Meine Romanfiguren sprechen Dialekt
Die Handlung spielt in den Randbezirken der Stadt, in denen die Armen leben, einem Ort, der schon oft als Schauplatz ägyptischer Romane gedient hat. Doch anders als die meisten großen Romanciers schreibt Safaa Abdelmenem nicht auf Hocharabisch, sondern auf Ägyptisch. Bislang gibt es bestenfalls ein knappes Dutzend Werke, die auf Dialekt verfasst wurden.
Seit sie angefangen habe zu schreiben, so Safaa Abdelmenem, sei sie von Mustafa Musharafa beeinflusst gewesen, dessen Roman Qantara lladī kafara (wörtlich: "Qantara, der nicht daran glaubte") als der erste ägyptische Dialektroman überhaupt gilt.
Überall spricht man Dialekt - außer in der Literatur
Wenn Ägypter im Alltag miteinander kommunizieren, so tun sie dies in der Regel auf Ägyptisch. Auch in Kinofilmen, Theaterstücken und Fernsehserien wird normalerweise Dialekt gesprochen. Nur in der Prosaliteratur konnte sich die Alltagssprache bislang noch nicht durchsetzen.
Neuerdings schreibt zwar hin und wieder ein junger Autor eine Kurzgeschichte auf Ägyptisch. Auch der ein oder andere Erzählband ist in Umlauf, doch bei den großen Romanautoren sucht man vergeblich nach Werken auf Ägyptisch.
Neben dem bereits erwähnten Roman von Mustafa Musharaf taucht höchstens noch der Name Louis Awad auf, dessen Buch mudakkirātu ṭālibi ba ͨ ta (wörtlich: Aufzeichnungen eines Auslandsstudenten) aber nicht als Roman gelten kann. Beide Werke erschienen in den 1960er Jahren, wurden jedoch schon in den 1940er Jahren verfasst. Alles andere aus dem Bereich neuere ägyptische Dialektprosa fällt bestenfalls unter die Rubrik "ferner liefen".
Im Gegensatz dazu hat die ägyptische Dialekt-Lyrik, sowie eine beträchtliche Anzahl von Liedtexten nicht nur einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad, sondern auch ein hohes künstlerisches Niveau erreicht. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Dichter Abdel Rahman el-Abnudi und Salah Jahin.
Besonders inspirierend sei für sie persönlich die Sprache Salah Jahins gewesen, erzählt Safaa Abdelmenem. Aber auch der Dichter Fouad Haddad sowie ihr verstorbener Ehemann Magdy El-Gabry, der in den 1990er Jahren die ägyptische Dialekt-Lyrik neu belebt hat, stehen bei ihr ganz oben auf der Liste der interessanten Dialektdichter.
Dabei habe sie durchaus nicht von Anfang an geplant gehabt, ihren Erstlingsroman auf Ägyptisch zu schreiben, so Safaa Abdelmenem. Sie habe ja vorher schon einen Erzählband auf Fusha, also auf Hocharabisch, herausgebracht. Aber zu dem Umfeld, in dem der Roman spielt, und auch zu den Figuren, die in ihm auftreten, habe die ägyptische Alltagssprache, die so genannte Aamiyya, einfach viel besser gepasst.
90 Prozent der Personen und der Begebenheiten in diesem Roman entstammen der Realität, erklärt Safaa Abdelmenem. Da diese Leute im Alltag natürlich Dialekt sprächen, habe sie letztlich gar keine andere Wahl gehabt, als auf Ägyptisch zu schreiben, weil sich so am besten zum Ausdruck bringen lasse, was in den Figuren tatsächlich vorgeht.
Das große Erbe der Volksdichtung
Als sich Safaa Abdelmenem entschloss, ihren Roman auf Ägyptisch zu schreiben, konnte sie, sowohl was die Erzähltechnik anbelangt als auch bei den dialektalen Besonderheiten in den Bereichen Rhythmik und Satzstruktur, aus dem reichen Schatz der ägyptischen Volksdichtung schöpfen. Auch inhaltlich orientierte sie sich vielfach an der ägyptischen Volksdichtung mit ihren zahlreichen Sprichwörtern, Aphorismen und Volksliedern.
Viele Geschichten aus diesem reichhaltigen Erbe sind nie schriftlich festgehalten worden, wie z. B. die Legenden von der Wassernymphe Naddaha, von Geistern oder von Dämonen (auch Dschinnen und Afarit genannt), andere wiederum liegen durchaus in schriftlicher Form vor, wie etwa "Das Leben des Abu Zayd al-Hilali" oder die Geschichte von Shafiqa und Metwalli. Verbreitet wurden diese Geschichten seit jeher durch Weitererzählen, also auf mündlichem Wege, was der akustischen Komponente natürlich ein spezielles Gewicht verleiht.
Insbesondere die Gutenachtgeschichten ihrer Großmutter, berichtet Safaa Abdelmenem, hätten ihre dichterische Fantasie nachhaltig beeinflusst. Aber auch moderne, cineastisch beeinflusste Elemente, wie zum Beispiel die camera eye-Technik oder die Rückblende, gehören zu Safaa Abdelmenems Repertoire.
Bei ihrem 2008 erschienenen Roman ’allatī ra’at (wörtlich etwa: "Die es gesehen hat") hat sich Safaa Abdelmenem, wie sie selbst sagt, für eine Art "Hybridvariante" entschieden: Teile des Romans sind auf Hocharabisch geschrieben, andere Teile auf Dialekt.
Auch in diesem Fall habe sie wieder das Gefühl gehabt, dass zu manchen Charakteren der ägyptische Dialekt einfach viel besser passe, weil es deren natürliche Sprache sei, erzählt Safaa Abdelmenem. Dabei geht es Abdelmenem nicht darum, dass der Dialekt der Hochsprache überlegen sei oder umgekehrt. Man müsse sich jedoch bei jedem Roman und bei jeder Kurzgeschichte als Autor entweder für das Hocharabische oder für das Ägyptische entscheiden, je nachdem, was authentischer wirkt. Die neue Generation
Bislang sind von Safaa Abdelmenem acht Bücher erschienen, die Mehrheit davon auf Hocharabisch. Momentan arbeitet die Schriftstellerin an einem neuen Manuskript auf Ägyptisch mit dem Titel dāya wa māšiṭa ("Hebamme und Barbierin") in dem es um Geschichten und Erinnerungen von Hebammen geht.
Safaa Abdelmenem ist davon überzeugt, dass die neue Generation ägyptischer Autorinnen und Autoren verstärkt auf Ägyptisch schreiben werde. Blogger und Facebook-Benutzer hätten ja jetzt schon die Möglichkeit, die Gedanken, die ihnen auf Ägyptisch durch den Kopf gehen, sozusagen "in Reinform", ohne Umweg über die Hochsprache, zum Ausdruck zu bringen.
Sie verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Werke jüngeren Datums, zum einen Maher Dawouds ḥawādītu ͨ ayyili mawkūs ("Pechvogel-Geschichten") und zum anderen wağa ͨ u l-’aġānī ("Der Schmerz der Lieder") von Soha Zaki. Beides seien gute Besipiele für eine neue Art des Schreibens, die sich der gesprochenen Alltagssprache und der Sprache der Neuen Medien bedienten, wobei es sich bei beiden nicht um Volksdichtung handle.
Nach Safaa Abdelmenems Ansicht sind die Parolen der Revolution und insbesondere die Spruchbänder und Poster vom Tahrir-Platz ein ganz spezielles Beispiel für die Verwendung des ägyptischen Dialekts. In der Alltagssprache könnten sich die verborgenen kreativen Energien der jungen Leute frei entfalten.
Safaa Abdelmenem glaubt außerdem, dass man das Problem des Analphabetentums in Ägypten eindämmen könne, wenn auch im Bildungswesen und in der offiziellen Schriftsprache dem Dialekt mehr Bedeutung als dem Hocharabischen beigemessen würde, weil das Ägyptische nun einmal die Sprache sei, die die Leute im Land sprechen.
Mohamed El-Baaly
© Goethe-Institut 2013
Übersetzt aus dem Arabischen von Andreas Bünger
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Der Autor ist Direktor des Kairoer Verlags Sefsafa.