Gib Diktatoren keine Chance!
"Mein Interesse für Politik entstand nicht erst nach den Gezi-Protesten 2013 oder nachdem ich Schauspieler wurde. Ich bin 37 Jahre alt, mein politisches Engagement geht zurück auf meine Gymnasialzeit und meine Studienjahre an zwei Universitäten. Das hat nicht nur mit der AKP oder mit Recep Tayyip Erdoğan zu tun. Und auch in Zukunft werde ich gegen Machthaber kämpfen, die den gesellschaftlichen Frieden beeinträchtigen."
Das sind die Worte von Barış Atay, dessen Ein-Mann-Stück "Nur Diktator" in einigen Städten der Türkei inzwischen verboten wurde. In Ankara wurde ihm persönlich untersagt, auf die Bühne zu gehen. Dazu kamen offizielle Aufführungsverbote von Seiten des Gouverneurs in den Städten Artvin und Hopa in der Nordtürkei, in der Hauptstadt Ankara und in Kadıköy, einem der größten Stadtteile Istanbuls. Die Begründung: Das Stück könne die öffentliche Ordnung und Sicherheit negativ beeinflussen sowie den Frieden und die Sicherheit der Gesellschaft stören.
"Wenn ich in Ankara mit ein paar Freunden in einem Café bin und wir uns über Politik unterhalten, hat der Gouverneur das Recht, mich aus diesem Café zu entfernen", sagt Atay.
Die Geschichte eines Diktators
Onur Orhan hat das Stück geschrieben, Regie führt Caner Erdem. Die Figur, die der Schauspieler Barış Atay spielt, zeigt die Charakterzüge eines Diktators. Es geht auch um ihre innere Zerrissenheit. Am Ende wird der Zuschauer aufgefordert, sich seine eigene Meinung über Diktatoren zu bilden.
Doch was ist nun geschehen, dass dieses Stück, das seit drei Jahren aufgeführt wird, auf einmal verboten ist? "Eigentlich hat sich nichts verändert", sagt Atay. Doch die Bezüge zur heutigen Türkei haben die AKP-Wähler in den Sozialen Medien verärgert. Für Atay ist das Verbot ein Beispiel dafür, welchen Druck die Regierung auf Menschen ausübt, die ihre Meinung nicht verbergen.
Ein politischer Künstler
Der Schauspieler Atay ist für sein politisches Engagement und seine entschlossene Haltung bekannt. 2015 hatte er noch gesagt: "Gäbe es einen Diktator, könnten Sie dieses Stück nicht sehen."
Als die Show vergangene Woche in Istanbul durch den Einsatz der Polizei verhindert wurde, nahm Atay auf seine Worte von 2015 Bezug und fragte: "Akzeptieren Sie durch dieses Verbot, dass der Staatspräsident ein Diktator ist?"
Atay hat in vielen TV-Serien und Kinofilmen mitgespielt. Als aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen scheut er nicht davor zurück, auch die Regierung zu kritisieren.
Fast eine Million Menschen folgen ihm auf Twitter. Sein Einfluss über die Sozialen Medien ist groß. "Die Türkei ist gespalten – es gibt jene, die alles machen, was die Regierung sagt, und jene, die die Regierung hinterfragen", sagt Atay. Die zweite Gruppe spüre die Auswirkungen durch die andere Gruppe.
Verurteilung wegen Beleidigung Erdoğans
Wegen seiner kritischen Haltung muss Atay immer wieder Zeit auf Polizeiwachen verbringen, wenn er nicht auf der Bühne steht. Im vergangenen Jahr kam er sogar vor Gericht, nach einer Beschwerde von Erdoğan und dessen Sohn wegen Atays Artikel mit dem Titel "Hey Erdoğan" in der Zeitung Birgün. Er wurde wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zu einer Geldstrafe verurteilt.
Unter der AKP-Regierung wurden in der Türkei die Intendanten der staatlichen und städtischen Theater ausgewechselt und viele Verträge von oppositionellen Künstlern beendet. Viele der Künstler, die seit den Gezi-Protesten die Regierung kritisierten, wurden arbeitslos oder verließen das Land. Mit dem Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 ausgerufen wurde, sahen sich viele Künstler gezwungen, nach Europa zu ziehen - unter anderem nach Deutschland. Doch Barış Atay ist in der Türkei geblieben.
Er ist sich sicher: Damit sich etwas ändert, müssen Musiker, Schauspieler, Regisseure, Autoren und alle anderen Kunstschaffenden gemeinsam etwas unternehmen. Andernfalls wird der Druck zunehmen. "Wenn wir heute aus Angst bestimmte Dinge nicht sagen können, müssen wir erkennen, dass es bald unmöglich sein wird, überhaupt noch etwas zu sagen. Dieses Land wird dann kein Land mehr sein, in dem man leben kann", warnt der Künstler.
Er selbst werde weiterhin Widerstand leisten: "Nur weil die Macht von einigen Politikern, die an die Macht gekommen sind, von Tag zu Tag wächst und sie das als Druckmittel gegen uns benutzen, werde ich das Land, das ich liebe, nicht verlassen", so Atay. Er werde schon dafür sorgen, dass die Zuschauer das Stück "Nur Diktator" zu sehen bekommen. Irgendwie.
Gezal Acer
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