Das Erbe der Schlacht von El Alamein
Jedes Jahr im Herbst kommen Veteranen aus aller Welt in das ägyptische El Alamein, um ihrer gefallenen Kameraden zu gedenken. Doch um die Opfer, die die Schlacht bis heute fordert, kümmert man sich weniger.
Etwa 21 Millionen Fliegerbomben, Panzer-Granaten und Landminen ließen die Truppen in der Wüste zurück. Heute weiß niemand mehr, wohin die Sandverwehungen die Minen getrieben haben.
Nach Aussage des Auswärtigen Amtes in Berlin sei Deutschland nach dem Internationalen Völkerrecht nicht verantwortlich für die Räumung der Minen aus dem Zweiten Weltkrieg in Ägypten.
Deutschland habe allerdings der ägyptischen Seite immer wieder humanitäre Hilfe angeboten, etwa die Übergabe alter Lagepläne der Minen oder die Lieferung von Metalldetektoren.
Eine Fläche von 2.800 Quadratkilometern, ein dreißig Kilometer breiter Streifen zwischen El Alamein, etwa 60 Kilometer westlich von Alexandria, und der Grenze zu Libyen ist noch immer verseucht. Dabei wird das Gebiet vor allem von Beduinen bewohnt, unter denen es immer wieder Opfer gibt.
Andere Prioritäten
Erst 1982 nahm sich die ägyptische Regierung des Problems an. "Das war eine Frage von Kosten und Prioritäten", gibt Fathy el Shazly, Direktor des Nationalen Programms zur Entwicklung der Nordwestküste, unumwunden zu.
Er verweist auf die ägyptische Geschichte, in der das Land nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst mit der Erlangung seiner Unabhängigkeit und dann mit vier Kriegen gegen Israel beschäftigt war. Dabei wäre ein bisschen mehr Eile angebracht gewesen.
Nach Angaben der NGO "Landmine Monitor" fielen den Minen seit 1982 8.313 Menschen zum Opfer, 619 von ihnen wurden getötet. Wie bei Naturkatastrophen und Unglücken immer wieder zu beobachten, hat die eigene Bevölkerung für die ägyptische Regierung allerdings keine große Bedeutung. Um die Opfer kümmerte sie sich bisher nur wenig.
Zwischen 1982 und 1999 räumte die ägyptische Armee aber immerhin etwa 3,5 Millionen Munitionsstücke, seitdem hat der Geldmangel die Räumung deutlich verlangsamt, wie es offiziell heißt.
Da dies den Plänen des Privatsektors zu langsam geht, haben einige Hotels sowie Ölfirmen auf eigene Kosten an der Küste Munition geräumt, um Zugangsstraßen für ihre Projekte zu schaffen.
Neuer Anlauf
Im Jahr 2000 wurde eine Nationale Kommission gegründet, in der jedoch so viele Ministerien und Behörden vertreten waren, dass sie seitdem mehrmals reformiert werden musste und kaum aktiv wurde.
Im November 2006 schloss die UNDP dann mit der ägyptischen Regierung ein Abkommen über die Entwicklung der Nordwestküste. Bis zum Sommer 2007 soll in einer ersten Phase eine neue Strategie entwickelt werden.
Über mehrere Jahre hinweg sollen dann in einer zweiten Phase die Minen geborgen werden. Zum ersten Mal gehören Aufklärung der Bevölkerung und Opferschutz zum Programm.
Doch die zentrale Frage ist: Wer zahlt? Schon für die erste Phase fehlen noch 1,1 Millionen Dollar. Laut el Shazly schätzt die Armee die Kosten des Minenräumens auf etwa 250 Millionen Dollar.
Das ist nur ein Bruchteil der Summe, die anschließend in Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung investiert werde müsste. "Die wahre Herausforderung ist die Entwicklung der Region", sagt El Shazly.
Pläne für wirtschaftliche Entwicklung
Ägypten setzt dabei ganz auf seine internationalen Geber. Immerhin will El Shazly – im Gegensatz zu vielen anderen Stimmen in Ägypten – dabei nicht mehr auf das Argument der Verantwortung Deutschlands und der anderen Teilnehmer an der Schlacht setzen.
"Die Sache mit der internationalen Verantwortung spielt für mich keine Rolle mehr. Ich rede mit allen, die ein Interesse an einem gedeihenden Ägypten haben."
Sein Argument: Die Minen verhindern die Entwicklung eines wichtigen Teil Ägyptens. Etwa 22 Prozent der Fläche Ägyptens sind nach Schätzung des Ministeriums für Internationale Kooperation durch die Munition nicht erreichbar. Dort liegen laut El Shazly etwa 4,8 Milliarden Barrel Rohöl und 3,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Außerdem könnten 1,85 Millionen Hektar fruchtbares Land, das in Ägypten immer knapper wird, für die Landwirtschaft erschlossen werden. Vor allem aber steht die Nordwestküste im Zentrum von Ägyptens Tourismus-Strategie, da am Roten Meer und auf dem Sinai schon lange Küstenstreifen durch fehlende Bauplanung zersiedelt wurden.
An der Nordwestküste sind hingegen noch einige der schönsten Strände des Mittelmeers zu finden, und viele Abschnitte blieben bisher ungenutzt. So hat der Immobilien-Gigant Emaar aus den Emiraten bei Sidi Abdel-Rahman im vergangenen Jahr Land für 1,74 Milliarden Dollar erworben, auf dem er eine ganz Stadt für Touristen entwickeln will.
In dem Gebiet, in dem heute zwischen 70.000 und 100.000 Menschen leben, könnten 380.000 neue Jobs entstehen. Laut dem Nationalen Plan zur Entwicklung der Nordwestküste könnten im Jahr 2022 dort 1,5 Millionen Ägypter leben. Die Regierung unterstützt dieses Vorhaben, da sie die Bevölkerung gerne aus dem engen Niltal in Randgebiete umsiedeln würde.
Privatsektor muss einbezogen werden
Bei der Räumung von Minen drücken sich die internationalen Geber allerdings bisher, Ägypten zu unterstützen, und das wird sich wohl auch mit den neuen Argumenten so schnell nicht ändern. Die ägyptische Regierung hat eben bisher selbst zu wenig getan.
Anfang Mai dieses Jahres lud el Shazly immerhin internationale Produzenten von Minenräumgerät nach Kairo ein, damit sie ihr Gerät dort testen können. Mit dabei war Erik Tollefsen vom Geneva International Center for Humanitarian Demining (GICHD).
Er war beeindruckt von der Motivation und Professionalität der ägyptischen Regierung, und hält es auch für richtig, zunächst die Armee mit dem Räumen der Minen zu beauftragen. "Es ist wichtig, einen starken nationalen Partner zu haben, und die ägyptische Armee hat ein hervorragendes Standing in der Gesellschaft und der Verwaltung", sagt Tollefsen.
Trotzdem glaubt er, dass die ägyptische Regierung ihr Programm in Zukunft für private Organisationen und Firmen öffnen muss. Denn international ist es eher die Ausnahme, dass die nationale Armee eines Landes im Alleingang Minenräumprogramme umsetzt. Außerdem bieten private Firmen oder NGOs internationalen Gebern größere Transparenz.
Auf der anderen Seite aber geht Ägypten in Sachen Minen nicht gerade mit gutem Beispiel voran. So hat es die Anti-Minen-Konvention von Ottawa aus dem Jahr 1997 nicht unterzeichnet.
Grund sind Sicherheitsbedürfnisse der ägyptischen Armee. Darüber dringt zwar nur wenig nach außen, aber tatsächlich sind die Interessen des Militärs noch immer unantastbar. Es wird kaum Kompetenzen abgeben, ist die Aussicht auf teure Ausrüstung doch zu verlockend.
Frederik Richter
© Qantara.de 2007