Musikalischer Aufbruch

Seit einigen Jahren gedeihen in Ägypten Kulturzentren wie das das "Egyptian Center for Culture and Art". Es dokumentiert und pflegt das reiche musikalische Erbe und die Moderne.

Von Sebastian Blottner

Ägypten ist eines der am strengsten geführten Regime der arabischen Welt. Im Würgegriff eines autokratischen Systems wurde nicht nur die kulturelle Infrastruktur einem schleichenden Verfall preisgegeben. Die gesellschaftlichen Probleme abseits des fein säuberlich an ihnen vorbei kanalisierten Massentourismus sind enorm. Angesichts der sozialen Missstände verwundert es nicht, dass aus dem auf seine Jahrtausende alten Kulturschätze so stolzen Land heute selten aufregende kulturelle Impulse kommen.

Doch etwas tut sich. Seit einigen Jahren bereits etablieren sich unabhängige Kulturzentren, Klubs oder Galerien, die abseits korrupter staatlicher Verwaltung und engstirniger Kulturbeamter ihre Arbeit aufgenommen haben. Sie werden zwar beobachtet, aber geduldet – vor allem auf Grund von Unverständnis und Desinteresse der repressiven Behörden. Eines dieser unabhängigen Zentren ist das Egyptian Center for Culture and Art, kurz ECCA.

Ein "Platz" im Herzen von Kairo

Gründer und Leiter vom ECCA ist Ahmed el Maghraby. Er war selbst Beamter im Kulturministerium, dann Kulturattaché in Paris – dann wollte er aus dem offiziellen Mief heraus. Endlich etwas sinnvolles tun, ungehindert von überbordender Bürokratie und Korruption. Er hängte die diplomatische Karriere an den Nagel und begann, für sein Projekt einen "Platz" – arabisch "Makan" – herzurichten.

Das ECCA-Domizil "Makan" befindet sich in der Saad Zaghloul Street 1. Mitten im Zentrum Kairos, nahe des Tahrir-Platzes, zwischen der begrünten Garden City und dem quirligen Downtown-Viertel. Büro und Klub gleichermaßen, widmet sich ECCA von hier aus der Pflege, Dokumentation und Wiederbelebung der ägyptischen Volksmusik. Das reichhaltige musikalische Erbe Ägyptens soll zurück ins vom westlichen Mainstream-Pop überflutete Bewusstsein der Menschen geholt werden. Keiner Einebnung wird Vorschub geleistet, sondern kulturelle Vielfalt bewahrt und weiter entwickelt.

Konzerte, Tee und Zigaretten

Mindestens zwei Mal in der Woche finden öffentliche Konzerte im Makan statt. Regelmäßig tritt die Formation Mazaher auf, eine Gruppe von Musikern, die Zar-Musik aufführen: Eine auf Trancezustände abzielende Musik, die traditioneller Weise für häusliche Rituale vorbehalten war, bei denen jemand von einem bösen Geist befreit werden soll. Die Rituale waren nicht nur fast in Vergessenheit geraten, sondern in einer wieder stärker von religiösen Traditionalisten dominierten Gesellschaft nicht wohl gelitten, gelten sie doch als unislamisch.

Nicht nur wenn Konzerte stattfinden, ist im Makan jemand da. Fast rund um die Uhr gibt es Proben, Jam-Sessions oder geselliges Beisammensein – zwischen Arbeit und Vergnügen braucht nicht unterschieden zu werden. Die besondere Atmosphäre des "Platzes" lebt von den Menschen, die ihn bevölkern. Besonders an den Abenden geben sich befreundete Musiker und Intellektuelle die Klinke in die Hand.

Terrabytes für das Archiv

Die Konzertmitschnitte werden Teil des ECCA-Archivs. Aber nicht nur Aufnahmen von Veranstaltungen werden archiviert, sondern auch dokumentarisches Material, das in ganz Ägypten aufgenommen wird. Traditionelle, dem ursprünglichen Blues vergleichbare Arbeitsgesänge von nubischen Bauern sind ebenso darunter, wie vergnügte Lieder von Zigeuner-Nachfahren auf dem Sinai oder Volksweisen der Bewohner des Nildeltas.

Unzählige Terrabytes umfasst das Audio- und Videoarchiv von ECCA bereits. Vieles von dem, was das Team um Ahmed el Maghraby ausgräbt, steht kurz vor dem Verschwinden. In der arabischen Musik hat es nie ein Notationssystem gegeben, Repertoire und theoretisches Wissen wurden über Jahrhunderte mündlich weiter gegeben. Insbesondere die zahlreichen lokalen Ausprägungen der Volksmusik sind, wenn überhaupt, häufig nur noch wenigen Alten in den betreffenden Gemeinschaften bekannt.

Erweiterung des Wirkungsradius

Das will Maghraby ändern und den Trend umkehren. CDs werden veröffentlicht, ein Atelier für Instrumentenbau ist in Planung, zwei Bücher über die traditionellen Folk-Instrumente Ägyptens wurden bereits publiziert. In der Oase Fayoum südwestlich von Kairo ist der Bau einer zweiten ECCA-Residenz fast abgeschlossen, wo es weitere Konzerte und Workshops geben wird.

Bekannte und Kollegen Maghrabys fungieren als Netzwerk von Talent Scouts. Hat man den vorgefundenen Status Quo penibel dokumentiert, lassen sich im günstigsten Fall musikalische Projekte, Konzerte und Tourneen auf die Beine stellen oder Nachwuchsmusiker motivieren. Festivalanfragen und Visaanträge für häufig sehr betagte und nicht selten schreibunkundige Musiker vom Lande gehören zum Alltag der Büroarbeit im Makan.

Maghraby möchte die musikalischen Traditionen seines Heimatlandes nicht einfach konservieren, sondern mit der Moderne verbinden und weiter entwickeln. Die Band "Nas Makan", die Maghraby aus über 20 Musikern derjenigen Gruppen geformt hat, die er im ECCA fördert, ist dabei das stärkste Zugpferd: Traditionelle Flöten neben verstärkten Gitarren, modernes Schlagzeug zusammen mit traditionellen Rahmen- oder Daf-Trommeln.

Viele hätten ihm schon gesagt, dass Nas Makan das Wichtigste, Bedeutendste und Beste an ägyptischer Musik sei, was es seit den 1970er Jahren zu hören gegeben habe, bemerkt Maghraby nicht ohne Stolz. Seinem Ziel, den noch überschaubaren Wirkungsradius von ECCA stetig zu vergrößern, kommt er Schritt für Schritt näher.

Sebastian Blottner

© Qantara.de 2008

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