Der Kampf geht weiter
Die Formulierung hatte es in sich: "Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind", heißt es im Sondierungspapier zwischen CDU/CSU und SPD. Durchgesetzt hatte die Festlegung der SPD-Unterhändler für Außen- und Sicherheitspolitik, Rolf Mützenich.
Damit hat der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion in einer langen Nachtsitzung mehr erreicht als Rüstungsgegner in den vergangenen drei Jahren: Fast so lange tobt der Krieg im Jemen schon, doch alle Versuche, die Bundesregierung von Waffenexporten an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten abzuhalten, sind bislang gescheitert.
Deshalb gehört der hart erkämpfte Sondierungsbeschluss auch in den Koalitionsvertrag. Genauso wie ein anderes Versprechen der Sondierer: "Wir schränken die Rüstungsexporte weiter ein, schärfen die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten."
Gegenwind für Friedenpolitiker
Auf Dauer freilich helfen vage Richtlinien nicht. Nur ein Rüstungsexportgesetz mit klaren Sanktionsregelungen kann verhindern, dass weiter Waffen Made in Germany in den Händen von Diktaturen und staatlichen Konfliktakteuren landen. Und genau das sind die am heftigsten von der Aussetzung betroffenen Länder: Die Regierungen in Riad, Abu Dhabi und Kairo bilden die Sperrspitze der arabischen Koalition gegen die Huthi-Milizen im Jemen. Und sie stehen seit Jahren ganz oben auf der Empfängerliste deutscher Rüstungsgüter: Für mehr als zwei Milliarden Euro kauften die Regimes am Golf und am Nil seit 2015 in Deutschland ein.
Dass die arabischen Autokraten vorerst keine Patrouillenboote, Luftluftraketen und Militärtransporter geliefert bekommen, ist gut. Gesichert ist der Erfolg der Rüstungskritiker aus den Sondierungsgesprächen damit aber noch lange nicht. Im Gegenteil: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der den Kölner Außenpolitiker Mützenich in den Verhandlungen noch unterstützt hatte, hat bereits durchblicken lassen, dass er die Beschäftigten in Rüstungsbetrieben von Rheinmetall, ThyssenKrupp Marine Systems oder Krauss-Maffei Wegmann nicht im Stich lassen werde. Gleiches gilt für die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig: Weil der temporäre Exportstopp die Belegschaft der Peene-Werft in Wolgast besonders hart trifft, weht den Friedenspolitikern in der SPD Gegenwind auch von der Ostseeküste entgegen.
Hinzu kommt die mächtige Rüstungslobby, der die Sondierungsbeschlüsse gar nicht gefallen. Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), des Förderkreises Deutsches Heer und der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik dürften deshalb in den kommenden Wochen fleißig Klinken putzen, um eine Verschärfung der Richtlinien im Koalitionsvertrag zu verhindern.
Dass es Verteidigungsministerium Ursula von der Leyen in den Sondierungen nicht gelungen war, dem vom Europaparlament schon lange geforderten Rüstungsexportstopp im Jemen zu verhindern, ist eine Schlappe, die der militärisch-industrielle Komplex nicht auf sich sitzen lassen wird.
Umgehung der Kriegswaffenkontrollgesetze
Die "Big Five" der Branche sind der Politik ohnehin meist einen Schritt voraus. Allen voran Rheinmetall Defence setzt seit Jahren auf eine Strategie der Internationalisierung: An Standorten wie in Südafrika, aber auch im verarmten Hinterland von Sizilien hat der Düsseldorfer Rüstungsriese Joint Ventures gegründet, die den Bau von Bombenfabriken erlauben – ohne sich an Kriegswaffenkontrollgesetze und andere Richtlinien der Bundesregierung halten zu müssen. Auch um diese Schlupflöcher zu schließen, ist ein Rüstungsexportgesetz dringend notwendig.
Denn nicht nur die antiiranische Allianz aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten profitiert von deutschen Rüstungsgütern. Auch anderen sogenannten Drittstaaten nutzt die Aufweichung der von Rot-Grün verabschiedeten Exportgrundsätze unter Bundeskanzlerin Angela Merkel: Allein 2017 wurden Waffen im Wert von 3,79 Milliarden Euro an Länder geliefert, die nicht der NATO angehören oder dem westlichen Verteidigungsbündnis gleichgestellt sind wie Australien und die Schweiz. Eine beunruhigende Entwicklung: Der kaum kontrollierbaren Weitergabe von Kleinwaffen und anderem Militärgerät sind damit Tür und Tor geöffnet.
Drastisch gestiegene Exporte unter der Großen Koalition
Wie wenig die Mitgliedschaft in der NATO als Bollwerk gegen unverantwortlichen Waffeneinsatz taugt, zeigt der Fall Türkei. Wegen des Einmarschs der Armee in Nordsyrien hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel Verhandlungen über die Nachrüstung deutscher Leopard-2-Kampfpanzer erst einmal auf Eis gelegt. Doch wie für den Genehmigungsstopp wegen des Jemen-Kriegs gilt auch hier: Dauerhaft entschieden ist nichts; die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wird alles versuchen, um die Beschlüsse wieder rückgängig zu machen.
Auf genügend Verbündete in Reihen von SPD, CSU Und CDU können sich die Vertreter von Diehl Defence, Airbus, Rheinmetall & Co. dabei verlassen. Die große Koalition hat seit ihrem Amtsantritt so viele Exporte genehmigt wie keine Regierung vor ihr; von 2014 bis 2017 für 25,1 Milliarden Euro. Das sind 21 Prozent mehr als in den Jahren der schwarz-gelben Koalition von 2010 bis 2013.
Dafür, dass die Zahlen zurückgehen, brauchen die Friedenspolitiker breite Unterstützung auch von außerhalb des Parlaments. „Es ist ein großer Erfolg, dass wir diesen Passus durchgesetzt haben, und ich bin nicht bereit, dahinter zurückzugehen“, sagte Mützenich am Wochenende dem „Spiegel“. Der Kampf um die künftige Rüstungsexportpolitik der nächsten Koalition hat gerade erst begonnen.
Markus Bickel
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Markus Bickel ist Journalist und Autor des Sachbuchs "Die Profiteure des Terrors – Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt". Von 2012 bis 2015 arbeitete er als Nahostkorrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Kairo. Er ist verantwortlicher Redakteur des "Amnesty Journals".