Getrübte Aussichten am Nil
Jetzt erst recht, mögen sich die Veranstalter gedacht haben, als sie die Deutschlandwoche in Ägypten ins Leben riefen. In turbulenten Zeiten Farbe bekennen, selbst wenn die Arbeit der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) derzeit am Pranger steht. Die über 30 Veranstaltungen vom 17. April bis zum 5. Mai sollen die Vielfalt deutschen Engagements im Land am Nil verdeutlichen. Nicht nur in Kairo, sondern auch in Alexandria und den Touristenzentren Luxor, Hurghada und El Gouna.
Der Organisator, die deutsche Botschaft in Kairo, bringt es auf den Punkt: "Die Veranstaltungsreihe ist ein wichtiges Zeichen der engen Verbindung zwischen den Menschen in Ägypten und Deutschland abseits der Tagespolitik." Soll heißen, dass die Bindungen weit über den Prozess gegen die beiden Stiftungsmitarbeiter hinausreichen, denen illegale Machenschaften und Gefährdung der Sicherheit Ägyptens vorgeworfen werden.
Reggae-Musik made in Germany, Autobauer aus München und Stuttgart öffnen ihre Werkstore, ein Windpark am Roten Meer wird besichtigt. In einer Live-Kochshow im ägyptischen Familiensender Al-Mehwar werden Botschafter Michael Bock und die Moderatorin Sally Fouad gemeinsam kochen.
Abstruse Vorwürfe gegen die Adenauer-Stiftung
All das soll helfen, den Ägyptern ins Bewusstsein zu rufen, dass Deutschland für etwas anderes steht, als die laut gewordenen Anschuldigungen gegen deutsche Stiftungsmitarbeiter. Die halbamtliche Tageszeitung Al Ahram hatte unter anderem behauptet, die Angestellten des KAS-Büros in Kairo erhielten ihre Weisungen aus Tel Aviv. Das Büro der Stiftung in Israel ist allerdings gar nicht in Tel Aviv, sondern in Jerusalem.
Als die beiden Deutschen nach dem ersten Prozesstag Ägypten gegen Zahlung einer Kaution verließen, gab es Demonstrationen gegen den Beschluss des Gerichts, sie ausreisen zu lassen. Inzwischen legten die Richter ihr Amt ohne Angaben von Gründen nieder. Ob neue benannt werden und der Prozess wie angekündigt weitergeht, weiß derzeit niemand. Außer der KAS sind auch US-amerikanische Organisationen und ägyptische NGOs angeklagt, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen.
Kilian Bälz ist in erster Linie für Wirtschaftsfragen zuständig. Für die international tätige Kanzlei Amereller berät der Rechtsanwalt seit viereinhalb Jahren internationale Investoren am Nil. "Spezialisierte Rechtsberatungen für schwierige Märkte", nennt er sein Engagement und das seiner Kollegen in den arabischen Staaten. Was die gegenwärtige Situation in Ägypten angeht, so ist Bälz grundsätzlich positiv gestimmt. Es gehe wieder aufwärts mit der Wirtschaft, sagt der 44-jährige Mann aus Tübingen. Seit einigen Wochen wachse die Zahl der Existenzgründer, die "Start-Ups" für den Internet-Handel könnten sich sehen lassen.
Politischer und wirtschaftlicher Neuanfang?
Nach anfänglichem Zögern als Folge des Sturzes Hosni Mubaraks im Februar letzten Jahres, "kommt Ägypten jetzt wieder zurück", so seine Einschätzung. Umfangreiche Projekte lägen allerdings noch auf Eis, sagt Bälz.
In den Ministerien möchte keiner eine Entscheidung treffen. Die wirtschaftlichen Aktivitäten spielten sich im mittleren und unteren Bereich ab. "Doch das Barometer zeigt nach oben." Zum NGO-Prozess und der Adenauer-Stiftung will der in Freiburg und Berlin studierte Jurist allerdings nicht Stellung nehmen. Das Thema sei zu sensibel.
Über das Rechtssystem in Ägypten kann er sich aber sehr wohl ein Urteil erlauben. Seit Anfang der 1990er Jahre kennt Bälz das Nilland, als er an der Amerikanischen Universität in Kairo Islamwissenschaften studierte. Wesentlich verändert habe sich das Justizsystem seitdem nicht. Er bezeichnet die ägyptische Justiz als "in den meisten Fällen unabhängig", aber "vielfach unzureichend ausgestattet und überlastet". In politischen Verfahren entscheide ferner zu oft die Politik, ob und gegen wen ermittelt werde. Allerdings habe es auch schon unter Mubarak Verfahren gegeben, die von der Exekutive betrieben, von den Gerichten aber wieder verworfen wurden.
Besonders bei politischen Verfahren habe sich gezeigt, dass sich die Richter keineswegs immer dem Diktat der Politik unterworfen haben. Aber wo Richter mutige Urteile fällten, wurden diese dann oft nicht umgesetzt. Einige der engagierten Richter gaben daher frustriert auf. Ägypten ist ein "klagefreudiges Land". Das hat sich seit der Revolution nicht geändert. Viele der politischen Auseinandersetzungen werden auch vor Gericht ausgetragen und für politische Zwecke instrumentalisiert.
Von der Spree an den Nil
Etwa 10.000 Deutsche leben in Ägypten. Allerdings haben sich längst nicht alle bei den deutschen Stellen im Nilland angemeldet, so dass die tatsächliche Zahl weitaus höher sein dürfte. Viele haben auch weiterhin ihren ersten Wohnsitz in Deutschland.
Am häufigsten sind deutsche Frauen, die mit Ägyptern verheiratet sind oder waren. Auch Baraka Karin Maatwk hat die Liebe ins Land am Nil gezogen. "Aus der Liebe zu einem Mann, ist die Liebe zu einem Land geworden", sagt die 49-Jährige, die in der Nähe von Düsseldorf geboren wurde, aber die meiste Zeit in Berlin lebte. Vor fast 21 Jahren zog sie dann von der Spree an den Nil und hat es bis jetzt nicht bereut.
Mit einer Ausbildung als Physiotherapeutin hat sie sich im Kairoer Stadtteil Mohandessin einer Gemeinschaftspraxis angeschlossen und bietet "Familienaufstellungen" an. Eine Methode, die der Mentalität der Ägypter entspricht, wie Maatwak herausgefunden hat. Psychotherapie steht in den arabischen Ländern noch im Verruf. Die wenigsten könnten unterscheiden zwischen Psychiatrie und Psychotherapie.
Dass sie mit der gesamten Familie arbeite und so nach Lösungen für Eheprobleme, Magersucht und häusliche Gewalt suche, werde indes akzeptiert. Der Umbruch im letzten Jahr habe nicht nur Ägypten, sondern auch die Ägypter verändert. Nach den langen Jahren der Stagnation sei jetzt viel Energie zu spüren, bilanziert die Therapeutin die Veränderungen. "Die Revolution war notwendig", meint Maatwak.
Seitdem verzeichne sie in ihrer Praxis regen Zulauf. Nicht nur das Bewusstsein für politische Entwicklungen sei geschärft worden, sondern auch für den Alltag: "Überall herrscht Aufbruchstimmung im Land." Dass manche damit nicht klar kommen, liegt in der Natur der Dinge. Dann kommen sie zu Baraka Karin, die im Zuge ihrer Heirat zum Islam konvertierte und neben ihrem deutschen, auch einen muslimischen Namen trägt. Für ihre Kunden verkörpert sie dadurch beides: die Distanz einer Ausländerin, der man mehr anvertraut als den Einheimischen und die Nähe einer Muslimin, die ein Teil der Gesellschaft geworden ist.
Westliche Staaten als Helfershelfer Mubaraks
Wie sind dann die Misstöne gegenüber westlichen Ausländern zu verstehen? Frank van der Velden sucht die Erklärung im "nationalen Pathos", das derzeit allgegenwärtig sei. Die Protestbewegung und die Gegner des Mubarak-Regimes sähen die westlichen Staaten als Claqueure, die dazu beitrugen, dass sich der Despot so lange an der Macht halten konnte.
Als theologischer Referent der deutschen katholischen Markusgemeinde in Kairo hat der 48-Jährige schon einige Turbulenzen erlebt, seit er 1997 von Deutschland nach Ägypten kam. "Ich dachte, ich käme in geordnete Verhältnisse", erzählt der Vater zweier Kinder. Doch dann geschah das Massaker in Luxor, als Mitglieder einer radikalen Fraktion der Gama'a al-Islamiya 62 Menschen, zumeist Touristen, regelrecht hinrichteten. Vier Jahre später stand die ägyptische Regierung nach den Terroranschlägen in den USA vor einer neuen Herausforderung.
Der damalige Bundespräsident Johannes Rau und Ägyptens Staatschef Mubarak starteten eine Dialoginitiative, die sich als "sehr fruchtbar" erwies, erinnert sich der deutsche Theologe aus Duisburg. Die ägyptischen Christen schlossen einen Burgfrieden mit Mubarak, als dieser ihre Position stärkte.
Der anfängliche interreligiöse Dialog wandelte sich zum nationalen Dialog. Nicht umsonst hatten die Kopten, die zehn Prozent der Ägypter ausmachen, Sorge, was nach Mubarak kommen werde.
Aber auch die Muslime seien derzeit verunsichert. "Niemand weiß, was wird." Van der Velden sieht das Konfliktpotenzial derzeit jedoch eher in der Auseinandersetzung zwischen Säkularen, Liberalen und Religiösen, als zwischen Christen und Muslimen. "Der innerislamische Dialog wird die Diskussionen prägen", prophezeit er. Es werde wohl kein Bikini-Verbot für Ausländer in Ägypten geben. Man werde aber peinlichst darauf achten, "dass keine Ägypterinnen neben den leicht bekleideten Touristinnen am Strand liegen".
Birgit Svensson
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de