"Disziplinarstrafen sind Teil unserer Identität"
Zum Schluss fehlte ein Quäntchen Glück: In der 90. Minute kassierte Amed SK, in der Türkei auch als Amedspor bekannt, in Erzurum den Ausgleichtreffer zum Eins zu Eins – und verpasste damit knapp die Chance zum Aufstieg in die zweite Liga.
Dennoch war die Saison ein sportlicher Erfolg für den Fußballverein aus dem südostanatolischen Diyarbakır, dem es trotz aller Repressalien und Rückschläge, deren trauriger Höhepunkt der Verkehrsunfalltod des Mannschaftskapitäns Şehmus Özer Ende letzten Jahres war, bis ins Halbfinale geschafft hatte.
Symbol und Hoffnungsträger in schweren Zeiten
Von der Stadtverwaltung Diyarbakır aufgekauft wurde der Verein, der sich erst 2015 nach dem kurdischen Namen der Stadt in Amed SK ("Amed Sportif Faaliyetler Kulübü") umbenannt hatte, bereits im Jahr 1990. Doch erst in den letzten Jahren war das Team, dessen Fans in den kurdischen Farben Rot, Gelb, Grün auftreten, verstärkt als Repräsentant der kurdischen Minderheit wahrgenommen worden.
"Als Amedspor im letzten Jahr den Erstligisten Bursaspor in dessen Heimatstadt besiegt hat, jubelten Kurden von Batman bis Hakkari, als sei es ihr eigenes lokales Team. Amedspor ist zu einer Plattform kurdischer Identität geworden", meint Amedspor-Sprecher und Anwalt Soran Haldi Mızrak.
An der symbolischen Aufwertung mitgewirkt haben neben der neuen Namensgebung und dem spielerischen Erfolg wohl mehrere Faktoren: Gerade die Verschärfung der politischen Umstände, von denen die Stadt Diyarbakır in besonderem Maße betroffen war, hat die Sehnsucht nach positiv besetzen Bildern kurdischer Identität verstärkt: "Nach der endlosen Reihe von Auseinandersetzungen, die die Stadt in den letzten Jahren erlebt hat, ist ein mit den Händen greifbarer Sieg – und sei es nur auf dem Fußballfeld – für die Stadt und die Anhänger von unschätzbarem Wert", meinen die Fotografinnen Fatma Çelik und Aylin Kızıl, die für eine Reportage das Team und seine Anhänger die letzte Saison über begleitet haben.
Strafen mit politischer Dimension
Nicht zuletzt sind es wohl gerade die Anfeindungen Amedspors, die die Stadt und ihr Team enger haben zusammenrücken lassen: "Ich verstehe nichts von Fußball, ich interessiere mich auch nicht dafür. Mein einziges Interesse an Fußball gilt bis heute Amedspor. Genauer gesagt, seit zwei Jahren, seit die Region eine neue Welle des Krieges erlebt, interessiert mich, was Amedspor widerfährt", schreibt etwa die in Diyarbakır beheimatete Journalistin Nurcan Baysal.
Denn kein Verein wurde im letzten Jahr vom türkischen Fußballverband "Türkiye Futbol Federasyonu" (TFF) mit derart vielen Disziplinarverfahren – von Zuschauerausschluss bis Geldstrafen – überzogen wie Amedspor. "Disziplinarstrafen gehören leider zu unserer Identität als Team", meint Amedspor-Sprecher und Anwalt Soran Haldi Mızrak.
Vor allem der alevitisch-kurdische Star des Vereins und ehemalige St. Pauli- und U 19-Nationalspieler Spieler Deniz Naki steht dabei im Fokus. Seit 2013 spielt Naki in der Türkei und ist nicht nur der sportliche Star des Vereins, sondern auch ein politischer Wortführer. Als er den Sieg des Teams über Bursaspor auf Facebook denjenigen Menschen widmete, "die bei den Grausamkeiten, die seit über 50 Tagen auf unserem Boden stattfinden, getötet oder verletzt wurden" und noch dazu sein kurdisches Tattoo "Azadi" (kurd. für Freiheit) ablichtete, brachte ihm das nicht nur über 18.000 Likes, sondern auch eine Geldstrafe von 6.000 Euro und eine Rekordsperre für zwölf Partien ein.
Es folgte ein Prozess wegen "Terrorpropaganda", in dem Naki jedoch freigesprochen worden. Anfang April 2017 hat dasselbe Gericht nun seinen Richterspruch revidiert und Naki zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr, sechs Monaten und 22 Tagen verurteilt. Auch wenn der 27-jährige Fußballspieler nicht müde wird zu erklären, es habe sich um eine Friedenbotschaft gehandelt.
Eine besondere Form der Solidarität erfuhr Naki übrigens von seinem Hamburger Ex-Club St. Pauli, der bei einem Freundschaftsspiel in Naki-T-Shirts aufliefen. Sorgen drohen auch aus anderer Richtung: Amedspor wurde als Betriebsverein bislang von der Stadtverwaltung finanziert. Mit der Absetzung der kurdischen Stadtverwaltung und Ersetzung des von Ankara bestimmten Statthalters Cumali Atilla steht nun auch diese Finanzierung in Frage: Bereits letzten Februar hatte Atilla verlautbaren lassen, dass erst mit einer Namensänderung weiter Geld in die Mannschaft fließen werde.
Das Leben als Fan: ein Auswärtsspiel
Doch nicht nur die Spieler und Funktionäre, auch die Fans von Amedspor sind immer wieder Problemen ausgesetzt. Vor allem in Zeiten, in denen die Auseinandersetzungen in der Kurdenregion einen Höhepunkt erreichen, gleicht die Atmosphäre im Stadium einer politischen Kampfzone, in denen Spieler und Fans aus Diyarbakır mit rassistischen Hassparolen empfangen werden.
Etliche Male hat sich die Vereinsleitung von Amedspor deswegen an den Fußballverband gewandt. Der zögert ansonsten nicht, großzügig Zuschauersperren und Geldstrafen zu verhängen. Im Fall von Amedspor geschieht jedoch: nichts.
Der Zuschauerausschluss von Amedspor-Fans bei Auswärtsspielen wird hingegen routinemäßig ausgesprochen: "Wir erleben nahezu bei jedem Auswärtsspiel Negatives. Neben physischen Attacken werden wir mit psychologischen Angriffen, rassistischen Parolen und Verwünschungen von Seiten der gegnerischen Fans, konfrontiert", meint İhsan Çetinkaya von der Fangruppe Direniş (türk. Widerstand). "Wir haben uns daran gewöhnt, das muss man leider sagen".
In Bursa vermieden Stadionsprecher und TV-Kommentator, den Namen Amed auch nur zu erwähnen, sondern sprachen von den "Anderen". Nationalistische Fans skandierten "Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar" und Spieler sendeten Salutgrüße an das türkische Militär. Am Ende gewann Amedspor dennoch mit 2:1.
Auch im wohl spektakulärsten Spiel der Klubgeschichte, beim Rückspiel gegen den millionenschweren Superstar Fenerbahçe im eigenen Stadion (3:3), musste Amedspor ohne seine Fans auskommen. Doch posierten nun Spieler beider Teams vor dem umstrittenen Transparent "Kinder sollen nicht sterben, sondern zum Match kommen".
Sonja Galler
© Qantara.de 2017
Der Artikel entstand unter der Mitarbeit von Fatma Çelik und Aylin Kızıl.