zeitgemäße Techniken zurückgriff. Die vergilbten und brüchigen Seiten aus Ananda wurden gescannt. Hier war das vornehmliche Ziel, das Werk einerseits zu bewahren, andererseits jedoch getreu zu reproduzieren.
Dies und das folgende Remastering verhalfen dem Comic zu neuem Glanz, ohne die ursprüngliche Kreativität von Teguh Santosa zu beeinträchtigen. Der eigentliche Druck erfolgte auf einem Papier, das der zeichnerischen Qualität gerecht wurde, die auf dem Niveau der Marvel Comics lag. Und tatsächlich arbeitete Teguh einst auch für diesen US-amerikanischen Comic-Verlag.
Bindung und Umschlag sind aus gestalterischer Sicht weitere wichtige Faktoren. Sie vermitteln uns einen Einblick in den dominierenden Diskurs der Welt der indonesischen Comics. Den Einband zieren keine Zeichnungen von Teguh Santosa, sondern Bilder zeitgenössischer Künstler, wie Apriyadi Kusbiantoro und Admira Wijaya.
Assoziationen zu heutigen Fitnesstrainern
Diese Neuinterpretationen enthalten keine Darstellungen edler Krieger (Ksatrias), die für die spirituelle und geistige Harmonie gemäß der klassischen Auslegung des indonesischen Schattenspiels stehen. Stattdessen beeindrucken die Figuren ausschließlich durch ihre Körperlichkeit. Die Ksatrias wecken Assoziationen zu heutigen Fitnesstrainern.
Diese Neuinterpretation ist eine Konzession an die moderne Leserschaft. Mit ihren prallen Bizepsen und grimmigen Gesichtern rezitieren die Figuren die Superhelden heutiger Comics, Filme und Videospiele.Trotz der attraktiven Neuverpackung des Comics als Respektbezeugung an das originale Werk ging die Neuauflage nur auf Bestellung in Druck. Dies zeigt die Kehrseite einer Hegemonie, die den zeitgenössischen indonesischen Comic-Markt beherrscht. Wir haben es hier eindeutig nicht mit einem übersetzten Manga auf Zeitungspapier zu tun, der massenweise gedruckt und vertrieben wird, um seine Leserschaft Monat für Monat zufriedenzustellen und so zu einer billigen Massenware wird.
Die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre lassen sich nun einmal nicht rückgängig machen. Indonesischen Comic-Liebhabern bleibt nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren und abzusegnen.
Gegenbewegung
Es ist nicht so, dass wir einen "Guerillakrieg" der indonesischen Comics gegen die Übermacht der japanischen erleben. Denn meiner Ansicht nach sind japanische Comics bereits Teil der indonesischen Comic-Welt geworden. Ein Beleg dafür ist die Fortsetzungsreihe Garudayana Saga (2013/2014) von Is Yuniarto. Man könnte sie als Wayang-Comic im Manga-Stil beschreiben.
Die Reinkarnationen der Werke älterer Comic-Künstler, die in der Vergangenheit mythischen Status erlangten, eröffnen einen kontroversen kulturellen Diskurs. Sie evozieren negative Reflexionen der Manga-Comics (die allerdings ebenfalls von Akteuren der indonesischen Comic-Industrie vertrieben werden).
Aus archivarischer Perspektive werden die indonesischen Reinkarnationen auf Wegen übermittelt und vertrieben, die mit dem Recht am geistigen Eigentum rivalisieren, das in den internationalen Manga-Verträgen festgeschrieben ist. Nach eigener Auffassung konkurriert ihre aufwendige Herstellung mit einer auf Massenproduktion ausgerichteten Wirtschaft. Das Marketing folgt einer Guerilla-Taktik und sieht sich im Kampf gegen die großen Verlagsnetze, die wiederum zu Konzernen mit universellen Vertriebswegen gehören.
2013 wurden Teguh Santosas Comic-Versionen von Mahabharata und Bharatayudha als Gesamtwerk mit dem Titel The Pandawa Story gedruckt. Der Umschlag dieser Ausgabe zeigt ein Werk Santosas. Die indischen Texte wurden bereits seit dem elften Jahrhundert "javanisiert". Doch diese Ausgabe schlägt ein neues Kapitel der Auseinandersetzungen auf. Das Gleiche lässt sich von den Comic-Versionen des Mahabharata sagen, die ein Beleg für die kulturellen Auseinandersetzungen sind und die die kulturellen Wandlungsprozesse Indonesiens kennzeichnen.
Seno Gumira Ajidarma
© Inside Indonesia 2015
Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Journalist und Romanautor Seno Gumira Ajidarma lebt in Jakarta. Sein 2012 erschienenes Buch "Panji Tengkorak" (Gramedia) ist eine Analyse des gleichnamigen Comics von Hans Jaladara.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers