Von Natur aus Pessimist
Bei Ali Abdel Mohsen ist schon das T-Shirt ein Statement. Selbst entworfen, weiß, mit einem ägyptischen Adler inmitten eines schwarzen und roten Kreises. Der Adler, das Symbol von Stärke und Einheit, ist bei ihm zu einer Zielscheibe geworden. Zu einer Zielscheibe von Protest und Widerspruch, Wut und Frustration.
Hauptberuflich ist der 1984 geborene Künstler bei der englischsprachigen Zeitung Egypt Independent tätig, die zum unabhängigen Verlagshaus Shourouk gehört. Kunst und Journalismus lassen sich gut vereinbaren, meint Abdel Mohsen.
Im vergangenen Jahr hatte er in der Mashrabia-Galerie, ganz in der Nähe des Tahrir-Platzes, unter dem Titel "Razor-Sharp Teeth" Bilder ausgestellt, seine zweite Einzelausstellung überhaupt. Die Mashrabia-Galerie ist bekannt dafür, dass sie jungen und unabhängigen Künstlern eine Chance gibt, ihre Kunst öffentlich zu machen.
Abdel Mohsens mit Wasserfarben colorierte Zeichnungen mit Tinte auf ausgerissenem Karton entwerfen eine neue Bildersprache, die mit orientalistischen Motiven nichts gemein hat. Es sind verstörende, apokalyptisch wirkende Bilder einer aus den Fugen geratenen Welt. Düstere Szenen mit viel Rot und Schwarz, die unheilvoll von der Zukunft der großen Städte erzählen.
Die Stadt als Ödnis aus Häuserskeletten
Sie zeigen die Stadt als eine Ödnis aus Häuserskeletten, die wirken wie nach einem Atomangriff. Die Natur kommt nur verwundet vor, in Form von auf Strichen reduzierten Bäumen und von Speeren durchbohrten, blutenden Tieren. Seine Menschen gleichen uniformierten, gesichtslosen Wesen, die Köpfe umwickelt wie altägyptische Mumien. In einer seiner namenlosen Zeichnungen ragen gigantische Hände in die Szene, ganz so wie der alte Staatsapparat in das Leben der Menschen hineinregierte.
Arbeiten, die den revolutionären Umsturz vor zwei Jahren behandeln, finden sich bislang nicht in seinem noch überschaubaren Werk. Allerdings gibt es in vielen Bildern durchaus Bezüge zur ägyptischen Gesellschaft und ihr Ringen um einen gangbaren Weg in die Zukunft.
Als Reporter könne er aktuelle Geschehnisse intellektuell verarbeiten, sagt Abdel Mohsen. In der Kunst aber kämen seine Gefühle zum Ausdruck. Freude, aber auch Frustration und Wut. Wut über die vielen Opfer, die es brauchte, um den Diktator zu stürzen. Skepsis über die weitere Zukunft am Nil. Die Zeichnungen lassen sich aber auch als allgemeine Betrachtungen über die Herausforderungen für den modernen Menschen im 21. Jahrhundert lesen.
"Ich bin von Natur aus Pessimist", sagt Ali Abdel Mohsen. Das Hochgefühl nach dem Sturz Mubaraks war für ihn echt, aber dieses Gefühl sei jetzt abgenutzt. Eine Entwicklung hin zur Demokratie hält er für fraglich. Dazu hätte die ägyptische Gesellschaft einen grundlegenden Wandel nötig.
Aufstand der Jungen gegen die Älteren
"Mentale Prozesse dauern einfach länger – dafür haben wir aber weder die Ressourcen noch den Willen", meint er. In der Kunst zeigt sich aber deutlich, dass die Revolution auch ein Aufstand der Jungen gegen die ewige Dominanz der Älteren war. Nach der Revolution sind einige junge Künstler in relativ kurzer Zeit zu Ruhm gekommen, während früher die Älteren zum Beispiel von der einflussreichen Künstlervereinigung Cairo Atelier das Sagen hatten.
In Ali Abdel Mohsens Bildern spielt das Individuum keine Rolle, die dargestellten Männer und Frauen sind Teil einer gesichtslosen Masse. In der Tat ist für ihn die Frage nach der Individualität und die Auflehnung gegen Konformismus jeder Art ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch seine Biografie zieht.
Schon während seiner Ausbildung litt er unter dem bedrückenden gesellschaftlichen Klima in Ägypten. Eine Kunstschule hatte er nie besucht, zeichnete aber bereits seit seiner Kindheit Bilder und drehte auch Kurzfilme. Er ging auf die amerikanische Schule und erlebte sie wie eine künstliche Welt, völlig isoliert von allem, was in Ägypten vor sich ging.
Studienzeit als "Gehirnwäsche"
Anschließend studierte er Mass Communications an der Misr International University in Kairo und bezeichnet seine Studienzeit dort als „Gehirnwäsche“. Er wurde zeitweise der Hochschule verwiesen, weil er es wagte, den Dozenten zu widersprechen. Ein Hochschullehrer hatte beispielsweise behauptet, die Beatles seien sämtlich an einer Überdosis Heroin gestorben. Soll heißen, sie wären ein Beispiel für westliche Dekadenz.
Mohsen widersprach und durfte eine zeitlang nicht mehr zum Unterricht kommen. "Lächerlich", sagt er kopfschüttelnd, "unser Bildungssystem ist wirklich in einem katastrophalen Zustand". Sein Abschlusszeugnis hat er nach eigenen Angaben zuhause auf der Toilette aufgehängt.
Nach dem Studium völlig desillusioniert, jobbte er als Kellner und Kameramann, versuchte sich als Immobilienmakler und schrieb gelegentlich ein paar Artikel. Doch dann öffneten sich ihm überraschend und ohne große eigene Anstrengung einige wichtige Türen.
Im Gegensatz zu seinen düsteren Bildern wirkt sein persönlicher Werdegang wie von großer Leichtigkeit geprägt: Er kam in Kontakt mit Egypt Independent und fand Gefallen an der journalistischen Arbeit. Seit Oktober letzten Jahres hat er einen festen Vertrag bei der englischsprachigen Zeitung und gleichzeitig flexible Arbeitszeiten, die ihm genügend Zeit für die künstlerische Arbeit lässt.
Auf Distanz zum politischen Milieu
Durch einen ähnlichen Glücksfall wurde er als Künstler entdeckt. Bei einer Ausstellung im Haus des Botschafters der Europäischen Union lernte er Stefania Angarano kennen, die Inhaberin der Mashrabia-Galerie. Auf die Ausstellung in der Mashrabia folgte im Jahr 2012 eine Gruppenausstellung zusammen mit den wesentlich bekannteren Künstlern Hany Rashid und Shayma Kamal in der Hamburger Galerie Kunst-Nah unter dem Titel "Identitäten".
Ali Abdel Mohsen gehört definitiv zum liberalen Lager in der derzeitigen Auseinandersetzung zwischen Säkularen und Islamisten um die Kulturhoheit im Land. Trotzdem ist ihm die innere Distanz zum gesamten politischen Milieu wichtig.
"Was das Verfolgen eigener Interessen betrifft, ist die Opposition auch nicht besser als die Islamisten", meint er. Er will in der von starken politischen Gegensätzen geprägten Situation des Landes die Zwischentöne wahrnehmen.
"Die Situation ist nicht Schwarz-Weiss in Ägypten. Man muss als Journalist fair sein und bei den Fakten bleiben. Polarisierung hilft uns nicht weiter, wir brauchen gegenseitigen Respekt. Niemand traut sich das, und das ist wirklich beängstigend."
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de