Vom Umgang mit Rasssismus in Deutschland
In Europa geht ein rechtes Gespenst um, das die Zeit zurückdrehen will: Die "Nation" soll wieder völkisch begründet werden, die "Nationalmannschaft" aus weißen Männern bestehen, deren Vorfahren seit Generationen "Deutsche" sind; also "Arier" im Sprachgebrauch der NS-Rassenideologie, oder neudeutsch-verquast und auch irgendwie gruselig: "Bio-Deutsche".
Eine Äußerung von Alexander Gauland sorgte mal wieder dafür, dass die AfD die Schlagzeilen beherrscht: Die Mehrheit der Deutschen wolle keinen Jérôme Boateng als Nachbarn, behauptete er gegenüber der FAZ. Soll heißen: keinen schwarzen Deutschen, wobei das für die rassistische AfD und ihr Umfeld ebenso wenig zusammengeht, wie "Deutschland und Islam".
So pöbelte die Parteivorsitzende Petry auch gleich noch gegen Deutschlands Spielmacher Mesut Özil, weil er wie Millionen Muslime nach Mekka pilgerte. Ein Foto Özils im weißen Pilgergewand symbolisiert für Petry und Gauland den Untergang des Abendlandes.
Zwar gab es nach Gaulands "Nachbar"-Äußerung zahlreiche Solidaritätsbekundungen mit Jérôme Boateng und kaum einen Prominenten, der nicht kundtat, dass er neben ihm wohnen wolle. Und der massive Widerspruch war wichtig um zu zeigen, dass eine Mehrheit der Deutschen den offenen Rassismus der AfD ablehnt.
Fremder Nachbar
Aber auch manche jener Reaktionen, die Boateng verteidigten, weil er ein "Musterprofi" (de Mazière) sei, oder ein "wunderbarer Mensch und vorbildlicher Fußballprofi" (Rummenigge) geben zu denken. Rassismus hängt nicht vom Charakter des rassistisch Beleidigten ab. Und wenn Gauland "Fremdenfeindlichkeit" vorgeworfen wird, deutet das darauf hin, dass ein Teil der deutschen Gesellschaft nichtweiße Nachbarn noch immer als "Fremde" empfinden.
Statt Gaulands brauner Gesinnung stand plötzlich die Frage im Mittelpunkt, ob Boateng ein guter Nachbar sei. Bundesweite Umfragen sollten klären wer Boateng als Nachbarn haben wolle. Dabei ist die Frage völlig absurd. Seit wann wird man gefragt, wen man als Nachbarn haben will? Und die bittere Realität in Punkto Nachbarn in Deutschland ist die: Nicht-weiße Menschen, deren Aussehen oder Namen auf eine migrantische Familiengeschichte hindeuten, werden Studien zufolge auf dem Wohnungs- und Jobmarkt diskriminiert. Viele nichtweiße Deutsche (oder Menschen, die sonstwie von der vermeintlichen "Norm abweichen") erleben Gaulands Gedankengut tagtäglich in Form eines allgegenwärtigen Rassismus.
Auch Jérôme Boateng wurde in seiner Karriere schon vielfach rassistisch beleidigt. Noch bei der WM-Qualifikation im September 2013 bei einem Spiel auf den Faröer-Inseln kommen von der Tribüne Affengeräusche. Boateng ignorierte die Beleidigung, auch wenn er sich an anderer Stelle deutlich gegen Rassismus engagiert.
Auch auf Gaulands rassistische Provokation mag er nicht antworten, stellt aber klar, dass der alltägliche Rassismus in Deutschland "längst noch nicht weg" sei. Ihn ärgere auch, dass "solche Leute" über ihn nun "Aufmerksamkeit und eine große Plattform" bekämen.
Alltagserfahrung Rassismus
Was wäre, wenn Jérôme Boateng, kein vorbildlicher Profi wäre, wenn er kein "Musterprofi" wäre? Das kann man exemplarisch sehen an der Geschichte seines Bruders Kevin-Prince. Die Geschichte der Brüder Boateng hat der FAZ-Journalist Michael Horeni in seinem gleichnamigen wunderbaren Buch aufgeschrieben.
Eigentlich sind es drei Halbbrüder: Jérôme, Kevin-Prince und George Boateng. Auch letzterer war ein talentierter Kicker, geriet aber im Problemkiez Wedding auf Abwege und saß eine Weile im Gefängnis. Jérôme wuchs im bürgerlichen Kiez Berlin-Wilmersdorf auf und kam zum Fußballspielen mit den beiden Halbbrüdern ins Weddinger "Ghetto". Der eingezäunte "Fußball-Käfig", in dem sie stundenlang Straßenfußball spielen, wird zum Bindeglied der Brüder, die in unterschiedlichen Welten aufwachsen.
Ihre Erfahrungen mit Rassismus machen sie alle, aber der Umgang damit unterscheidet sich. Kevin-Prince, der begnadete, aber chaotische Fußballer mit Riesenego eckt früh an in Deutschland. Er fliegt 2009 aus der deutschen U21-Nationalmannschaft, deren Schlüsselspieler Neuer, Özil, Khedira, Hummels sowie Bruder Jérôme sieben Jahre später mit Deutschland Weltmeister werden.
Kevin-Prince entscheidet sich daraufhin für einen anderen Weg und wird Nationalspieler Ghanas, dem für ihn überwiegend fremden Land des Vaters. Er wird in Deutschland vollends zum Hassobjekt, als er kurz vor der WM 2010 im englischen Pokalfinale Michael Ballack foult, der aufgrund der Verletzung nicht an der WM teilnehmen konnte.
Ein Sturm der Entrüstung bebte vor allem im Internet und mit ihm eine Flut rassistischer Beleidigungen. Der unbequeme Kevin-Prince geht offensiv mit dem allgegenwärtigen Rassismus um, in Deutschland, in England und in Italien, wo ihm besonders viel Hass entgegen schlägt. Im Januar 2013 setzte er bei einem Freundschaftsspiel seines Klubs AC Mailand ein entschlossenes Zeichen. Als er wieder beleidigt wird, schießt er den Ball in Richtung der rassistischen Anhänger, reißt sein Trikot herunter und verlässt den Platz; die ganze Mannschaft folgt ihm in solidarischer Geste. Wer will in Deutschland den aufmüpfigen Kevin-Prince zum Nachbarn haben?
Man muss hier nicht darauf eingehen, wie grotesk die Wahnvorstellung einer "rassisch" begründeten Nation(almannschaft) ist – aber es ist schon bemerkenswert, dass heute in Deutschland derartiges Gedankengut wieder unverhohlen öffentlich vorgebracht wird.
Gut 80 Jahre, nachdem den jüdischen Deutschen – und anderen Opfern des NS-Rassenwahns - in allen Bereichen abgesprochen wurde, ein gleichwertiger Teil der deutschen Gesellschaft sein zu können; auch und sogar besonders früh im Sport und im Fußball, der per "Arierparagraph" jüdische Deutsche aus den Vereinen ausschloss.
Mit Julius Hirsch wurde auch ein ehemaliger deutscher Fußball-Nationalspieler in Ausschwitz ermordet. So weit die Äußerung Gaulands davon sicherlich entfernt ist – im Kern geht das biologistische Fundament seiner Weltsicht ebenso auf völkische und pseudowissenschaftliche rassistische Diskurse des 19. und frühen 20. Jahrhundert zurück wie die abstrusen Thesen eines Thilo Sarrazin.
Ernsthafte Auseinandersetzung gefragt
Im Fußball gibt es seit Jahren viele positive Bemühungen, gegen Rassismus anzukämpfen. Und 2006 hatte mit dem "Sommermärchen" vermeintlich eine neue Ära begonnen. Die Erfolge der deutschen Nationalmannschaft wurden als Event verklärt, bei dem ein neues, multikulturelles Land unbeschwert seine bunten Fähnchen schwingen kann.
In Berlin-Kreuzberg verteidigte damals gar ein deutsch-arabischer Imbissbetreiber und Fan eine deutsche Nationalflagge vor der Antifa, die sie herunterreißen wollte. Und sicher werden diesen Sommer auch syrische Flüchtlinge in der Menge stehen und mit deutschen Fahnen jubeln. Die rührseligen Geschichten über ein Zeichen gelungener Integration sollten wir uns aber lieber verkneifen, so lange im Deutschen Bundestag im Wochentakt Asylgesetze verschärft und Leistungen gekürzt werden und tagtäglich Menschen an den eingezäunten Außengrenzen Europas elendig zu Grunde gehen.
Der DFB sollte seinerseits noch viel offensiver mit dem Thema Rassismus umgehen. Dabei reicht es nicht, die "Mannschaft" als Li-la-Launeland des Multikulturalismus zu inszenieren. Özil, Khedira oder Podolski können durchaus Vorbilder sein; aber Thomas Müller oder Manuel Neuer stehen genauso in der Pflicht.
Nicht Migrationsgeschichten, nicht die Herkunft, nicht die Religion und übrigens auch nicht die sexuelle Herkunft – Homosexualität ist das letzte völlige Tabuthema im Fußball – sollte die Identität von Fußballern fremdbestimmen. Für die deutsche Nationalmannschaft selbst gibt es sowieso nur zwei eindeutige Aufnahmekriterien: einen deutschen Pass – und das Talent zum Kicken.
René Wildangel
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