Helden des Alltags in Ägypten
Abdul Munaim El Ahmed und Adil Abdul Fatah Ahmed Ibrahim "sind ein Gemeinschaftsunternehmen für Dienstleistungen. Sie arbeiten mit Würde. Sie arbeiten vorwiegend mit schwarzer Farbe. Sie sind Schuhputzer.“
So beginnt Manda ihr Porträt von zwei der ärmsten im Buch vorgestellten Bürgern Kairos. Dabei ist es der menschliche Blick der Autorin auf die Dargestellten, ihr Interesse an ihren Beschäftigungen, die ihr einen Zugang zu ihrem Schicksal ermöglichen. Wir erfahren, dass die Cousins Abdul und Adil als Kinder ihr Dorf in Oberägypten verließen, Abduls Vater als Straßenkehrer in Kairo eine achtköpfige Familie ernähren musste und die beiden Cousins nun seit fünfzehn Jahren ihren anstrengenden Job tun. Während sie die Schuhe von Geschäftsleuten auf Hochglanz polieren, haben sie sich "vom Sitzen auf dem kalten Pflaster und an den zugigen Ecken“ ihre Gesundheit ruiniert, so dass sie schon mit 55 Jahren an Arthrose leiden. Dennoch lassen sie sich den Tag nicht "versauern“ und behalten ihre "Fröhlichkeit“.
Mandas "Heldinnen und Helden“, denen sie ihr Buch gewidmet hat, betreiben überwiegend traditionelle Berufe, die meist vom Großvater auf den Sohn und weiter an den Enkel vererbt werden: Lebensmittelhändler, Bäcker, Schneider, Blumenhändler, Kellner in der Teestube, Halsketten-Verkäufer, Bilderrahmen-Schreiner – sie alle gehen einem Geschäft nach und wir könnten sie bei einem Spaziergang durch die Einkaufsstraßen Kairos selbst antreffen. Durch die Autorin erfahren wir mehr von ihnen. Wir lernen Tariq Said kennen, der den aussterbenden Beruf eines Lampenschirmmachers hat und von zurückgehenden Aufträgen, wachsender Armut im Land berichtet und dass vom "Arabischen Frühling“ hauptsächlich Polizei und Militär profitiert hätten, nicht aber die Bevölkerung.
Werden die traditionellen Berufe überleben?
Die stark traditionell geprägte Gesellschaft Ägyptens durchläuft derzeit einen tiefgreifenden Wandel, so dass viele traditionelle Berufe heute vom Aussterben bedroht sind. Ein Bügler muss sich auf die Straße stellen und im Freien sein Bügelbrett aufschlagen. So steht Rida Hamid Said Sakr immer noch täglich auf dem Gehsteig und fährt mit dem heißen Eisen über Hemden und Hosen. Zum Glück ist er bei der Arbeit nicht allein, Nachbarn und Freunde setzen sich zu ihm und leisten ihm Gesellschaft – "gerne auch bis in die Nacht hinein.“
Auf jedes Kurzporträt folgen Fotos (viele aufgenommen von der Autorin), die die Porträtierten bei ihrer Arbeit zeigen. Die Fotos bleiben jedoch diskret und machen die Dargestellten und ihre Werkstätten und Läden nicht zu Schauobjekten.
Manda betont, dass ihre "Entdeckungsreise“ durch Kairo zwar "ein Forschungsunternehmen in unbekannte Gefilde“ darstellt.
Der "tägliche Kampf“ vieler Ägypter habe aber "nichts Folkloristisches“ an sich, sondern bedeute einfach, "nicht unterzugehen.“ Manda selbst ist zwar Deutsche, doch längst sind der Orient und speziell Kairo zu ihrer zweiten Heimat geworden. "Ich sehe mit meinem Herzen. Und ich betrachte die für mich fremde Kultur von außen.“
Manda ging bei ihrem Projekt bewusst von ihrer eigenen Wohnadresse aus. Sie lebt in Downtown Kairo, in der Bursa El Gedida, einer belebten Geschäftsstraße, deren Ladenbesitzer sie größtenteils kennt. Sie kommt täglich an ihren Geschäften vorbei und so waren sie bereit, sich zu ihrem Buch befragen zu lassen.
Auch einige Bewohner ihres Hauses, einem großen hundert Jahre alten Wohnkomplex mit kostbaren Jugendstilornamenten, hat sie interviewt und porträtiert. Unter ihnen ist eine berühmte Primaballerina, Duktura Maya Salim Sa’id Shadad, "Kairos Legende des Balletts.“
Kaleidoskop einer unvergleichlichen Stadt
Mit feinem Gespür für ungewöhnliche Pointen begleitet Manda ihre "Helden“ durch den Alltag, so zum Beispiel einen Taxifahrer "im Ruhestand“, der das "Schwarmverhalten“ der Verkehrsteilnehmer im "Kairochaos“ genau kennt und seine internationalen Gäste viele Jahre lang vom Flughafen abholte und quer durch die Stadt sicher an ihr Ziel brachte. Nun träumt er noch seinen letzten Traum von einer Pilgerreise nach Mekka. "Dort wird er sich dem Menschenschwarm anschließen, der betend rund um die Ka’ba seine Kreise zieht.“
Ein besonderer Reiz des Buchs liegt darin, dass Manda ihre Porträts oft in kleine soziologische und landesgeschichtliche Betrachtungen einbettet. So schildert sie beim Stichwort Brot, wie die traditionelle Herstellung seit vielen tausend Jahren vor sich geht, und weist nach, dass das Brot "von alters her für Nahrung, für Essen (steht). Man kann damit satt werden.“
Ähnlich interessant ist ihre Darstellung der Abläufe in einer Apotheke, wo meist auch ein praktizierender Arzt anzutreffen ist, der die Kunden direkt vor Ort untersucht. Beim Besuch eines ungewöhnlichen Tierparks bei Kairo beginnt Manda nicht etwa bei der Zoo-Chefin, sondern greift zunächst zurück auf den Schöpfungsmythos und erzählt von Adam und Eva im von Tieren bevölkerten Paradies.
Die Kunst des Abschweifens hat sich Manda offenbar bei orientalischen Erzählern abgeschaut. Aber sie verliert sich nicht im Dschungel der Metropole, sondern steuert jedes Mal geschickt auf ihre ausgewählte Person zu. Dass darunter auch eine deutsche Journalistin, ein griechisch-amerikanischer Dirigent und Komponist, ein deutscher Botschafter und ein österreichischer Philosoph und Verehrer des Sufitums sind, erhöht den kosmopolitischen Reiz dieses erstaunlichen Kaleidoskops einer unvergleichlichen Stadt.
Selten wurde uns eine Mega-City wie Kairo auf so sympathisch-lehrreiche Weise nahegebracht wie in diesem Band. Wir spüren auf jeder Seite, wie sehr Manda diese Stadt und ihre Menschen ans Herz gewachsen sind. So konnte sie ein wunderbares Buch, auf Deutsch und Arabisch, mit Bildern und Texten vorlegen, die zum imaginierten Reisen durch eine lebendige, farbenprächtige Stadt voller menschlicher Schicksale und Helden des Alltags einladen.
© Qantara.de 2022